Online Kommentar

21. März 2022

Die Gefahr eines Atomkriegs ist real

Nein zu einer Flugverbotszone über der Ukraine

In seinem Gastbeitrag für F.A.Z. Einspruch lehnt DGAP-Vizepräsident Rolf Nikel eine Flugverbotszone über der Ukraine ab. Diese sei seiner Meinung nach hochgefährlich und käme einem Kriegseintritt der NATO an der Seite der Ukraine gleich.  

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Das Gegenteil von gut ist oft gut gemeint. Das gilt in besonderer Weise für Forderungen, über der Ukraine eine Flugverbotszone einzurichten. Eine solche Maßnahme ist militärisch fragwürdig und brandgefährlich, weil sie die Grenze zwischen der solidarischen Unterstützung der Ukraine und einem Eintritt als Kriegspartei verwischen würde. Unabhängig vom geografischen Radius einer solchen Zone würde eine risikoreiche Eskalationsdynamik in Gang gesetzt. Niemand sollte sich täuschen: Die Durchsetzung einer Flugverbotszone für die ganze Ukraine oder auch nur regional begrenzt käme einem Kriegseintritt gleich.

Russland hat für den Fall einer westlichen Involvierung "Warnungen" geäußert und implizit mit einem Nuklearschlag gedroht. Wer hinter diesen Drohungen einen Bluff vermutet, verkennt in eklatanter Weise die sehr realen Gefahren. Ein solches Abenteuer könnte unter den Bedingungen der russischen Nuklearstrategie, die einen frühen Einsatz taktischer Nuklearwaffen vorsieht, in einem Atomkrieg enden. Dies gilt umso mehr, als wir auf russischer Seite nicht unbedingt von der gleichen Rationalität wie auf westlicher Seite ausgehen dürfen.

Ukrainische Position verständlich

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mehrfach mit unterschiedlichen Begründungen eine Flugverbotszone für sein Land gefordert. Mal ging es um die Sicherung humanitärer Korridore, mal um die Unterstützung der legitimen Verteidigung gegen den russischen Angriff. De facto soll damit die NATO in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hineingezogen werden.

Das ist aus ukrainischer Sicht sehr verständlich. Die täglichen Bilder von menschlichem Leid und Zerstörung sind erdrückend. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der gesamte Westen auf der Seite der mutigen Ukrainer steht, die ihr Land tapfer verteidigen. Die Bundesregierung und die NATO haben eine derartige Maßnahme jedoch zu Recht zurückgewiesen, da sie eine direkte militärische Konfrontation mit Russland bedeuten würde. Jetzt fordern Beobachter in Deutschland eine geografisch begrenzte Flugverbotszone in der Westukraine, ohne deren Ausmaß genau zu definieren.

Bündnisfall wäre gegeben

Ein solche Maßnahme wäre zwar vom Völkerrecht gedeckt, da es sich um die Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen handelt. Unabhängig von seiner geografischen Ausdehnung begegnet ein solches Konzept jedoch einer Reihe schwerwiegender praktischer Bedenken.

Würde eine Flugverbotszone von einem Staat oder der NATO verkündet, müsste sie erwartbar gegen russischen Widerstand durchgesetzt werden. Dadurch würde zumindest der Staat, der ein russisches Flugzeug angreift oder der seine Flugplätze für solche Einsätze zur Verfügung stellt, zur Konfliktpartei. Das macht ihn nach dem Kriegsvölkerrecht zum legitimen Ziel von Gegenangriffen, auch auf seinem eigenen Territorium. Käme es zu einem russischen Gegenangriff, würde der Bündnisfall nach Artikel 5 NATO-Vertrag eintreten.

Wie schon die Diskussion um die Lieferung von MiG-29-Flugzeugen gezeigt hat, würde ein einzelner Staat eine solche Maßnahme kaum allein ergreifen. Vielmehr wäre es wahrscheinlich, dass die gesamte NATO eingreift. Damit würde das gesamte Territorium der Allianz, einschließlich Deutschlands, theoretisches Ziel. Eine schwerwiegende, nicht mehr zu kontrollierende Eskalation wäre die Folge.

Historische Beispiele

Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass das Instrument einer Flugverbotszone erst nach dem Ende des Kalten Krieges attraktiv wurde, also nach Überwindung der Blockkonfrontation und den ihr eigenen Eskalationsmechanismen. Tatsächlich hat der Westen im Irak und in Bosnien in den 1990er-Jahren sowie in Libyen 2011 diesbezügliche Erfahrungen sammeln können. In all diesen Fällen handelte es sich um Staaten mit begrenzter militärischer Schlagkraft, die westlichen Kräften in keiner Weise gefährlich werden oder eskalieren konnten. Selbst in einem solchen vergleichsweise widerstandsarmen Umfeld war das Instrument jedoch nicht wirklich erfolgreich. Massaker konnten nicht verhindert werden. Zudem bindet eine solche Maßnahme zahlreiche Kräfte und ist teuer, unabhängig von der ungleich höheren Eskalationsgefahr im russischen Krieg gegen die Ukraine.

Eine Flugverbotszone ist ein Mittel. Sie beantwortet nicht die Frage nach dem strategischen Ziel. Geht es in der Ukraine um den Schutz der Zivilbevölkerung, um einen möglichst baldigen Waffenstillstand oder darum, den ukrainischen Soldaten zum Sieg zu verhelfen? Welche Exit-Strategie wird angestrebt? Diesbezügliche Unklarheiten können sehr schnell zu ungewollten Konsequenzen ("mission creep") führen. Wenn man das Kriegsgeschehen richtig deutet, besteht das operative Hauptproblem für die ukrainischen Verteidiger derzeit in Angriffen durch Raketen, nicht in erster Linie von russischen Flugzeugen. Gegen eine solche Gefahr ist eine Flugverbotszone allein wirkungslos. Vielmehr sind hierfür Raketenabwehrwaffen notwendig, die der Westen der Ukraine zur Verfügung gestellt hat und weiter liefert. Eine Flugverbotszone, die auch die Zerstörung von Raketenstellungen beinhaltet, würde ein weiteres Drehen an der Eskalationsschraube bedeuten.

Einheit in Gefahr

Die ins Spiel gebrachte geografische Eingrenzung der Maßnahme auf einen Teil der Ukraine ist genauso gefährlich, wirft aber zusätzliche Fragen auf. Welcher Teil der Ukraine soll genau geschützt werden und warum gerade dieser Teil? Bedeutet es im Umkehrschluss, dass dem Westen der Rest der Ukraine egal ist und wir zusehen, wie dort Menschen massakriert werden? Das Konzept ist nicht zu Ende gedacht.

Schließlich würde eine solche Maßnahme die mühsam hergestellte Einheit der Bündnispartner einer schweren Probe unterziehen. Die Einheit der Allianz aber ist der stärkste Trumpf, den wir derzeit in der Hand haben.

Bibliografische Angaben

Nikel, Rolf. “Die Gefahr eines Atomkriegs ist real.” March 2022.

Dieser Text wurde zuerst am 18. März 2022 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. 

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