Die Bundesregierung möchte eine feministische Außenpolitik verfolgen. Seit einem Jahr konkretisieren Leitlinien des Auswärtigen Amtes, wie dies aussehen soll. Im Umgang mit der humanitären Katastrophe in Gaza infolge des Massakers der Hamas am 7. Oktober und dem darauf folgenden und bis heute andauernden Krieg Israels in Gaza ist von feministischen Ansätzen allerdings wenig erkennbar.
Dabei sind die Auswirkungen auf Zivilist*innen katastrophal. Über 30.000 Menschen sind bereits umgekommen, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder. Laut UN bringen täglich etwa 180 Frauen ein Kind in dem Kriegsgebiet zur Welt. Aufgrund der fehlenden medizinischen Versorgung finden Kaiserschnitte teilweise ohne Anästhesie statt, postnatale Versorgung ist kaum möglich. Mangelernährung und Dehydrierung angesichts der zunehmenden Hungerkrise ist für Neugeborene und Kinder, alte und kranke Menschen besonders fatal. Die Zivilgesellschaft aus der Region und weltweit weist unermüdlich darauf hin und fordert von der Bundesregierung einen Kurswechsel und Rückbesinnung auf ihren Anspruch feministischer Politik.
Anknüpfungspunkte dafür gäbe es viele: die Forderung nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand. Die stärkere öffentliche Unterstützung der Verhandlungen über die Befreiung israelischer Geiseln. Die Aufarbeitung und Dokumentation von Menschenrechtsverstößen und sexualisierter Gewalt, Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit im Kriegsgebiet und die Bereitstellung unmittelbarer humanitärer Hilfe angesichts einer sich verschärfenden Hungersnot und Krise menschlicher Sicherheit.
Teilhabe von Frauen umsetzen
Kurz: den Schutz der betroffenen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn feministische Ansätze denken Sicherheit nicht nur als Stabilität von Staaten, sondern stellen das Wohlergehen des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Vor allem stehen diejenigen im Fokus, deren Perspektiven von traditioneller Außenpolitik nach wie vor weniger Berücksichtigung finden. Das betrifft zum Beispiel Frauen, Kinder und Gruppen, die strukturell aufgrund sexueller, religiöser, ethnischer oder anderer Merkmale diskriminiert werden.
Das Auswärtige Amt hat somit als Ziel deutscher feministischer Außenpolitik definiert, die Rechte dieser zu stärken, die gerechte Verteilung von Ressourcen zu ermöglichen und die Teilhabe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen umzusetzen. Doch der Umgang mit dem Krieg in Gaza scheint in Teilen im Widerspruch mit diesen Prinzipien zu stehen.
Eine Stärkung der Rechte würde bedeuten, die Menschenrechte der Betroffenen zu schützen und das Völkerrecht zu stärken. Um die humanitäre Notlage vor Ort zu lindern, ist ein sofortiger humanitärer Waffenstillstand angezeigt.
Feministische Organisationen sind strukturell unterfinanziert
Hier war Deutschland zu lange zu zögerlich und hat sich in der Abstimmung der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2023 noch der Stimme enthalten. Aus menschenrechtlicher Perspektive sind auch Rüstungsexporte nach Israel problematisch, ebenso wie die Aufhebung des Exportstopps nach Saudi-Arabien.
Im Sinne der Teilhabe und Repräsentation geht es vor allem um den Einbezug von Frauenrechts- und feministischen Organisationen aus dem israelischen und palästinensischen Kontext.
Der Blick auf Ressourcen bedeutet zunächst humanitäre Hilfe in einem erforderlichen Umfang. Auch wenn Deutschland Zahlungen aufgestockt hat: Die eingestellten Zahlungen an die Palästinenser verschärfen die Not der Menschen. Über humanitäre Hilfe hinaus geht es um Unterstützung für Akteur*innen und Organisationen, die sich für politische und friedliche Lösungen einsetzen. Besonders feministische und Frauenrechtsorganisationen sind ohnehin strukturell unterfinanziert und haben damit weniger Handlungsspielraum.
Im Sinne der Teilhabe und Repräsentation geht es vor allem um den Einbezug von Frauenrechts- und feministischen Organisationen aus dem israelischen und palästinensischen Kontext. Denn Betroffene sind nicht nur Opfer, sondern auch Expert*innen ihrer Situation. Deswegen sollten sie ebenso an der Beilegung von Konflikten beteiligt werden wie die Verursacher von Konflikten. Nur so können lokale Perspektiven, Bedürfnisse und Expertisen einbezogen werden, die erwiesenermaßen zu nachhaltigeren, stabileren und umfassenderen Ergebnissen führen. Und genau daran hapert es.
Denn im Ausland wird der Graben zwischen feministischem Anspruch und Wirklichkeit durchaus wahrgenommen, zumal sich der deutsche Diskurs gleichzeitig immer wieder in einer Nabelschau verfängt. Statt Diskussionen zu Lösungsansätzen überwiegen innenpolitische Debatten wie zuletzt wieder im Rahmen der Berlinale.
Damit isoliert sich Deutschland zunehmend von der Zivilgesellschaft in der Region. Akteur*innen, die dem Konzept einst wohlwollend gegenüberstanden, wenden sich enttäuscht ab. So lehnen Organisationen deutsche Projektförderungen und Wissenschaftler*innen Einladungen nach Deutschland ab – teils als schlichtem Boykott, teils aus der Befürchtung heraus, sich im deutschen Diskurs nicht mehr ohne Konsequenzen für ihr berufliches und privates Leben äußern zu können. Ein Problem für eine Politik, die auf Expertise vor Ort angewiesen ist.
Im Umgang mit dieser Katastrophe menschlicher Sicherheit auf beiden Seiten ist diese selbst produzierte Isolation fatal. Die Bundesregierung täte gut daran, regionale, feministische Expertise mit zivilgesellschaftlichen Stimmen zusammenzubringen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Insbesondere da die Linderung der humanitären Krise eine notwendige Bedingung für die Bearbeitung der politischen Krise ist.
Mit den Leitlinien für feministische Außenpolitik hat sich die deutsche Außenpolitik auf ein ambitioniertes und vielversprechendes Konzept festgelegt. Sie würde von einer Rückbesinnung darauf profitieren.