Memo

10. Okt. 2023

Deutschlands Beistand für Israel sollte zu einem breiteren strategischen Umdenken führen

Israelische Flagge vor dem Brandenburger Tor bei Kundgebung am 08.10.2023
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Der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel erschüttert Deutschland zutiefst. Die Grausamkeit, mit der unschuldige Zivilisten angegriffen werden, ist unverzeihlich. Bis auf die extremen Ränder der politischen Landschaft haben alle Parteien Israel ihre Unterstützung zugesichert, betonend, dass Israels Existenz ein fester Bestandteil der deutschen Staatsräson ist. Als Sofortmaßnahme haben Deutschland und die EU angeordnet, die Unterstützung für Gaza und palästinensische Organisationen zu überprüfen.

Dieser erste Schritt ist lobenswert. Aber es bedarf weiterführender, strategisch durchdachter Maßnahmen. Dabei sind drei zentrale Aspekte zu berücksichtigen.

Erstens: Die Hamas handelt nicht allein. Es gibt erhebliche Belege dafür, dass die Führung der Hamas enge Verbindungen zur russischen Führung hat und vom Iran unterstützt wird. Daher sind die jüngsten Ereignisse in Israel mehr als nur eine lokale terroristische Handlung. Deutschland muss begreifen, dass nicht nur Israel, sondern die Sicherheit des gesamten Westens bedroht ist, wenn staatliche Akteure mit Terrororganisationen wie Hamas kooperieren, um ihre Interessen voranzutreiben.

Aus russischer Sicht ist jeder solcher Konflikt ein strategischer Gewinn, da er die Aufmerksamkeit ablenkt und die Ressourcen des Westens auszuhöhlen droht. Der Iran unterstützt nicht nur Terroristen, die Israel angreifen, sondern liefert auch Waffen an Russland. Solch koordinierte Handlungen von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren erfordern eine breitere und entschlossenere Antwort. Daher muss sich Deutschland auf der strategischen Bühne klarer gegen das iranische Regime positionieren.

Am 18. Oktober werden aufgrund einer Sunset-Klausel die Vereinten Nationen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben, die den Export von ballistischen Raketen einschränken. Während die EU-Staaten einige Maßnahmen ergriffen haben, um die Folgen einzudämmen, erscheinen jetzt strengere Sanktionen gerechtfertigt. Zweifellos müssen Deutschland und die EU realistischer hinsichtlich der Aussichten auf "diplomatische Lösungen" werden und ihren Ansatz gegenüber dem Iran verschärfen.

Zweitens: Die USA unterstützen Israel militärisch, sind aber in ihrer Kapazität begrenzt. US-Rüstungsfirmen konnten die Produktion von Munition und Waffen nicht ausreichend steigern, um den Bedarf für die Ukraine zu decken. Die Bestände gehen zur Neige, und die USA haben sogar Munition aus Beständen in Israel an die Ukraine geschickt. Ebenso hat die europäische Munitionsproduktion nicht schnell genug zugenommen, um mit den steigenden Lieferungen an die Ukraine Schritt zu halten. In einem Szenario, in dem sich der Krieg gegen Israel ausweitet, könnte die ausreichende Unterstützung für die Ukraine zu einem noch dringlicheren Problem werden. Dies ist nicht nur ein logistischer, sondern auch ein politischer Punkt.

Die angespannte US-Innenpolitik, insbesondere rund um die Absetzung des Sprechers des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy, unterstreicht, dass die Unterstützung der Ukraine keine überparteiliche Priorität genießt. Die Unterstützung für Israel hingegen wird sowohl von den Republikanern als auch von den Demokraten geteilt. Die strategische Konsequenz ist klar:  Hier muss Europa, und insbesondere Deutschland, in die Bresche springen und seine Rüstungsproduktion steigern. Es ist entscheidend, dass Europa sich auf eine Situation vorbereitet, in der die Hauptlast der militärischen und finanziellen Unterstützung für die Ukraine von hier getragen werden muss. Langfristige Abnahmegarantien an die Rüstungsindustrie können hier ein Weg sein, um sicherzustellen, dass genügend Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Drittens: Deutschland muss seine europäischen Partner an einen Tisch bringen und eine gemeinsame Antwort finden. Deutschland sollte hierbei die Führung übernehmen, damit Europa eine größere Last bei der Verteidigung des Kontinents trägt und so die Kapazitäten der USA für Israel und den Indo-Pazifik freisetzt. Selbst schwierige Partner wie Ungarn verstehen, dass ein russischer Sieg in der Ukraine ihre Sicherheitslage gefährden würde. Frankreich und Italien, die zwar die Ukraine unterstützen, müssen überzeugt werden, kurzfristig der Ukraine mehr Rückendeckung zu bieten und das strategische Gleichgewicht zu verschieben. Das Zusammenbringen der europäischen Partner wird keine leichte Aufgabe sein, aber angesichts der Lage der Ukraine wird es dringend benötigt. Dabei muss Deutschland seinen langfristigen Plan für die europäische Verteidigung klar signalisieren, um so die kurzfristige Mobilisierung von Ressourcen zu erlangen.

Deutschland steht zu Recht an der Seite Israels. Nun ist es an der Zeit, den strategischen Schlussfolgerungen aus dieser Solidarität Taten folgen zu lassen und die drei genannten Prioritäten auf höchster politischer Ebene zu behandeln.

Bibliografische Angaben

Wolff, Guntram. “Deutschlands Beistand für Israel sollte zu einem breiteren strategischen Umdenken führen.” German Council on Foreign Relations. October 2023.

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