Analyse

21. März 2022

Der China-Faktor in Russlands Krieg

Implikationen für Europa

In Russlands Krieg gegen die Ukraine sind die Fronten klar: Die Europäische Union unterstützt die Ukraine, China hält – wenn auch mit Einschränkungen – zu Russland. Und dennoch ähneln sich die kurzfristigen Prioritäten der EU und der Volksrepublik – beide streben eine Verhandlungslösung an. Langfristig verschärft die aktuelle Krise allerdings die ordnungspolitischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Divergenzen mit China. Europa muss wehrhafter eigene Werte und Interessen verteidigen, strategische Souveränität stärken und lernen, Spannungen mit China auszutarieren. Eine Analyse in fünf Szenarien. 

PDF

Share

Dies ist die Online-Version der DGAP-Analyse, die lediglich die Kernaussagen und die Einleitung des Textes umfasst. Die ganze Analyse können Sie hier als PDF lesen. 

  • Die russische Aggression birgt nicht nur die Gefahr eines Dritten Weltkriegs, sondern hat auch Implikationen für die machtpolitischen Ambitionen Chinas.
  • Russlands zunehmende Isolation macht es abhängig von China. Zentral für Chinas Rolle sind ordnungspolitische, geopolitische und wirtschaftliche Folgeabschätzungen des Krieges. Mindestens fünf Szenarien sind möglich: kurzer Krieg, langer Krieg, die NATO wird Kriegspartei, Verhandlungslösung, Coup in Russland. 
  • Weder der Ausbruch noch die Ausweitung oder Verlängerung des Krieges sind in Chinas Interesse. Eine Niederlage Russlands ist dennoch das Horrorszenario, das China vermeiden will.
  • Unabhängig vom Ausgang des Krieges werden sich globale Entkoppelungsprozesse vertiefen. Alle Akteure werden versuchen, ihre außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit durch geringere Abhängigkeit von Rivalen zu stärken.

Einleitung 

Für den Ausgang der russischen Invasion in der Ukraine spielt China eine zentrale Rolle. Doch diese deuten westliche Beobachter sehr unterschiedlich. Pessimisten argumentieren, dass Chinas Partnerschaft mit Russland westliche Sanktionen aushöhle und das Regime von Präsident Wladimir Putin überleben lasse. Optimisten weisen darauf hin, dass die Volksrepublik kein Interesse am Krieg habe, dafür aber enormen Einfluss auf Russland. Das gelte umso mehr, da der Krieg Instabilität verursache, die die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) besonders in der Zeit zu verhindern versuche, in denen der Parteikongress die Spitze wähle. Dies ist im Herbst 2022 der Fall. Daher sehen sie China als einen potenziellen Mediator.

Unbestritten ist, dass China einflussreich ist und eigene strategische Interessen verfolgt. Worin die Perspektiven und Ziele in diesem Konflikt jedoch konkret für China liegen, bleibt vage und hängt mutmaßlich von der weiteren Kriegsentwicklung ab. Für Europa wirft dies die Frage auf, ob und wie man der Volksrepublik in die eigenen Bemühungen einbinden kann. Dazu muss zwischen kurzfristiger und langfristiger Perspektive unterschieden werden. Kurzfristig gibt es Interessenüberschneidungen, die eine Kooperation zwischen der Europäischen Union und China ermöglichen. Langfristig verstärkt die russische Aggression jedoch eher Interessendivergenzen. Für die EU gilt es deshalb, die gegenwärtige Situation zu nutzen, um eine Form des Umgangs mit solchen Interessendivergenzen gegenüber China zu entwickeln.

Die vorliegende Analyse geht von der Annahme aus, dass China grundsätzlich im aktuellen Konflikt Russland zuneigt. Beide Länder eint ihre Rivalität mit dem Westen, insbesondere mit den USA.

Hinzu kommt, dass Präsident Xi Jinping eine Affinität zu Russland hat. Zudem wird ihm nachgesagt, ihn fasziniere, dass Putin trotz Russlands abnehmender Macht als starker Führer angesehen werde. Demgegenüber stütze sich Xi Jinpings Rolle auf die Macht Chinas. Doch nicht allein die strategische Partnerschaft mit Russland, sondern Eigeninteressen führen dazu, dass China Möglichkeiten und Risiken einer Parteinahme abwägt. Nicht ohne Grund betont China, keine Allianz mit Russland eingegangen zu sein.  

AMBIVALENTE PARTNERSCHAFT MIT RUSSLAND: CHINAS HALTUNG ZUM KRIEG

Wenige Wochen vor Kriegsbeginn unterzeichneten die Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin eine grundlegende Deklaration. Das Dokument liest sich wie ein Nicht-Aggressionspakt der beiden führenden Autokratien. Die Freundschaft beider Staaten, so das gemeinsame Statement, kenne „keine Grenzen“. Die Erklärung ist historisch. Nicht zufällig und fast auf den Tag 50 Jahre zuvor hatte China die umgekehrte Entscheidung getroffen und im Schanghaier Kommuniqué die Annäherung mit den USA auf Kosten der Kooperation mit der Sowjetunion besiegelt. Jetzt sieht China in Russland einen Partner im Wettstreit mit den USA.

China hat die russische Sprachregelung übernommen und nennt den Krieg nicht eine Invasion, sondern eine „Spezialoperation“. Zugleich bekennt sich China zum Prinzip der territorialen Integrität und erkennt die Souveränität der Ukraine an. China hat sich in insgesamt drei zentralen Abstimmungen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung der Vereinten Nationen jeweils enthalten.

Welche Chancen und Risiken sich für die Volksrepublik ergeben, hängt maßgeblich von der Länge und Intensität des Krieges ab. Chinas Rolle muss daher in verschiedenen Szenarien modelliert werden.

Die folgende Auseinandersetzung basiert auf der Annahme, dass drei Überlegungen für China handlungsleitend sind: 1. ordnungspolitische, 2. geopolitische und 3. wirtschaftliche Implikationen. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass China reaktiv, vorsichtig und opportunistisch handeln wird, um je nach Kriegsentwicklung eigene strategische Ziele zu erreichen beziehungsweise Risiken abzuwenden. Schließlich werden die enormen innenpolitischen Risiken Chinas nicht im Detail diskutiert und verschiedene innenpolitische Szenarien ausgeklammert.

Betrachtet man Chinas ordnungspolitische, geopolitische und wirtschaftliche Ziele in fünf Szenarien – sprich kurzer Krieg, langer Krieg, die NATO wird Kriegspartei, Verhandlungslösung, Coup in Russland –, wird deutlich, dass ein Krieg nicht in Chinas Interesse war und ist. Nun gilt es aus chinesischer Sicht jedoch, eine russische Niederlage zu verhindern, zumal alle fünf genannten Szenarien mittel- und langfristige Risiken für China bergen. Externe Faktoren, beispielsweise der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen 2024, werden nicht diskutiert.

Bibliografische Angaben

Rühlig, Tim. “Der China-Faktor in Russlands Krieg .” German Council on Foreign Relations. March 2022.

DGAP Analyse Nr. 2, 21. März 2022, 18 S. 

Programm

Verwandter Inhalt