Dies ist die deutsche Zusammenfassung der englischsprachigen Studie „Conditionality in Migration Cooperation: Five Ideas for Future Use Beyond Carrots, Sticks, and Delusions“. Die vollständige Studie in englischer Sprache können Sie hier herunterladen.
Wirksame Migrationspartnerschaften mit Drittländern sind ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. Doch die Meinungen darüber, wie eine gute Migrationszusammenarbeit aussieht, gehen weit auseinander. Der Einsatz von positiven und negativen Hebeln, auch bekannt als Konditionalität, ist eine umstrittene Strategie, um die Migrationsziele der EU zu erreichen. Einige halten sie für notwendig und legitim, während andere sie als postkolonial und kontraproduktiv verdammen.
Unabhängig davon, ob man Konditionalität befürwortet oder nicht, haben positive und negative Anreize die verschiedenen Arten von Migrationsabkommen, die die EU und ihre Mitgliedsstaaten im letzten Jahrzehnt geschlossen haben, geprägt. Bei einigen handelt es sich um formelle, völkerrechtlich bindende Abkommen; zumeist sind es jedoch informelle, nicht bindende Einigungen. Sie können ein bestimmtes Thema innerhalb der Migrationspolitik abdecken oder aber die Migration mit anderen Politikbereichen verknüpfen. Einige sind öffentlich, andere vertraulich. Gemein ist all diesen Vereinbarungen, dass sie die Interessen und den Einfluss widerspiegeln, den die EU, ihre Mitgliedstaaten und die Partnerländer an den Verhandlungstisch bringen.
Die drei meistdiskutierten Hebel, die die EU einsetzt, um die Partnerländer zu einem gemeinsamen Migrationsmanagement zu bewegen, sind die Bereiche Visa, Entwicklungshilfe und Handel – der Dreiklang der Migrationskonditionalität. Doch die ausschließliche Konzentration auf diese drei Hebel ist künstlich. Europa setzt auch andere Anreizsysteme ein, wie polizeiliche oder militärische Zusammenarbeit und Ausbildung, hochrangige diplomatische Aufmerksamkeit, oder legale Migrationsmöglichkeiten.
Wenn diese Hebel eingesetzt werden, können sie erwünschte Auswirkungen auf drei Ebenen haben: den Abschluss eines Abkommens, eines gemeinsamen Dokuments oder einer Erklärung (Papier), administrative oder technische Änderungen (Prozess) und Migrationsbewegungen (Personen). Sie bringen aber auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen mit sich, wie z. B. Gegenreaktionen von Menschen aus Drittländern oder das Phänomen der umgekehrten Konditionalität, wenn ein Drittland auf Drohungen mit einer Verringerung von Grenzpatrouillen oder der Unterstützung irregulärer Weiterwanderung reagiert. Der Hebeleinsatz eines EU-Landes kann auch die Migrationsbeziehungen seiner EU-Nachbarn zu diesem Drittland verschlechtern.
Trotz dieser hohen Risiken setzt Europa die Konditionalität bemerkenswert uneinheitlich ein. Die Strategie, Koordinierungsmechanismen zu schaffen, um die Ansätze der Mitgliedstaaten kohärenter zu gestalten, wird durch festgefahrene Realitäten behindert: Die Kosten der Koordinierung stehen oft in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen, und Kompetenzstreitigkeiten behindern die Zusammenarbeit. Daher ist das Streben nach einer abgestimmten Anwendung der Konditionalität in der EU bestenfalls ein harter Kampf und schlimmstenfalls eine Illusion.
Dieser Bericht enthält fünf Empfehlungen, um die Anwendung von Migrationskonditionalität und die Debatte darüber in Europa zukünftig zu verbessern. Er stützt sich auf Fallstudien, die den Einsatz von Anreizen und Drohungen durch die EU gegenüber Bangladesch, Gambia, Afghanistan, Irak und Nigeria nachzeichnen, und zieht daraus Lehren.
1. Konditionalität nicht als bloßes rhetorisches Mittel verwenden, sondern als praktisches Instrument mit legitimem, aber begrenztem Nutzen. Politikerinnen und Experten sollten sich dafür einsetzen, dass die Debatte über Konditionalität weniger ideologisch und pragmatischer geführt wird. Konkret sollten die Gegner der Konditionalität anerkennen, dass die Anwendung von positiven und negativen Anreizen in der Tat wirksam und legitim sein kann, während die Befürworterinnen der Konditionalität anerkennen sollten, dass sie nur in bestimmten Fällen funktioniert und dass es unwahrscheinlich ist, dass erfolgreiche Fälle in großem Maßstab wiederholt werden können. Eine kategorische Ablehnung oder Befürwortung der Konditionalität, wie es so oft geschieht, verhindert eine sinnvolle und nuancierte Debatte über Anreize in der Migrationszusammenarbeit.
2. Wenn schon Konditionalität einsetzten, dann auf kluge Weise. Politische Entscheidungsträger sollten eine Checkliste durchgehen, um Konditionalität in Zukunft effektiver und glaubwürdiger einzusetzen. Sie sollten Pfadabhängigkeit vermeiden und niemals einen Hebel einsetzen, nur weil er vorhanden ist oder anderswo funktioniert hat. Stattdessen sollten sie die Hebel identifizieren, für die ein Land am empfänglichsten ist. Sie sollten auch den Zeitpunkt und die Reihenfolge ihrer Forderungen an den Wahlzyklus des jeweiligen Landes anpassen: Die Fallstudien zeigen, dass Wahlen und Regierungswechsel das Verhalten der Länder entscheidend beeinflussen, vielleicht sogar mehr als der Einsatz von Druckmitteln durch die EU. Die europäischen Entscheidungsträgerinnen sollten auch konsequenter in ihren Forderungen sein. Sie sollten Drohungen glaubwürdiger nutzen, und negative Hebel bewusst und nicht zufällig einsetzen – wie es in der Vergangenheit geschehen ist.
3. Der Visa-Hebel sollte fairer und abschreckender gestaltet werden. Die EU sollte versuchen, den Hebel der Visabeschränkungen fairer zu gestalten, indem sie die Indikatoren zur Messung der Rückübernahmekooperation anpasst und die Auswirkungen der Visabeschränkungen systematischer überwacht. Bisher werden die Beschränkungen nach Artikel 25a nicht für die Länder angewandt, die am wenigsten kooperieren, sondern für die Länder, die am meisten von der EU abhängig sind und keinen starken Vetospieler unter den Mitgliedstaaten zum Verbündeten haben. Gleichzeitig sollte die EU versuchen, ihre Visabeschränkungen noch abschreckender zu gestalten. Die EU könnte etwa erwägen, Wartezeiten zu verlängern, indem sie längere Fristen als die maximalen 45 Tage einführt und gleichzeitig die derzeitige Struktur zur Erhöhung der Visagebühren kritisch überprüfen. Alternativ dazu sollten die Mitgliedstaaten die Geschwindigkeit und Effizienz der Visumerteilung verbessern, um die Wirkung der Beschränkungen zu erhöhen. Das derzeitige Visumverfahren ist so umständlich, dass der zusätzliche Aufwand, der durch Visabeschränkungen entsteht, kaum Auswirkungen auf Antragstellende hat. Eine bessere Ausgangslage würde deshalb die Wirksamkeit von Visabeschränkungen erhöhen.
4. Mehr Realismus in Bezug auf die Hebel für Entwicklung, Handel und legale Migrationswege. Politische Entscheidungsträgerinnen sollten zu einer realistischeren Einschätzung des Potenzials der Hebel für Entwicklung, Handel und legale Migrationswege kommen, da die Erwartungen an die Wirksamkeit dieser Hebel überhöht sind. Die Logik des “weniger für weniger” im Entwicklungsbereich wird in der Theorie heiß diskutiert, ist aber in der Praxis selten und leicht abzufedern. Die Formalisierung des Handelshebels ist ungewiss, und selbst wenn er formalisiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass er genutzt wird. Legale Wege sind derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber Möglichkeiten, sie als positiven Anreiz zu nutzen, wurden entweder verworfen (Resettlement) oder sind unterentwickelt (qualifikationsbasierte Programme).
5. Alternativen schaffen, um die Abhängigkeit von der Konditionalität zu verringern. Europa sollte über den Einsatz von Konditionalität hinausgehen und mit anderen oder weniger externen Partnern an der Lösung von Migrationsproblemen arbeiten. Die europäischen Länder könnten sich die etablierten Beziehungen anderer Länder zu Drittländern in Bezug auf die Rückübernahme zunutze machen, was es ihnen ermöglichen würde, bereits etablierte Kooperationswege zu nutzen, anstatt neue Wege von Grund auf zu schaffen. Außerdem könnten die europäischen Länder die Dringlichkeit, Migrationsabkommen zu schließen, durch innenpolitische Verbesserungen verringern, etwa durch die Beseitigung von Mängeln in ihren nationalen Systemen für Migration, Rückführung und Visabearbeitung und durch die Verringerung der Zahl irregulärer Migranten durch alternative Maßnahmen wie Regularisierungen. Zudem können sie ihre internen Strategien ändern, um die EU-Koordinierung zu verbessern, indem sie zum Beispiel ineffiziente Koordinierungsformate umgehen und stattdessen externe Moderatoren einschalten, um Anreize für eine positive Koordinierung zu schaffen.
Konditionalität wird es auch in Zukunft geben, ob man sie mag oder nicht. Die EU wird ihr Instrumentarium der Konditionalität sogar noch weiter ausbauen. Wenn sie jedoch will, dass dieses Werkzeug effektiver, kohärenter und glaubwürdiger wird, muss sie es intelligenter und selektiver einsetzen als in der Vergangenheit. Der Einsatz von positiven und negativen Anreizen wird bleiben. Aber er wird hoffentlich von mehr Fakten und weniger Illusionen bestimmt sein.