„Es ist offensichtlich nicht das große und auch kein kleines Thema der französischen Präsidentschaftswahl, aber es ist das einzige, das die afrikanischen Zuschauer des Duells Sakozy-Hollande (…) direkt betrifft. Ist eine andere Afrikapolitik Frankreichs wünschenswert und möglich?“, so leitete die „Jeune Afrique“, größtes Magazin für und über das französischsprachige Afrika, Ende Februar seine Titelstory zur Bedeutung der Afrikapolitik im französischen Präsidentschaftswahlkampf ein. Zu Recht, denn auch eine intensive Suche in Wahlkampfprogrammen, Zeitungsartikeln und Blog-Einträgen fördert kein anderes Bild zu Tage. Dass das afrikanischstämmige Magazin dem Thema ein ganzes Titelcover widmet und sogar den französischen Außenminister für ein Interview gewinnen konnte, zeugt dennoch davon, dass sich im Vorfeld der Wahlen zumindest am Rande ein Diskurs um die französische Außenpolitik im Afrika südlich der Sahara entwickelt hat. Ausgetragen wird dieser aber zumeist außerhalb großer französischer Medien, in Zeitungen und Zeitschriften, die insbesondere von der afrikanischen Gemeinde in Frankreich gelesen werden. Unterstützung bekommen sie von Nichtregierungsorganisationen, die in Pressemitteilungen auf die Bedeutung des Themas hinweisen.
Françafrique – eine ambivalente Beziehung
Natürlich, Außenpolitik ist kein populäres Wahlkampfthema. Doch bereits an diesem Punkt setzt die Kritik an. Können die Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika tatsächlich als klassisches Feld der Außenpolitik begriffen werden? Oder ist das sagenumwobene „Françafrique“ nicht viel mehr als ein diplomatisches Geflecht offizieller Verträge – und damit dennoch wichtig genug, um Wahlentscheidungen zu beeinflussen? Für Teile der Bevölkerung, darunter immerhin zwei Millionen afrikanischstämmige Einwanderer mit französischer Staatsbürgerschaft, hat dieses Thema durchaus Bedeutung. Dabei lässt sich ein zentrales Anliegen herausarbeiten: Der endgültige Bruch mit dem System Françafrique. Dieses beschreibt ein Geflecht von – meist inoffiziellen – Beziehungen nach Afrika, mit dem sich Frankreich, Kritikern zufolge, seinen Einfluss in ehemaligen Kolonien erhält. Dabei geht es vor allem um wirtschaftliche Interessen, aber auch um politische Gefälligkeiten, etwa Unterstützungen im Wahlkampf oder die Vertretung gemeinsamer Interessen in internationalen Gremien. Viel Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang im September 2011 die so genannte „Aktenkofferaffäre“, bei der der Anwalt Robert Bourgi, ehemals inoffizieller Afrika-Berater, aussagte, Jaques Chirac und Dominique de Villepin, aber auch Jean-Marie Le Pen seien, teils von ihm selbst, mit Aktenkoffern voll Bargeldbeträgen in Millionenhöhe aus Afrika versorgt worden.
Mit dem Wahlkampf 2007 fand der Begriff „Françafrique“ erstmals Einzug in den politischen Diskurs, nachdem er von der Politik zunächst für nicht existent, später für überwunden erklärt wurde. Auch vor fünf Jahren war die Afrikapolitik ein Randthema im Vorfeld der Wahlen, jedoch hatte Sarkozy im Mai 2006 in Benin angekündigt, „ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika“ aufzuschlagen und damit der Françafrique ein Ende zu setzen. Am tatsächlichen Bruch des Präsidenten und Kandidaten Sarkozy mit der Einflussnahme französischer Politik in den ehemaligen Kolonien scheiden sich die Meinungen. Denn bereits im August 2007 folgte seine Rede als neuer Präsident in Dakar, nach welcher Sarkozy von verschiedenen Seiten vorgeworfen wurde, bereits „einen Bruch mit dem Bruch“ vollzogen und in seinem Diskurs die nach wie vor engen Verflechtungen zwischen Frankreich und Afrika ignoriert zu haben.
Kritik an Sarkozy kommt auch vom ehemaligen französischen Botschafter im Senegal, dem westafrikanischen Land, dass neben Mali momentan in französischen Diskursen besondere Präsenz zeigt. Jean-Christophe Rufin musste seinen Posten in der Botschaft 2010 räumen, nachdem er die senegalesische Regierung offen kritisiert hatte. Für ihn ist das Beispiel Senegal typisch für die Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika. Er geht davon aus, das Abdoulaye Wade sich nicht noch einmal auf einen Präsidentschaftswahlkampf eingelassen hätte, wenn er sich nicht Frankreichs Unterstützung sicher sei. Ein großes Problem sieht er darin, dass Frankreich unter Sarkozy weiterhin Autokraten unterstütze, während insbesondere durch die rigide Visapolitik ein immer negativeres Verhältnis zur Zivilgesellschaft entstehe. Nach wie vor sei die Präsenz des französischen Militärs in Afrika erheblich (u.a. Unterstützung des putschenden Generals Mohamed Ould Abdelaziz in Mauretanien, Präsenz der französischen Armee an der Elfenbeinküste, Intervention gegen al-Qaida im Niger) und die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen würden weniger auf ausgehandelten zwischenstaatlichen Verträgen basieren denn auf mündlichen Absprachen aufgrund von persönlichen Beziehungen.
Sowohl Sarkozy als auch der amtierende Außenminister Alain Juppé hingegen verteidigen die Politik der letzten Jahre als gelungene Umsetzung des Programms der Regierungspartei Union pour un Mouvement Populaire (UMP), welches in Bezug auf Afrika insbesondere eine Unterstützung des Kontinents bei seiner wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung vorsieht. Le Monde zitiert Sarkozys Resümee seiner Afrikapolitik, gezogen während eines Interviews in der Januarausgabe der „Politique internationale“: „Von „Françafrique“ zu sprechen macht heute keinen Sinn mehr. Frankreich hat nur eine Stimme, diese drückt sich in unseren diplomatischen Beziehungen aus. Geheime Netzwerke, zweifelhafte Vermittler, das alles gibt es nicht mehr“. Ähnlich urteilt auch Juppé in einem Interview mit der Jeune Afrique. Er betont, dass sich die französisch-afrikanischen Beziehungen, anders als beispielsweise noch unter Mitterand, heute auf die diplomatische Ebene beschränkten. Er geht davon aus, dass sich die französische Außenpolitik gegenüber dem subsaharischen Afrika unter einem Präsidenten Hollande nicht verändern würde, da dieser keine neuen Linien aufgezeigt hätte.
Keine konkreten Vorschläge
Das Fehlen einer klaren Haltung zur Außenpolitik gegenüber Afrika macht auch ein Blick in bisherige Diskurse und das Programm des Präsidentschaftskandidaten des Parti socialiste (PS) deutlich. In seinem ausführlichen Programmbuch „Changer le destin“ taucht der Kontinent nur auf einer von 166 Seiten auf. So sehen denn auch Experten wie Rufin in Bezug auf die französische Afrikapolitik bei Hollande vor allem eins: Indifferenz. Doch habe er den Vorteil, in diesem Bereich ein bisher unbeschriebenes Blatt zu sein und die Sensibilität der Beziehungen zu begreifen. In einem Interview in der Jeune Afrique, das im August 2011 erschien, betonte Hollande: „Ich werde keine so zutiefst beleidigende Rede halten, wie es Nicolas Sarkozy in Dakar getan hat. Ich werde die Beziehungen der Dominanz, des Einflusses und der Erpressung für die Freunde der Macht beenden.“ Neben diesen Äußerungen lässt auch die Einberufung eines ehemaligen Direktors der französischen Entwicklungsagentur Agence Française de Développement (AFD) in das Wahlkampfteam Hollandes Rufin hoffen, dass der von ihm kritisierte Interventionismus Sarkozys unter einem Präsidenten Hollande ein Ende finden, die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Frankreich und dem subsaharischen Afrika hingegen wieder gestärkt werden könnte. Auch in den Zivilgesellschaften Afrikas und der französischen Bevölkerung mit afrikanischem Hintergrund sei Hollande, mehr aus Ablehnung gegenüber Sarkozy denn aus der Überzeugungskraft eigener Aussagen, der präferierte Kandidat. Mit ihm verbände sich zumindest die Hoffnung, mit dem Neokolonialismus Frankreichs endgültig abzuschließen und eine diplomatische, transparente Zusammenarbeit im Einklang mit anderen europäischen Ländern zu schaffen.
Ähnlich wie Hollande äußern sich auch die anderen Präsidentschaftskandi-datinnen und Kandidaten nur allgemein zu den französisch-afrikanischen Beziehungen, machen jedoch keine konkreten Reformvorschläge.
Während Eva Joly wiederholt das System Françafrique an den Pranger stellte, verhält sich Jean-Luc Melenchon sehr diskret in diesem Bereich und legt seinen Schwerpunkt eher auf die Beziehungen zu Lateinamerika. Auch bei François Bayrou lassen sich keine klaren Aussagen finden. Das Programm von Dominique de Villepin, Kandidat mit einem stabilen Netzwerk auf dem afrikanischen Kontinent und den Vorwürfen aus der „Aktenkoffer-Affäre“ im Rücken, äußert sich ebenso wenig zur Ausrichtung seiner Afrikapolitik. Betont wird jedoch das Ziel eines unabhängigeren Frankreichs und einer erneuten Stärkung der „Frankophonie“ und der Bedeutung französischer Kultur in der Welt.
Migration als Bedrohung
Während Marine Le Pen zum einen, wie andere Kandidaten, einen Bruch mit der Françafrique verspricht und sich in diesem Zusammenhang insbesondere gegen Korruption und Vorteilsnahme politischer Eliten richtet, steht beim Front National (FN) zum anderen die Begrenzung der Migration im Vordergrund. Diese soll im Austausch gegen hohe Investitionen aus Frankreich in Afrika vor Ort gesichert werden. Gleichzeitig sieht sie in diesen Investitionen in Verbindung mit einer neu zu belebenden Politik zur Verbreitung der französischen Sprache eine Chance, den Einfluss Frankreichs auf dem Kontinent weiter zu stärken.
Die Begrenzung der Migration als eines der Hauptthemen des FN in Verbindung mit dem Stimmenfang Sarkozys am rechten Rand hat dazu geführt, dass Afrika im französischen Wahlkampf vor allem in einer Rolle auftritt: Als Bedrohung innerhalb der Grenzen Frankreichs. Die Afrikapolitik außerhalb dieser Grenzen hingegen, deren Ausrichtung noch immer Millionen von Menschen in den ehemaligen Kolonien betrifft, bleibt ein undurchsichtiges Feld am Rande. Das Thema Françafrique jedoch ist gesetzt und dies nach 2007 nun schon im zweiten französischen Präsidentschaftswahlkampf. Es bleibt zu hoffen, dass damit nicht nur politische Positionierungen sondern auch politisches Handeln in diesem Bereich in Zukunft immer dringlicher wird.
Lina Brink war 2010/2011 für die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Burkina Faso tätig und arbeitet nun im Team Activism & Kampagnen einer internationalen NGO. Sie ist Teilnehmerin des Jahrgangs 2011 des Deutsch-französischen Zukunftsdialogs.