Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates: Buchpräsentation mit anschließender Diskussion
„Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Kirche und da hängt neben Jesus plötzlich noch einer!“ So beschreibt Rüdiger Frank eine epochale Veränderung im Zentrum Pjöngjangs. Dort, wo über Jahrzehnte der „Ewige Präsident“ und „Große Führer“ Kim Il-sung in Bronze gegossen über Stadt und Nation thronte, stand im April 2012 plötzlich eine zweite Statue: Sein Sohn, der langjährige Machthaber und „liebe Führer“ Kim Jong-il.
Für ein Volk, das von frühester Kindheit an mit einem gottgleichen Bild des Staatsgründers Kim Il-sung aufwachse, sei das schon Verwirrung genug, sagt Professor Frank. Wieso jetzt zwei Götter? Doch damit nicht genug. Kim Jong-un, der Enkel Kim Il-sungs und Sohn des 2011 verstorbenen Kim Jong-il, ließ Vater und Großvater monatelang hinter weißen Leinentüchern verschwinden. „Man hatte den Eindruck, Christo sei nach Nordkorea gekommen“, beschreibt Frank die Szenerie.
Als beide wieder zum Vorschein kamen, trug Kim Il-sung eine Brille. Sein Sohn Kim Jong-il schien hingegen die Garderobe gewechselt zu haben. Statt des Mao-Anzugs war er mit einem modisch geschnittenen Parka bekleidet. „Wir erleben den Versuch des neuen Führers Kim Jong-un, seine zwei Vorgänger zu einer Einheit zu verschmelzen und auf dieser Basis seine Legitimität zu konstruieren“, sagt der Ostasienexperte.
An diesem Abend in der BMW-Stiftung in München erhaschen die zahlreichen Besucher einen seltenen Blick auf ein völlig abgeschottetes Land. Professor Rüdiger Frank, Autor des neu erschienenen Buches „Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates", betritt dabei Neuland. Vorträge und Bücher über Nordkorea sind zumeist gespickt mit erschütternden Geschichten über Hunderte Arbeitslager oder die seltsamen Anwandlungen einer Diktatoren-Dynastie, die in der Welt ihresgleichen sucht.
Rüdiger Frank nähert sich Nordkorea als Ökonom und Koreanist. Er beschreibt so nüchtern wie unterhaltsam die Dinge, wie sie sind. Auf Bildern sind Menschen mit Handys zu sehen, im Land produzierte Tablet-Computer und volle, ja verstopfte Straßen. Und nicht zuletzt der Einfallsreichtum eines unterdrückten Volkes, das nun millimeterweise an so etwas Ähnliches wie Marktwirtschaft herangeführt werden soll: Über einem Geschäft prangt das Schild „Souvenirs“ (legal), darunter, ganz klein, der Hinweis: Neue Waschmaschinen eingetroffen (nicht wirklich ganz legal). Aber es gibt eben auch die bittere Armut auf dem Land, Menschen mit Ochsenkarren und Dorfbewohner, die sich mit kleineren, inzwischen erlaubten, Verkaufsständen über Wasser halten.
Auf die Frage nach dem wochenlangen Verschwinden Kim Jong-uns hat Rüdiger Frank eine lakonische Antwort parat: „Der ist Diktator, der darf das!“ Frank beschreibt die Art und Weise, wie die Führung mit einer notwendig gewordenen Operation des Diktators umgegangen ist, als richtungsweisend. „Seinen Großvater oder Vater hätte man niemals mit Krücken zu Gesicht bekommen, bei Kim Jong-un waren die immer sehr dominant im Bild.“ Auch das sei ein Beispiel der „Menschwerdung“ einer von ihrer Bevölkerung hermetisch abgeschotteten Herrscherfamilie.
Rüdiger Frank gibt sich bei all den zaghaften Hoffnungssignalen doch keiner Illusion hin: „Wir werden bald Atomtest Nummer vier sehen“, sagt der Experte auf die Frage nach den Signalen an die Außenwelt. Am Ende müsse Kim Jong-un der Welt zeigen, dass er nach dem Tod seines Vaters das Land unter Kontrolle habe. Und: Die internationale Gemeinschaft müsse auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen. „Schließlich haben wir es mit einer brutalen Diktatur zu tun. Aber: Es muss eben auch verhandelt werden, im Interesse der 25 Millionen Menschen“, so Frank.
Zur Person:
Professor Rüdiger Frank leitet das Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien. Laut einem FAZ-Ranking gilt er als einer der besten Nordkorea-Experten des deutschsprachigen Raums und einer der 50 einflussreichsten deutschen Ökonomen. Nordkorea hat Professor Frank aus den unterschiedlichsten Perspektiven erfahren, als Student an der Kim-Il-Sung-Universität, als Wissenschaftler und Mitglied von vielen politischen und wirtschaftlichen Delegationen. Er gilt als einer der objektivsten Beobachter und Kenner der Materie.