Expertenworkshop zu den Transformationsprozessen im Nahen Osten und zur Zukunft der euromediterranen Partnerschaft
Dass die arabischen Länder keine einheitliche Gruppe sind, verdeutlichte Professor Eberhard Kienle, Forschungsdirektor des Institut d’ Études Politiques in Grenoble. Diese Länder lassen sich demnach in vier Kategorien einteilen:
„Rentierstaaten“ wie Saudi-Arabien und Katar sind von begrenzten Protesten und fehlenden politischen Reformen gekennzeichnet. Die Regierungen dieser Länder nutzen Einnahmen aus dem Ölgeschäft für soziale Leistungen, um das Elend der Bevölkerung zu lindern und so Proteste im Keim zu ersticken. Die „erfolgreichen Monarchien“, Marokko und Jordanien, gehören zur zweiten Gruppe. Hier schwächen relativ repräsentative Institutionen, die ein gewisses Maß an politischer Teilhabe erlauben, den Effekt der Unzufriedenheit ab, sodass die Regierenden an der Macht bleiben können.
Als dritte Gruppe sieht Kienle Länder, die durch einen hohen Grad gesellschaftlicher Spaltung und Proteste charakterisiert sind. Dazu gehören Libyen, Syrien und Jemen, wo es bislang keine politischen Reformen gab, jedoch eine Verschärfung der Konflikte. Die vierte Gruppe umfasst Tunesien und Ägypten und definiert sich durch friedliche Proteste, die relativ zügig zu einem politischen Umbruch geführt haben.
Demokratie fördern?
Für die Europäische Union sieht Kienle kaum Chancen, die Umbrüche in der Region konstruktiv zu begleiten. Er zeigte sich vor allem gegenüber der Demokratieförderung skeptisch: Demokratie lasse sich nicht durch Einflussnahme von außen herbeiführen, sondern nur durch innenpolitische Auseinandersetzung. Er sei jedoch optimistisch, dass die unterschiedlichen religiösen Bewegungen und Parteien wie die Muslimbrüder die Notwendigkeit von Kompromissen erkennen und so gezwungen werden, einen demokratischen Rahmen zu akzeptieren. „Demokratie schafft Demokraten“ und nicht umgekehrt, sagte Kienle.
Für Aboubakr Jamaï, Mitbegründer und Herausgeber des marokkanischen Nachrichtenportals “lakome.com“ und Gründer der Wochenzeitung „Le Journal Hebdomadaire“ ist die derzeitige politische und wirtschaftliche Lage in der Region unhaltbar. Er glaubt, dass es zu weiteren Veränderungen kommt, angetrieben durch den demografischen Wandel, die erstarkende Zivilgesellschaft und die sozialen Medien.
Europäische Einflussnahme sei dabei nicht immer dienlich, sagte er mit Blick auf den Transformationsprozess in Marokko. „Manchmal ist es besser, uns allein zu lassen.“ Jamaï kritisierte, dass die EU häufig nur mit den Regierenden spreche. Das sei ein schwerer Schlag für die demokratischen Kräfte. Vor allem in Marokko sei zudem Frankreichs Einfluss eher ein Fluch als ein Segen. Jamaï wünscht sich dagegen ein stärkeres Engagement von Ländern, die keine historische Bindung zur Region haben, wie etwa die skandinavischen Staaten und Deutschland.
Almut Möller, Leiterin des Alfred von Oppenheim-Zentrums für europäische Zukunftsfragen in der DGAP, analysierte, was die Umbrüche in Nordafrika für die Europäische Nachbarschaftspolitik bedeuten. Auch Möller zeigte sich zurückhaltend hinsichtlich der Rolle der EU. Die EU sollte bescheidener auftreten und zunächst „ihre Hausaufgaben machen“.
Sie müsse außerdem mehr tun, um die Veränderungen in der Region besser zu verstehen. „Drei Ls“ – listen, learn, liaise – seien dabei als Leitmotive vielleicht angebrachter als die „drei Ms“ – money, markets, mobility –, die die EU in der jüngsten Reform ihrer Nachbarschaftspolitik ambitioniert vorgeschlagen hat.
Man dürfe zudem den EU-internen Transformationsprozess nicht unterschätzen. Durch die Staatsschuldenkrise seien die Union und ihre Mitglieder selbst im Umbruch. Das werde auch Folgen für die europäische Außenpolitik in der Nachbarschaft haben, da die Union nun stärker mit sich selbst beschäftigt sei und bei den Anrainern als Modell regionaler Integration an Attraktivität eingebüßt habe.