Europa verändern – aber wie?

Expertenrunde im Deutschlandfunk

Datum
02 Juli 2014
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Argumentiert wurde vorrangig aus deutsch-französischer Perspektive und das Gespräch berücksichtigte unter anderem die Ergebnisse einer repräsentativen Meinungsumfrage, die im Auftrag der ARD und des DFJP in Deutschland und Frankreich durchgeführt wurde. Die Moderation übernahm Anne Raith, Redakteurin in der außen-und europapolitischen Redaktion des Deutschlandfunks. Anne Raith verwies einleitend darauf, dass sich die Europäische Union gegenwärtig zu einer „Zielscheibe für die Wut der Bürger“ entwickelte habe, was einen enormen Vertrauensverlust wiederspiegle.

Zu Beginn wurde diese Ausgangssituation vielfach relativiert und kritisiert.

Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin, betonte zunächst, wie viel Europas Bürger doch zusammenhalte und verbinde. Sie ging dabei zum einen auf historische „Erinnerungsmomente“ ein, zum anderen aber auch auf die europäischen Werte als „Exportschlager“. Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsidentin des Saarlandes und Bevollmächtigte für die deutsch-französischen kulturellen Angelegenheiten, prangerte analog dazu die beständige und oft ausschließliche Hervorhebung der Mängel in der öffentlichen Diskussion über die Europäische Union an. Sie kritisierte zudem, dass viele nationale Probleme auf die EU „abgewälzt“ würden, sodass man sich „nicht wundern müsse“, wenn Bürger dies aufgriffen. Auch Cécile Calla, Chefredakteurin der Zeitschrift „ParisBerlin“ und ehemalige Deutschland-Korrespondentin der Tageszeitung „Le Monde“, unterstrich, dass man anders über Europa sprechen müsse. Dies erklärte sie damit, dass beispielsweise französische Medien die Union während der Europawahlen entweder ignoriert oder diskreditiert hätten, was sie als Beitrag zum verbreiteten Euroskeptizismus wertete. Bezüglich der kontrovers diskutierten Besetzung des Amtes des EU-Kommissionspräsidenten 2014 erläutert Cécile Calla, dass zwar Fehler im Wahlkampf festzustellen seien – unter anderem wurden die Spitzenkandidaten in Gestalt von Juncker und Schulz nicht in allen Staaten wahrgenommen –, aber dennoch könne man von „riesigen Fortschritten“ sprechen. Auch Sebastian Hass, Public Affairs Manager Germany bei der Bombardier Transportation GmbH und Ehemaliger des Deutsch-französischen Zukunftsdialogs, bestätigte dies und hob das TV-Duell zwischen den politischen Konkurrenten positiv hervor.

Die Podiumsgäste boten unterschiedlichste Ansätze, wie die Europäische Union positiv verändert werden könne.

Bénédicte Savoy beschrieb zunächst eine Diskrepanz zwischen der doch recht aktiv und positiv gelebten „Praxis Europa“ – unter anderem durch Mobilität durch zum Beispiel Studien-Austauschprogramme – und der „Rhetorik Europa“, die sie als „sperrig“ und gar „unerträglich“ kritisierte. Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen konstatierte, dass das von Savoy positiv hervorgehobene gelebte Europa nur für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe zutreffe, der Rest aber Grenzen erlebe. Das bezog sie vor allem auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Sie forderte, dass man sich die Mühe machen müsse, Europa gesamtgesellschaftlich kulturell verständlich zu machen.

Auf die Frage, ob der „deutsch-französische Motor“ existiere bzw. noch funktioniere antwortete Annegret Kramp-Karrenbauer , dass der Motor „stottere“, aber laufe und eine der europäischen Antriebskräfte sei. Vor dem Hintergrund der repräsentativen Meinungsumfrage von ARD und DFJP, die offenbart, dass sich zwei Drittel der Deutschen und der Franzosen eine EU ohne Großbritannien vorstellen können, gab Annegret Kramp-Karrenbauer zu bedenken, dass diese Einstellung sehr „kurz gedacht“ und eigentlich nur eine Union mit dem Vereinigten Königreich denkbar sei.

Wie der Vertrauensverlust der europäischen Bürger konkret wettzumachen sei, war ein weiterer Aspekt der Diskussion.

Bénédicte Savoy äußerte hierzu, dass die Städtepartnerschaften intensiviert und alles dafür getan werden müsse, um Mobilität – bereits bei Kindern – zu fördern. Hinsichtlich der Themen wie Jugendarbeitslosigkeit und gemeinsame europäische Außenpolitik, entgegnete Annegret Kramp-Karrenbauer, dass es vor allem angesichts einer weltweiten Entwicklung, die europäischen Werten wie Demokratie und Freiheit entgegenläuft, nötig sei, sich außenpolitisch gemeinsam zu positionieren. Zudem beklagte sie, dass es noch keinen faktischen gemeinsamen Arbeitsmarkt gebe. Insgesamt stellte sie fest, dass eine grundsätzliche Entscheidung bezüglich der europäischen Entscheidungsprozesse getroffen werden müsse: Werden Probleme durch gemeinsame Abstimmungen gelöst, die noch mehr Abgabe staatlicher Souveränität forderten, oder durch Krisenmanagement zwischen Staats- und Regierungschefs? Qualifizierte Mehrheiten seien anstelle der Einstimmigkeit möglicherweise geeigneter, um dem Vertrauensverlust der europäischen Bürger etwas zu entgegenzusetzen. Sebastian Hass gab zu bedenken, dass es notwendig sei, eine europaweite Willkommenskultur zu schaffen, die zum Beispiel durch eine einfachere Anerkennung von beruflichen Abschlüssen oder eine Reform des Images von Behörden gelingen könne. So würden faktische und psychologische Hürden auf politischer, wirtschaftlicher und auf Verwaltungsebene abgebaut. Er prangerte zudem an, dass europaweit zu sehr „national“ bzw. insgesamt zu wenig diskutiert werde, was sich ändern müsse.

Zuletzt stellte Anne Raith die Frage, welchen Aspekt der EU die Referenten unmittelbar ändern würden, wäre Ihnen die Möglichkeit gegeben.

Bénédicte Savoy entschied sich für „alles“, was Mobilität und Austausch unterstütze. Sebastian Hass führte seine Vorstellung einer Willkommenskultur weiter aus. Annegret Kramp-Karrenbauer plädierte für eine vorrangige Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnis für „Praktiker“, die dafür sorgen sollten, dass nur solche Inhalte europaweit geregelt würden, die in der täglichen Praxis „brauchbar“ wären. Nötig wäre es ihrer Ansicht nach, nicht alles zu reglementieren, sondern sich auf die Aspekte zu beschränken, die letztendlich für alle eine Verbesserung und Vereinfachung brächten.

In der anschließenden Diskussion mit dem jungen Publikum aus Austauschprogrammen des Deutsch-Französischen Jugendwerks, Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Deutsch-französischen Zukunftsdialogs und Studierenden wurden Änderungsvorschläge der Podiumsgäste konkretisiert. So ging es etwa um frühe schulische Austauschprogramme schon für Grundschulkinder in Europa, den besonderen Stellenwert von Nachbarschaftsregionen, beispielhaft das saarländische Projekt, Kinder bilingual deutsch-französisch aufwachsen zu lassen, sowie das Potenzial der Städtepartnerschaften für einen ausbildungsbezogenen beruflichen Austausch von Jugendlichen.

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