Rollenwechsel

Der Arabische Frühling brachte islamistische Bewegungen an die Macht. Doch können sie auch pragmatisch regieren?

Datum
13 März 2012
Uhrzeit
-
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Die Realität war schneller als die Wissenschaft: Anfang 2012 erschien das neueste Buch von Nathan J. Brown, Politikprofessor an der George-Washington-Universität in Washington und Carnegie Middle East Scholar. Es trägt den Titel When Victory is not an Option: Islamist Movements and Semiauthoriarianism in the Arab World. Ein von Brown verfasstes Carnegie-Paper vom Januar 2012 heißt When Victory becomes an Option; da hatten die Muslimbrüder und ihre Bündnispartner gerade bei den ägyptischen Parlamentswahlen rund 45 Prozent der Stimmen errungen, kleinere Parteien aus dem Lager der Salafisten kamen auf knapp 25 Prozent der Sitze. Der Arabische Frühling hatte den Islamisten – zuvor jahrelang in der Oppositionsrolle im semiautoritären System Hosni Mubaraks – den Weg zur politischen Macht geebnet.

Doch gelingt den Muslimbrüdern die Wandlung in eine pragmatische politische Kraft? Das müsse sich zeigen, so Brown beim Expertengespräch, das von Dina Fakoussa-Behrens, Programmleiterin des EU-Middle East Forums der DGAP, und Almut Möller, Programmleiterin des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen der DGAP, moderiert wurde. Kernproblem der islamistischen Bewegungen sei derzeit die Doppelrolle als soziale und religiöse Bewegung und als politische Partei.

Fehlendes Gegengewicht

In Ägypten sei das Problem nicht so sehr, dass die Muslimbrüder stark seien, sondern eher, dass die anderen gesellschaftlichen und vor allem die säkularen Kräfte so schwach seien. „Die größte Herausforderung für die Transformation in Ägypten ist nicht, dass die Muslimbrüder demokratischer werden müssen. Sondern dass es kein Gegengewicht gibt“, sagte Brown. Die größte politische Herausforderung für die Muslimbrüder komme nicht aus dem säkular-liberalen Lager, sondern aus dem Lager der Salafisten. Diese stünden allerdings selbst vor der Herausforderung, bislang voll und ganz auf religiöse Integrität und Frömmigkeit gesetzt zu haben, nun aber plötzlich Teil des politischen Prozesses mit all seinen Kompromissen zu sein.

Die Muslimbrüder müssten nun zeigen, ob sie ihren religiösen Bezugsrahmen behalten und zugleich ökonomisch und außenpolitisch regierungsfähig sein könnten. Ein Testfall, so Brown auf eine Frage aus der Runde, sei das Verhältnis zu Israel. Mit Überraschung habe er zudem beobachtet, wie zügig es die Muslimbrüder geschafft haben, gegenüber Washington als verantwortungsbewusste Akteure aufzutreten. Selbst der konservative Senator John McCain habe ihnen inzwischen einen „like-letter“ geschrieben. Was die EU angeht, so sollten die Europäer keine allzu großen Erwartungen haben. Wahrscheinlich würden die Muslimbrüder eher introvertiert agieren, da sie im Wesentlichen mit sich und den Problemen in Ägypten beschäftigt seien.

Das Projekt der Islamisierung liegt auf Eis

Hat nun der Arabische Frühling sämtliche Analysen der islamistischen Bewegung in Ägypten von vor 2011 obsolet gemacht? Schließlich, so Fakoussa-Behrens, hätten sich die Rahmenbedingungen nun komplett verändert. Stimmt, räumte Brown ein – doch jene, die nun in den Parlamenten säßen, würden schließlich auf die Ideen und Programmatiken zurückgreifen, die lange vor 2011 entwickelt worden seien. Auf die Frage, ob mit dem Wahlsieg der Muslimbrüder das Projekt der „Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft“ nun auf Eis liege, antwortete Brown, die Muslimbrüder würden weiterhin auf ihre gesellschaftliche und soziale Arbeit mit islamischem Bezugsrahmen setzen. Auf politischer Ebene liege das Projekt aber tatsächlich auf Eis; die Muslimbrüder müssten erst in ihre neue Rolle und die damit verbundene Regierungsverantwortung hineinfinden. Ob und vor allem wie dieses Projekt wieder aufgenommen werde, müsse sich erst noch zeigen.

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Veranstaltung Forschungsprogramm
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