Russisch-amerikanische Beziehungen in der Sackgasse

Wolfgang Ischinger diskutiert mit Russland-Experten die Ergebnisse der Münchener Sicherheitskonferenz

Datum
21 Februar 2012
Uhrzeit
-
Einladungstyp
Nur für geladene Gäste

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Kein Reset

Als unnachgiebig und unversöhnlich charakterisierten die meisten Teilnehmer des Kamingesprächs des Berthold Beitz-Zentrums und der russischen Botschaft die Positionen der beiden Mächte. Die USA forderten in Syrien den Schutz der Menschenrechte, während Russland auf der Einhaltung des klassischen Völkerrechts beharre. Zwischen Moskau und Washington herrsche nach wie vor eine Stimmung wie im Kalten Krieg, so der Tenor.

Deutsche Regierungsvertreter warnten vor einem Scheitern des bevorstehenden NATO-Gipfels in Chicago. Die US-Politik sei durch den Wahlkampf paralysiert, Präsident Barak Obama könne den Russen bei der Raketenabwehr nicht entgegenkommen. Moskau, so der russische Botschafter Wladimir Grinin in seiner „Gegenrede“, betrachte die amerikanische Raketenabwehr nach wie vor als gegen sich gerichtet. Die iranische Bedrohung sei kein stichhaltiges Argument.

Angesichts solcher Missverständnisse zwischen den USA und Russland wundert es nicht, so die Analyse der Runde, dass die russische Initiative einer neuen Sicherheitsarchitektur von Wladiwostok bis Vancouver in einer Sackgasse steckt. Russland will zudem Kompromisse auf Augenhöhe erreichen und sich zu keinen einseitigen Zugeständnissen zwingen lassen. Es scheint, als betrachten beide Seiten ihre Beziehungen aus der Perspektive militärischer Nullsummenspiele.

Der Politikwissenschaftler Eberhard Schneider fragte nach der Rolle des NATO-Russlandrats: „Entweder funktioniert der Rat nicht, oder aber die Bedrohungswahrnehmungen sind falsch“. Ein Journalist äußerte Verständnis für Moskaus Misstrauen gegenüber der NATO – habe man in den Neunzigerjahren doch die NATO wider alle Versprechen bis an Russlands Grenzen ausgedehnt. Ein Parlamentarier hielt das wiederum für einen Mythos: „Die Balten wollten unbedingt in die NATO, nicht umgekehrt!“

Das Kamingespräch zeigte, dass die strukturellen Probleme die einst positive Rhetorik zwischen den Präsidenten Obama und Medwedew nun wieder überlagerten. Ischingers Resümee: „Es gab in München keinen Konsens. Das beginnende Jahr hat in der Frage, wie wir miteinander umgehen, tief enttäuscht“.

Streitpunkt Syrien

Russland „stellt sich gegen eine arabische Mehrheit, die den syrischen Staatschef Assad absetzen möchte“, waren sich mehrere Teilnehmer der Runde einig. Der russische Botschafter mahnte demgegenüber, die Entwicklung in Syrien genauer zu beobachten: Man sei, wie vor einem Jahr in Libyen, am Rand eines echten Bürgerkriegs, bei dem die Opposition inzwischen eine bewaffnete Partei darstelle. Das Völkerrecht dürfe nicht missbraucht werden, um Regierungen zu stürzen. Dies blieb nicht unwidersprochen: Das Völkerrecht dürfe auch nicht über den Menschenrechten stehen.

Karsten D. Voigt machte den Vorschlag, die Lage im Nahen Osten stärker aus machtpolitischem Blickwinkel zu betrachten. Es gehe nicht um Menschenrechte versus Diktatur. Die USA wollten ein sunnitisches Mehrheitsregime, Russland ziehe eine säkulare Diktatur Assads vor. Beide Interessen seien legitim.

Waren einige Experten der Meinung, dass Russland durch seine Waffenlieferungen an Damaskus die Menschenrechte missachte, betonten andere, dass es Russland darum gehe, einen NATO-Militäreinsatz wie in Libyen zu verhindern.

Russland und der Westen als Partner

Vieles deute darauf hin, dass 2012 sicherheitspolitisch ein dramatisches Jahr werde, so die Teilnehmer: In den USA, Russland und Frankreich fänden Präsidentschaftswahlen statt. Das Syrien-Veto sei nur ein Vorgeschmack, wie die Weltmacht China mit ihrer neuen Rolle umgehen werde – und das in einer Zeit, in der EU und USA schwächelten. Im Nahen Osten stünde die Welt zudem vor einem gefährlichen Doppelkonflikt – nicht nur in Syrien, sondern auch im Iran, sagte der Historiker Michael Stürmer. Die bange Frage laute: Wird Israel zuschlagen?

Russland-Experte Alexander Rahr fasste zusammen: Der Ost-West-Konflikt ist längst in einen Nord-Süd-Konflikt übergegangen. In Wahrheit stünden dabei angesichts der globalen Herausforderungen Russland und der Westen auf derselben Seite.

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