Dies ist die erste Mitgliederversammlung unserer Gesellschaft, also seit 1955, inmitten eines großen, brutalen Krieges in Europa. Wohl kaum einer von uns außenpolitisch Interessierten und Versierten hätte das möglich gehalten oder gar vorhergesagt, hätten wir hierzu vor einem Jahr dazu eine Umfrage gemacht. Dieser Krieg hat die meisten „Experten“ genauso kalt erwischt wie das Ende des Sowjetimperiums und die deutsche Wiedervereinigung vor gut 30 Jahren. Ich erwähne das, weil es uns mit Blick auf unsere „Expertise“, auf die wir so stolz sind, etwas demütig machen sollte. Das gilt natürlich nicht nur für Forschungsinstitute, Think Tanks, wie die DGAP, sondern vor allem auch für Politik und Wirtschaft, für die maßgeblichen Entscheider, die Operateure — deren Beratung wiederum uns ein wichtiges Anliegen ist.
Und natürlich ist dies die Stunde der DGAP, sie MUSS es sein!
Internationale Zusammenarbeit, Völkerverständigung und Toleranz zu fördern, auf der Basis von Analysen klar Stellung zu beziehen zu aktuellen Fragen und an der Diskussion aktiv teilzunehmen — das alles und einiges mehr wird in unserer Satzung als Zweck der DGAP festgehalten. Wenn Sie die Arbeit der DGAP und unsere Produkte seit dem russischen Angriff Ende Februar verfolgt haben, dann wissen Sie, wie aktiv unsere doch recht kleine Organisation in den letzten Monaten gewesen ist, mit zahlreichen Analysen & Briefings, Veröffentlichungen der IP und Foren bzw. Diskussionsveranstaltungen, wie etwa der mit dem außenpolitischen Berater des Bundeskanzlers hier im Haus letzten Montag, die ja erhebliches Medienecho und auch politisches Echo gehabt hat.
Auch das öffentliche Interesse an Außen- und Sicherheitspolitik hat in den letzten Monaten stark zugenommen, wie Sie am Beispiel der stark zunehmenden Abonnentenzahlen für die IP sehen können. Damit gewinnt auch die Arbeit unserer Regionalforen weiter an Bedeutung – für diese Arbeit ganz herzlichen Dank.
Wenn dies die Stunde der DGAP ist, kommt es jetzt darauf an, dass wir in dieser Situation maximale Wirksamkeit entwickeln, in all unseren Aufgabengebieten. Das diskutieren wir intern, in der Geschäftsführung, in Vorstand und Präsidium und hier sind wir natürlich auch für Anregungen und Kritik der Mitglieder dankbar.
Die Lage der DGAP ist nach wie vor gut, finanziell, inhaltlich und bald wieder auch personell, wenn wir ab 1. August unseren neuen CEO bzw. Direktor Guntram Wolff an Bord haben werden. Covid hat uns nicht aus der Bahn geworfen, sondern im Gegenteil neue Kreativität entfacht, auch wenn es jetzt sicher an der Zeit ist, wieder auf Präsenz im Haus und bei Veranstaltungen umzuschalten. Und, wie gesagt, die Nachfrage nach unseren Produkten war in den letzten Jahrzehnten selten so hoch wie zur Zeit.
Aber Quantität ist bekanntlich nicht gleich Qualität und wir müssen sicher weiter darauf achten, uns nicht zu verzetteln, sondern uns auf wesentliche Themenfelder fokussieren.
Von überragender Bedeutung ist jetzt ohne Zweifel die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die kritische Begleitung der sogenannten „Zeitenwende“, für Deutschland und für ganz Europa. Gab es in Deutschland vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 einen parteiübergreifenden Konsens, ja sogar eine Art Doktrin, dass Sicherheit in Europa nur mit Russland organisiert werden könne, so gilt es jetzt, auf lange Zeit zumindest, Europa vor einem aggressiven, neo-faschistischen russische Regime zu schützen, Sicherheit und militärische Verteidigung auf unserem Kontinent gegen Russland zu organisieren.
Die fast schon atemraubende Geschwindigkeit, mit der dieser Doktrinenwechsel vollzogen wurde, jedenfalls auf der deklaratorischen Ebene, sollte Politiker wie Wirtschaftsführer, aber auch Think Tanks, nicht der Notwendigkeit entheben, sich kritisch zu fragen, warum sie fast alle in Bezug auf Russland und Putins Absichten so granatenmäßig daneben lagen. Ich habe noch die Worte eines namhaften DAX-CEOs im Ohr, dessen Unternehmen die Abhängigkeit von russischem Gas viele Jahre vorangetrieben hatte, das alles — den Angriff Russlands auf die Ukraine — habe man bis zum 24. Februar doch nicht ahnen können… Warum wurden die Einschätzungen der baltischen und mancher osteuropäischen Regierungen weitgehend ignoriert, vor allem in Berlin? Und hat sich das eigentlich seit dem Beginn des Krieges wirklich geändert?
Wir sollten durchaus auch ein wenig kritisch auf unsere eigene Gesellschaft schauen und fragen, ob wir unsere Einsichten in die mafiöse und totalitäre Entwicklung des Putin-Regimes klar und nachdrücklich genug kommuniziert haben. Waren wir bereit, gegen den Strom zu schwimmen, gegen den die Gefährlichkeit Russlands lange verharmlosenden Zeitgeist? Einzelne unserer Wissenschaftler durchaus, aber hätten wir als Gesellschaft, als DGAP nicht mehr Aufklärungsarbeit leisten können und müssen?
Wenn wir nach vorne schauen, dann gilt es jetzt vor allem mit dafür zu sorgen, dass aus dem hochtrabend daherkommenden Begriff der „Zeitenwende“ tatsächlich eine nachhaltige und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattete Wende der deutschen Russland- und Sicherheitspolitik wird. Die Veranstaltung mit Jens Plötner hier im Haus hat jedenfalls den Eindruck verstärkt, dass eine echte Wende, trotz viel Tam Tam, im Kanzleramt gar nicht beabsichtigt wird. Viel gäbe es hier noch zu sagen, beispielsweise zur Bundeswehr und dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, aber ich verweise hier nur auf die hervorragenden Publikationen aus unserem Hause.
Eine persönliche Anmerkung. Ich habe in den letzten Monaten von einigen (wenigen) Mitgliedern Kritik zu hören bekommen, dass wir uns – und insbesondere ich als Präsident – zu stark politisch positionieren. Ich habe zu hören bekommen, es sei nicht Aufgabe der DGAP, klar öffentlich Position zu beziehen, auch gegen die Regierung. Die DGAP habe ein Forum zum Austausch unterschiedlicher Positionen anzubieten, dürfe aber nicht selbst in die Meinungsschlacht eingreifen, jedenfalls nicht die Spitze des Hauses.
Nun, diese Kritik ist weder durch die Satzung der DGAP gedeckt, noch durch die Praxis. Der uns allen bekannte, hochverehrte Karl Kaiser hat sich in den großen inhaltlichen Schlachten der 70er und 80er Jahre zum Atomwaffen-Sperrvertrag, zur Ostpolitik oder zur Nachrüstung, nie gescheut, klar Position zu beziehen und die politischen Debatten nach Kräften zu beeinflussen. Warum sollte das heute anders sein?
Die DGAP ist unabhängig und unparteiisch, so sagt es die Satzung. Und wir sind kein Ableger oder ausführendes Organ der Regierung oder des Auswärtigen Amtes. In den großen Fragen von Krieg und Frieden, die sich uns heute stellen, kann es kein Durchlavieren geben und kein Einknicken vor Fürstenthronen, sondern wir müssen unsere ganze Expertise zum Wohle unseres Landes und unserer Bündnispartner mobilisieren. Jetzt und unverzüglich. Ich fürchte, wir sind sehr nahe an einem großen Krieg und doch denkbar schlecht darauf vorbereitet. Einen „sense of urgency“ kann ich nirgendwo erkennen.
Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich das ändert. Kritisch, sachlich und in bester Qualität.