Diese Gelegenheit hat sich Trump nicht entgehen lassen. Früh im Jahr hält der US-Präsident eine Rede über die Lage der Nation vor dem Kongress. Trotz aller Kritik steht Trump nicht so schlecht da: Er reklamiert den wirtschaftlichen Aufschwung für sich. Mit Reformen in der Immigrationspolitik und Investitionen in die Infrastruktur setzte er auf Projekte, in denen Kompromisse mit dem Kongress greifbar sind. Damit hat Trump auch die Zwischenwahlen im November im Blick.
Bei Donald Trumps Reden möchte der kritische Geist sich gerne fremdschämen. Die Chancen standen auch bei der State of the Union gut, dass der Commander in Tweet plötzlich frei reden, Drohungen und Selbstlob übertreiben, lügen oder peinliche Unkenntnis beweisen würde. Selbst wenn es wie am Dienstagabend vom Teleprompter geht, liefert Trump gern Einblick in seine einfache Weltsicht.
Die State of the Union Rede war demgegenüber beinahe langweilig, denn es gab wenig Entgleisungen und bei aller Prahlerei kaum eklatante Lügen. Die Rede war mit 80 Minuten viermal so lang wie seine Inaugurationsrede vor einem Jahr. Trump konnte mit dem Verweis auf den „Amerikanischen Moment“ und die Stärke der Amerikaner nationales Pathos aufbauen. Sein Ziel für das kommende Jahr, so betonte er, ist Einigkeit über Parteigrenzen hinweg.
Überraschend: Donald Trump ist im Aufwind
Klar, die Bilanz seines ersten Jahres ist schwach. Michael Wolffs Buch „Fire and Fury“ hat Trump als kindlichen Kaiser beschrieben, der von seinem Team im Zaum gehalten wird. Die Untersuchung über die Zusammenarbeit der Republikaner mit Russland vor der Wahl ist noch lange nicht vorbei und wirft einen Schatten auf seine Präsidentschaft. Trump legt sich darüber mit dem FBI an. Viel Aufmerksamkeit richtet sich auf frühere Affären und eine vermeintliche Ehekrise. Trumps Unterstützung in den Umfragen ist dauerhaft im Keller, und – anders als andere Präsidenten selbst in schlechten Zeiten – steht er einer großen Zahl von Amerikanern gegenüber, die sich klar gegen ihn aussprechen.
Aber die republikanischen Wähler unterstützen ihn mehrheitlich. Und die Demokraten haben noch keinen Weg gefunden, sich an die frustrierten Amerikaner zu wenden, die Trump ins Amt gebracht haben. Diese schauen immer noch auf Trump, der mit seinen Eskapaden unterstreicht, dass er eben kein traditioneller Politiker ist. Das finden viele Wähler gut: Sie wollen eher Bewegung in der Politik sehen, und in der Wirtschaft.
„Make America Great Again“ hat angeschlagen
Trump kann den Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft für sich reklamieren und musste dafür in seiner State of the Union nicht viel zurechtbiegen. Die Wirtschaft, ohnehin seit der Finanz- und Wirtschaftskrise auf dem stetigen Weg der Gesundung, freut sich über Deregulierung und kommende Investitionen – eine Strategie, die Trump konservative Unterstützung sichert. Die Aktienmärkte legen tatsächlich Rekorde vor, was viele Kommentatoren angesichts der wirtschaftsfreundlichen Agenda erwartet haben. Das zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt: „Wir haben 2,4 Millionen Jobs geschaffen“ macht auch bei denen Eindruck, die noch keinen haben. Die Arbeitslosenzahlen sind schon lange stabil niedrig, aber in seinem ersten Jahr nochmal etwas auf 4,1 Prozent gesunken. Das Wirtschaftswachstum 2018, etwas nachgelassen im 4. Quartal, war deutlich höher als im Vorjahr. Dass Obama diese Erholung und auch das Wachstum am Arbeitsmarkt wesentlich eingeleitet und vorangetrieben hat, verschweigt Trump gerne. Doch zugleich hat er im vergangenen Jahr in dieser Hinsicht wenig falsch gemacht und schreibt sich den Erfolg in die eigene Bilanz.
Die Regierung hat eine Steuerreform durchgeritten, die zunächst einmal vielen Amerikanern mehr Geld in die Taschen spült. Sie ist zwar nicht die „größte in der amerikanischen Geschichte“, wie Trump reklamiert, aber sie ist das eine Versprechen aus seinem Wahlkampf, das er gehalten hat. Die Finanzierung für die Reform ist noch offen, aber Wenige werden sich mit Blick auf die Lohnabrechnung Sorgen um die Staatsverschuldung machen.
Selbst die gescheiterte Ablösung von Obamacare hat Trump versucht, zum Erfolg umzumünzen: Der Kongress habe gerade die Strafzahlungen für unversicherte Amerikaner abgeschafft, und das sei ja der Kern von Obamacare gewesen, so Trump.
„Make America Great Again“ hat erstmal angeschlagen.
Trump braucht die Zusammenarbeit mit den Demokraten
Aber Trump ging es, wie er betonte, in seiner Ansprache vor dem Kongress auch um Einigkeit, und die hat er 2018 dringend nötig. Für die Immigrationsreform und die Investitionen in die Infrastruktur braucht die Exekutive die Kooperation mit den Demokraten im Kongress. Die Regierung hat gerade einige Tage eines Shutdown mit einem stillgelegten Regierungsapparat hinter sich und verhandelt immer noch über den laufenden Haushalt. Damit geht es nur weiter mit einer Einigung auf eine Einwanderungsreform.
Trump skizzierte einen Kompromiss in der Migrationspolitik, der 1,8 Millionen illegalen Einwanderern, die als Kinder in die USA gekommen sind – den sogenannten dreamers – , die Staatsbürgerschaft in Aussicht stellt. Im Gegenzug fordert er allerdings härtere Maßnahmen im Grenzschutz, ein Ende der Visa-Lotterie und Beschränkungen beim Familiennachzug. Bei diesen beiden Themen gibt es nur mit einer überparteilichen Einigung Fortschritte.
Jetzt geht es Trump um das nächste große Vorhaben, nämlich 1,5 Billionen Dollar in Infrastrukturprojekte zu stecken. Das schafft Jobs in Amerika und verspricht Entwicklung in Regionen, die von der Globalisierung abgehängt waren.
Das Vorhaben ist ein zweischneidiges Schwert für die Demokraten, denn das dafür nötige Geld kommt nicht nur aus der Bundesebene, sondern erfordert auch große Zuschüsse von den Bundesstaaten, Kommunen und der Wirtschaft. Als die Demokraten unter Obama Ähnliches verlangten, hatten die Republikaner dies verhindert.
Das republikanische Projekt jetzt ist noch größer angelegt. Es richten sich viele Hoffnungen darauf. Die Demokraten werden Gegenleistungen für ihre Zustimmung heraushandeln wollen. Gleichzeitig dürfen sie sich nicht zum Verhinderer stempeln lassen, wenn sie nicht den Kontakt zum weißen Mittelstand verlieren wollen – gerade weil im Herbst die Zwischenwahlen anstehen.
Trumps Rechenspiel könnte aufgehen
Trump zeigt auch Selbstbewusstsein gegenüber dem Kongress. Und er will sich mit dem Blick auf die wirtschaftlichen Erfolge Freiräume an anderer Front schaffen: Beim Russland-Dossier. Der Kongress hat ihm auferlegt, neue Sanktionen gegen Russland zu beschließen. Trump reagierte darauf in den letzten Tagen zurückhaltend; die bestehenden Sanktionen würden ausreichen, verlautete er. Ein weiterer Affront: Der CIA-Direktor traf in der vergangenen Woche den Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, der eigentlich selbst Sanktionen unterliegt.
Das sind schon Ohrfeigen für den Kongress, wo Trump scharf kritisiert wird – zumal die FBI-Untersuchung über mutmaßliche Verbindungen von Trumps Wahlkampagne mit Russland und die vermutete russische Einflussnahme auf die Wahl wie ein Damoklesschwert über Trump hängt.
Er pokert darauf, die Glaubwürdigkeit des FBI zu untermauern und die Behörde als gegen ihn voreingenommen darzustellen. Diese Strategie mag seine Position zwar in der Öffentlichkeit stärken, doch sie beschädigt das amerikanische System. Sie ist nur möglich, weil der Präsident mit einem wirtschaftlichen Aufschwung um seine Wähler buhlen kann. Trumps State of the Union zeigt aber: Sein Rechenspiel könnte aufgehen.