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03. Mai 2012

Transatlantische Beziehungen: Wenn Außenpolitik zu Innenpolitik wird

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Trotz der Uneinigkeit zwischen den beiden großen Parteien einerseits und den rechts- und linksradikalen Parteien andererseits über die künftige Ausgestaltung der transatlantischen Beziehungen hat das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Alle Parteien haben sich jedoch bei der Organisation des Wahlkampfs an den USA orientiert.

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Am 13. September 2006 hat Nicolas Sarkozy in Washington in demonstrativer Art und Weise mit der kritischen Haltung Frankreichs gegenüber der USA-Invasion in den Irak 2003 gebrochen. Sodann präsentierte er sich als pro-amerikanischer Kandidat. Eine Tendenz französisch-amerikanischer Annäherung war zwar schon unter dem Präsidenten Chirac im Hinblick auf die  Libyen- und Syrien-Problematik erkennbar, der Bruch Sarkozys kontrastierte jedoch stark mit der Haltung der Präsidentschaftskandidatin 2007 des Parti socialiste (PS), Ségolène Royal. 2012 scheint Nicolas Sarkozys stärkster Rivale, der PS-Kandidat François Hollande, die Tendenz der Annäherung unauffällig fortführen zu wollen. Die beiden Hauptkandidaten sind sich also einig darüber, wie die Beziehung zu den USA gestaltet werden soll, und die transatlantischen Beziehungen scheinen folglich von keiner großen Bedeutung für den Präsidentschaftswahlkampf zu sein. Nur die Kandidaten der links- und rechtsextremen Parteien zeigen den klaren Willen, mit den USA zu brechen, machen jedoch ebenfalls daraus kein großes Wahlkampfthema.

Auch wenn das Thema USA in den Debatten zur internationalen Politik quasi abwesend ist, ist es durchaus Teil einer innenpolitischen Debatte in Frankreich: Die USA dienen hierbei abwechselnd als positives oder negatives Modell in den Wahlprogrammen als auch für die Durchführung der Wahlkampagnen selbst.

Es gilt folglich zu verstehen, warum die USA, trotz ihrer Quasi-Abwesenheit im Hinblick auf außenpolitische Fragen, dennoch von Relevanz für die französische Politik und den Wahlkampf sein könnte.

Zwischen Einigkeit und Spaltung

Nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl im Mai 2007 wählte Nicolas Sarkozy die USA für einen seiner ersten Antrittsbesuche. Der Streit über den Irak-Krieg schien vergessen, Nicolas Sarkozy und George Bush machten gute Miene zu einem bislang schwierigen Spiel der französisch-amerikanischen Freundschaft. Doch ganz dem amerikanischen Sprichwort zufolge „Actions speak louder than words“, ließ Sarkozy seiner neuen außenpolitischen Orientierung gegenüber den USA auch Taten folgen: Mit der Entsendung zusätzlicher Truppen nach Afghanistan im Jahr 2008 und der Entscheidung, Frankreich durch eine Rückkehr in die Kommandostruktur erneut zu einem Vollmitglied der NATO zu machen, bekräftige Sarkozy seinen Entschluss, die französisch-amerikanische Freundschaft wiederzubeleben und erzeugte das Bild einer neuen amerikanisch-französischen Geschlossenheit auf internationalem Parkett. Jedoch war sich Nicolas Sarkozy während seines Mandats nicht in allen Fragen mit den USA einig. Dies gilt insbesondere für die weitere Truppenaufstockung für Afghanistan 2009 oder für die Libyen-Intervention. Frankreich versuchte hierbei nämlich zunächst, die Rolle der NATO einzuschränken. Dass Nicolas Sarkozy eine gewisse Annäherung an die USA und die Unabhängigkeit Frankreichs getreu der Gaullistischen Tradition in Einklang zu bringen versucht, ist durchaus erkennbar.  Der Grund hierfür sind interne Spaltungen der parlamentarischen Rechten in Gaullisten und NATO-Anhängern, weshalb aus den transatlantischen Beziehungen folglich auch nur mühevoll ein Wahlkampfthema gemacht werden konnte.

Sein Hauptrivale, François Hollande, bleibt zu diesen Fragen diskret und scheint, mit der USA-Politik Nicolas Sarkozys nicht brechen zu wollen. So wird die Wiedereingliederung Frankreichs in die Militärstruktur der NATO nicht in Frage gestellt. Die mittelbare Kontaktaufnahme zwischen Obama und Hollande macht zudem die Sorge Hollands deutlich, die Beziehungen zu den USA, trotz seines gewünschten frühzeitigen Truppenabzuges aus Afghanistan bis 2012 aufrechterhalten zu wollen. Diese Gradwanderung Francois Hollandes lässt sich ebenfalls mit internen Spaltungen in NATO-Anhänger und USA-Kritikern (wie beispielsweise Hubert Védrine, ehem. Minister im Außenministerium unter der Regierung Jospin) innerhalb seiner Partei erklären.

Die Tatsache, dass sich die beiden Hauptkandidaten zum Thema transatlantische Beziehungen einig sind, erklärt teilweise die Stille um das Thema im Präsidentschaftswahlkampf 2012. Und dies trotz des Willens der links- und rechtsextremen Parteien mit der Politik der USA zu brechen. So ist der Austritt Frankreichs aus der NATO das gemeinsame Ziel der Front de Gauche, des NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) aber auch des Front National und des „Debout la République“. Die Ersteren sehen die USA als hegemonistische Macht an, die Letzteren wünschen den Austritt aus Angst vor einem Verlust der Unabhängigkeit. Auch wenn die kleineren Parteien einen Einfluss im Wahlkampf haben – der Front national landete im ersten Wahlgang auf dem dritten Platz – wird dieses Thema in den Wahlprogrammen der Parteien nur wenig ausgeführt. Die linksextremen Parteien stützen ihre Aussagen vor allem auf eine sozio-ökonomische Rhetorik, der Front national auf die Themen Einwanderung und Sicherheit. 

Die Einigkeit der Parteien zu den transatlantischen Beziehungen erklärt die Quasi-Abwesenheit des Themas nur teilweise. Es ist vielmehr die Allgegenwärtigkeit wirtschaftspolitischer Fragen in Frankreich, das von der Wirtschaftskrise hart getroffen wurde, welche internationale Fragestellungen in den Hintergrund rücken lässt. Dies erläutert auch Régis Debray in der Le Monde-Kolumne « L’inquiétant oubli du monde », in der er die pro-amerikanischen Tendenzen des letzten Quinquennat als mangelnde Kritik der Sozialisten gegenüber den USA stark kritisiert.

Auch wenn es eine Debatte zu den USA gibt und eine Positionierung der Kandidaten erkennbar ist, so geschieht dies in einem eingeschränkten Rahmen, so zum Beispiel in der Revue de Défense Nationale. Hier sind es vor allem finanzielle Aspekte, wie die Höhe des französischen Verteidigungsbudgets, die die Debatte dominieren. Dies leuchtet ein, zumal die finanziellen Kapazitäten Frankreichs entscheidend dafür sind, welche Rolle Frankreich in der Welt spielen kann und ob ein Bruch Frankreichs mit der USA-Politik möglich erscheint.

Die USA als Modell und innenpolitisches Thema

Gleichwohl spielen die USA als politisches und wirtschaftliches Modell sowie als Quelle internationaler Glaubwürdigkeit indirekt eine Rolle im Wahlkampf. Für Nicolas Sarkozy, der eine französische und europäische Antwort auf den «Buy business act» in seiner Rede in Villepinte angekündigt hat, stellt die USA vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht ein Modell für Frankreich dar. So diente der Verweis auf die USA dieses Mal nicht dem Zweck, sich von der USA zu distanzieren, sondern dem der Betonung seines Willens, die Rolle des Staates als Hüter der nationalen Wirtschaft zu bekräftigen.

Die USA dient zudem auch als Modell für die Wahlkampagnen selbst. Die PS-Kampagne ist direkt von der Kampagne Obamas im Jahr 2008 inspiriert, was besonders die Vorwahlen des PS aber auch die Verwendung neuer Medien zeigen. Zudem wurde der Stimmenfang in erheblichem Ausmaß auch von Tür zu Tür durchgeführt.

Das Land und seine ehemaligen Präsidenten dienen darüber hinaus auch den Reden der Kandidaten. Während Sarkozy Richard Nixon zitierte und die „schweigende Mehrheit“ beschwor, forderte Hollande seine Landsleute mit Worten John F. Kennedys auf, zu einer „neuen Grenze“ aufzubrechen. Sarkozys „schweigender Mehrheit“ hielt er eine „Mehrheit des Volkes“ entgegen. „Diese Mehrheit wird nicht schweigend sein, sie wird wagemutig sein“, versprach Hollande, dessen Berater inzwischen Mühe haben, die Vorfreude auf den Sieg zu zügeln, der dem Sozialisten von allen Umfrageinstituten in der zweiten Runde der Wahl prophezeit wird.

Schließlich spiegelt die USA als stärkste Macht der Welt das internationale Format vor allem derjenigen Kandidaten wider, die sich mit politischen Größen der USA öffentlich gezeigt haben. Dieser traditionelle Aspekt in Wahlkampagnen spielt 2012 eine größere Rolle, angesichts der unterschiedlichen Curricula des amtierenden Präsidenten Nicolas Sarkozy und seinem sozialistischen Hauptrivalen François Hollande, deren Kritiker ohne Unterlass auf seine fehlende internationale Ausrichtung verweisen. Nicolas Sarkozy hat beispielsweise versucht, seine internationale Erfahrung und die Beziehungen zu seinem US-amerikanischen Amtskollegen Barack Obama –welcher von den Franzosen geschätzt wird – in einem gemeinsamen Interview am 4. November 2011 aufzuwerten. Marine Le Pen und François Hollande haben sich ebenfalls in die USA begeben. Ihr Versuch eine politische Größe der USA oder sogar den Präsidenten zu treffen, blieb jedoch vergebens.

Paul Jutteau ist Praktikant an der DGAP und studiert an der Ecole Normale Supérieure de Paris (ENS Ulm) und an der Sorbonne (Paris 1).

Julia von Studzinski ist Mitarbeiterin im Programm Frankreich/Deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP).

Bibliografische Angaben

Jutteau, Paul, and Julia von Studzinski. “Transatlantische Beziehungen: Wenn Außenpolitik zu Innenpolitik wird.” May 2012.

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