Memo

20. März 2024

Strategie im Sahel: Deutschland sollte sich für eine pragmatischere Zusammenarbeit einsetzen

Abbildung: Svenja Schulze, Sahel Alliance
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Als einer der führenden internationalen Geldgeber in der Sahelregion steht Deutschland vor einem Wendepunkt. Die Staatsstreiche in Burkina Faso, Mali und Niger erschweren die Zusammenarbeit und machen strategische Anpassungen notwendig. Angesichts dessen muss sich die Bundesregierung dringend für ein pragmatischeres Vorgehen einsetzen, ohne die Putsche zu legitimieren. Dazu gehören konkrete Instrumente wie datengestützte Analysen des bisherigen Engagements, die Messbarkeit von (Miss-)Erfolgen und eine klare Prioritätensetzung. 

PDF

Share

Armut, gewaltsame Konflikte, Klimawandelfolgen und Terrorismus – die Sahelzone ist mit multiplen Krisen konfrontiert. Dazu reihen sich zahlreiche Staatsstreiche, die die politische Instabilität verschärfen. Nach Mali 2020 und 2021 und Burkina Faso 2022 kam es 2023 zu einem Putsch im westafrikanischen Niger. Angeführt von General Abdourahamane Tiani übernahm das nigrische Militär die Macht und stürzte die demokratisch legitimierte Regierung von Mohammed Bazoum. Seither ist Deutschland ohne Schlüsselpartner in der Region. Gegenwärtiges sowie zukünftiges Engagement wird schwieriger und die Verwirklichung der deutschen Ziele immer unwahrscheinlicher. 

Die deutschen Ziele in den Sahelstaaten umfassen nachhaltige Entwicklung, Sicherheit und Stabilisierung. Sie speisen sich sowohl aus einem globalen Verantwortungsbewusstsein als auch aus Eigeninteressen, denn es besteht die Gefahr von Spill-over-Effekten. Die Sicherheitslage in der Region kann direkte Folgen für Deutschland haben. Burkina Faso, Mali und Niger zählen zu den zehn Ländern, die am stärksten von Terrorismus betroffen sind. Der „Islamische Staat – Sahel Provinz“ und der Al-Qaida-Ableger „Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin“ sind in der Region tätig und bauen ihren Einfluss kontinuierlich aus. Zudem verläuft eine der zentralen Fluchtrouten vom Sahel über Libyen nach Europa. Obwohl die wenigsten afrikanischen Flüchtlinge diese Mittelmeerroute nutzen, nahm die Zahl zuletzt wieder zu

Viel Engagement, wenig sichtbarer Erfolg 

Vor diesem Hintergrund beteiligt sich die Bundesregierung im Rahmen eines vernetzten Ansatzes an zahlreichen Projekten:  

Zum einen setzt sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Entwicklungszusammenarbeit ein. Mit einem Gesamtvolumen von über drei Milliarden Euro bildet sie das Herzstück des deutschen Engagements im Sahel. Sie wird aufgrund der volatilen Sicherheitslage gerne in Kooperationen mit lokalen Akteuren durchgeführt und zielt auf eine nachhaltige Besserung der Lebensumstände ab.  

Daneben engagiert sich das Auswärtige Amt mit 246 Vorhaben vor allem in den Bereichen Stabilisierung und humanitäre Hilfe. Das Ministerium verfügt über eine eigens eingerichtete Abteilung, die die Vorhaben häufig zusammen mit internationalen Organisationen umsetzt. Hierbei wird Stabilisierung als ein integrierter Ansatz mit sowohl facettenreichen zivilen Projekten als auch militärischen Mitteln verstanden, der besonders prominent in multilateralen Missionen wie EUTM Mali, EUCAP Sahel und MINUSMA zum Tragen kam. Stabilisierung ist dabei nicht neutral. Mit diesem Instrument wird für diejenigen Akteure Partei ergriffen, die friedliche Lösungen anstreben. Das unterscheidet Stabilisierung von humanitärer Hilfe, die im Einklang mit den humanitären Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit vergeben wird. Sie richtet sich an Menschen in krisenbedingten Notlagen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. In Burkina Faso, Mali und Niger sind das derzeit 17,9 Millionen und damit 33,58 Prozent mehr als 2020.  

Bild

 

Problematisch hierbei ist, dass es an einer ministeriumsübergreifenden Datenbank mangelt, die eine Übersicht über das deutsche Engagement, die eingesetzten Maßnahmen, ihre Ziele und Fortschritte gibt. In Anbetracht dessen wird im Folgenden eine Kategorisierung der deutschen Hilfsgelder vorgenommen, die verdeutlicht, dass Burkina Faso, Mali und Niger gleichzeitig in unterschiedlichen Bereichen unterstützt werden. Allerdings variiert die Ausgestaltung der Unterstützung stark – zwischen den Ländern und über die Zeit hinweg. Sie passt sich an den Krisenkontext an. Je stabiler der Kontext, desto mehr Hilfszahlungen werden getätigt und umgekehrt. Das gilt zu Unrecht auch für die humanitäre Hilfe und wird insbesondere anhand der Staatsstreiche deutlich, die als Ausdruck des Scheiterns der Maßnahmen bewertet werden. Obwohl einzelne Bestrebungen positive Auswirkungen für den unmittelbaren Wirkkreis hatten, wurden die übergeordneten Ziele nicht erreicht. Als Reaktion und Ausdruck politischer Konditionalität überprüfte die Bundesregierung daraufhin die Zusammenarbeit mit Burkina Faso, Mali und Niger und setzte sie in den vergangenen Jahren in Teilen aus. 

Fehlt die Strategie, sinkt die Unterstützung vor Ort 

Die Bundesregierung sucht aktuell nach Möglichkeiten, sich künftig weiter in der Sahelregion einzubringen. Während die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten, ECOWAS, als regionaler Partner die Sanktionen gegen die Putschisten aufhob, bleibt Deutschland jedoch vorsichtig, um nicht den Anschein der Billigung unrechtmäßiger Machtübernahmen zu erwecken.  

Parallel dazu signalisieren die Empfängerländer, dass die möglichen Spielräume für künftiges Engagement kleiner werden. Ohne die Einwilligung der aktuellen Militärregierungen ist die deutsche Unterstützung, ob werte- oder interessensgeleitet, nur beschränkt möglich. Diese Regimes wenden sich jedoch immer mehr vom Westen ab. Sie bewegen langjährige Partner wie Frankreich zum Gehen, beenden zivile wie militärische Maßnahmn und setzen für Europa wichtige Abkommen wie das Anti-Schleuser-Gesetz (Gesetz 2015-36) außer Kraft. Austritte aus Regionalorganisationen werden unter anderem mit dem Einfluss ausländischer Mächte begründet und die Bedingungen für die Kräfte vor Ort erschwert. 

Obwohl Russland für diese Entwicklung nicht federführend verantwortlich gemacht werden kann, ist das Land gemeinsam mit anderen wie China, Iran und der Türkei geopolitischer Nutznießer. Es füllt das Machtvakuum, das durch die westlichen Mächte hinterlassen wurde, und präsentiert sich als alternativer Partner. Das wird auf verschiedenen Ebenen deutlich: (militärische) Auslandshilfen nehmen zu, Wirtschaftsbeziehungen werden intensiviert und die paramilitärische Wagner-Gruppe steigert ihre Präsenz in der Region.  

Die Folgen von Frankreichs Einflussverlust 

Das Sicherheitsumfeld in der Sahelregion unterliegt einem signifikanten Wandel. Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Bedingungen und dem steigenden Einfluss von Akteuren wie Russland muss die Bundesregierung zeitnah ihre Rolle überdenken. Sie benötigt eine klare Vorstellung, wofür die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, Stabilisierungsmaßnahmen und humanitäre Hilfe geeignete Mittel sind und wie sich ihr Erfolg bemisst. Werden hier nicht eindeutige Prioritäten definiert, wird es nicht gelingen, sich neu zu positionieren: als bilateraler Partner und attraktive Alternative zu Russland und als Teil multilateralen Engagements.  

Dies ist insbesondere seit dem vollständigen Abzug Frankreichs aus Westafrika von Relevanz. Einerseits kann dies für Deutschland die Möglichkeit bedeuten, traditionelle Abhängigkeiten zu überwinden und neue Partnerschaften auf Augenhöhe zu etablieren. Andererseits stellt der Rückzug eine signifikante Herausforderung dar, da Frankreich bisher wichtiger Impulsgeber und außenpolitischer Partner in Sicherheitsmissionen und -operationen war – nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für die UN und EU. Die Europäische Union beispielsweise folgte lange Zeit dem französischen Kurs, der nicht von allen Mitgliedstaaten mitgetragen wurde. Die derzeitige Situation mit zunehmenden antifranzösischen Ressentiments zeigt allerdings, dass ein solches Vorgehen künftig unerwünscht ist. Die lokalen Behörden und Bürger:innen distanzieren sich und es liegt an der EU, einen eigenen Ansatz zu finden, der die diversen Interessen der Mitgliedstaaten berücksichtigt.  

Fazit und Handlungsempfehlungen 

Deutschland steht vor der komplexen Herausforderung, eine angemessene Balance im Umgang mit den militärischen Übergangsregierungen in der Sahelzone zu finden. Angesichts der prekären Sicherheitslage ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bundesregierung nicht länger abwartet und schnellstmöglich handelt. Dabei gilt es einerseits die Legitimierung von Staatsstreichen durch Unterstützungszahlungen an die Zentralregierungen entschieden zu vermeiden. Andererseits muss ein Konzept ausgearbeitet werden, dass die pragmatische Zusammenarbeit mit Burkina Faso, Mali und Niger ermöglicht. Die Reise der Bundesentwicklungsministerien nach Westafrika ist eine erste Bestrebung in die richtige Richtung.  

Um eine längerfristige Strategie zu entwickeln, sind neben dem häufig genannten Ansatz der zivilgesellschaftlichen Kooperation drei konkrete Punkte hilfreich:   

Aufbau einer umfassenden ministeriumsübergreifenden Datenbank: Deutschland sollte in eine allgemein zugängliche, ministeriumsübergreifende Datenbank investieren. Diese Maßnahme würde die Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit verbessern und eine evidenzbasierte Vorgehensweise unterstützen. Mithilfe detaillierter Datenauswertungen könnten zielführende Partnerschaften identifiziert und weniger wirksame Vorhaben reduziert beziehungsweise beendet werden.  

Klare Prioritätensetzung: Die Bundesregierung muss klare strategische Prioritäten für ihr Engagement in der Sahelzone festlegen. Diese sollten die Grundlagen für eine multilaterale Beteiligung bilden, die Wahl der (lokalen) Partner leiten und bei der Ermittlung geeigneter Maßnahmen unterstützen. Zudem können die Prioritäten als Richtlinien für die Wirkungsmessung fungieren, da sie verdeutlichen, wo jeweils geostrategische, sicherheitspolitische oder humanitäre Beweggründe von Relevanz sind.  

Messbarkeit von Erfolgen und Misserfolgen: Um die Wirksamkeit der bisher implementierten Projekte zu bewerten und von ihnen zu lernen, sollte die Bundesregierung klare Leistungsindikatoren für die jeweiligen Prioritäten definieren. Diese Indikatoren, ähnlich wie die der Weltbank, sollen Fortschritte messbar machen und die Grundlage für eventuelle Kurskorrekturen bieten. 

Bibliografische Angaben

Hoffmann, Pauline. “Strategie im Sahel: Deutschland sollte sich für eine pragmatischere Zusammenarbeit einsetzen .” DGAP Memo 4 (2024). German Council on Foreign Relations. March 2024. https://doi.org/10.60823/DGAP-24-40502-de.

ISSN 749-5542

Lizenz