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11. Dez. 2024

Rückkehr-Debatte nach Syrien: Weniger Charter, mehr Chancen

Syrerinnen feiern in Duisburg
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Die Rückkehr-Debatte zu Syrien zeigt drei Arten von Forderungen: die nötigen, die unnötigen und die fehlenden. Nötig ist eine Pause neuer Asylentscheidungen und die Prüfung freiwilliger Rückkehrförderung. Unnötig sind Charterflüge und Diskussionen zum Widerruf von Schutz, da diese verfrüht sind und falsche Erwartungen wecken. Stattdessen braucht es erstens die Einbindung syrischer Diasporaorganisationen in eine Wiederaufbau-Konferenz und zweitens Migrationsdiplomatie mit der Türkei. Unrealistische Schnellschüsse schaden der Debatte und dem Wiederaufbau.

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Geschmacklos und voreilig – so die Meinung vieler Kommentatoren über die Vorstöße einiger Politiker zur Rückkehr von Syrern. Die Geschwindigkeit und Reichweite der Forderungen waren in der Tat befremdlich. Kaum war Assad geflohen und die ersten Bilder erreichten uns, wie freudestrahlende Syrer an die Grenzübergänge im Libanon und in der Türkei drängten, schon preschten die ersten vor. Sofort alle zurück, schallte es aus der AfD. Charter und Startgeld für alle willigen Rückkehrer, hieß es in der Union

Doch die berechtigte Kritik an diesen Vorstößen mischt sich, wie so oft bei der Migrationspolitik, mit reflexhafter Ablehnung. Eine Bestandsaufnahme zeigt: Die Forderungen der letzten Tage fallen in drei Kategorien: die nötigen, die unnötigen und die fehlenden.

Nötig ist, erstens, die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die 47.000 offenen Asylverfahren zu pausieren, bis eine neue Bewertung der Lage in Syrien vorliege. Zwar schafft die Entscheidung Unsicherheit in der syrischen Gemeinschaft, aber sie ist unumgänglich, um rechtssichere Asylentscheidungen zu fällen. Andere europäische Länder tun dasselbe. Abwarten und neu bewerten ist die richtige Devise.

Ebenfalls nötig ist, zweitens, die Forderung, die freiwillige Rückkehr nach Syrien zu fördern. Denn seit Jahren besteht Ungleichheit: Die Bundesregierung fördert mit dem Reag-Garp-Programm und dem Starthilfe-Plus-Programm Rückkehrer in viele krisengeplagte Länder der Welt. Iraker, Iraner, Ägypter, Nigrer, Venezolaner – sie alle können Geld und ein Flugticket nach Hause beantragen, aber Syrer nicht. Bund und Länder, die diese Programme gemeinsam verantworten, sollten daher prüfen, wann sie Syrien wieder in ihre Länderliste aufnehmen können, und diese Information transparent in die syrische Gemeinschaft kommunizieren.

Unnötig sind hingegen Charter für freiwillige Rückkehrer. Das würde wenig zusätzlichen Nutzen für betroffene Syrer, aber hohe zusätzliche Kosten für Deutschland schaffen, und fällt in die Kategorie Wahlkampfgetöse. Genauso die 1000 Euro Startgeld: Sie schmecken nach dem Handgeld der kürzlich abgeschobenen Afghanen statt nach wohlüberlegten Beträgen der geförderten Rückkehr, die an Bedarfen der Rückkehrer orientiert sind. Auch die Erzählung, dass Deutschland nun wieder nach Syrien abschieben könne, ist derzeit verfrühter Lärm.

Denn von Einzelfällen abgesehen können wir nur in Länder abschieben, zu denen wir diplomatische Beziehungen pflegen. Ob Deutschland mit dem neuen islamistischen Regime in Damaskus diese Beziehungen wiederbeleben kann, wissen wir aktuell noch nicht. Selbst im besten Fall wird der Minderheitenschutz von Kurden, Aleviten, Schiiten und auch Christen unter einer islamistischen Herrschaft keine hohe Priorität einnehmen. Abschiebehindernisse bleiben daher.

Der dritte vorschnelle Vorschlag ist, anerkannten Asylbewerbern den Schutztitel wieder zu entziehen. Diese Idee ist nicht falsch, da das Gesetz den Schutzentzug bei veränderter Grundlage vorsieht. Sie ist aber zum jetzigen Zeitpunkt politisch unklug, weil sie bei Syrern in Deutschland Sorgen und bei Wählern schwer erfüllbare Erwartungen schafft, da die Umsetzung lange dauert. Denn auch Widerrufsprüfungen können erst nach einer offiziellen Neubewertung der Lage passieren. Zudem geschehen sie seit einer Gesetzesänderung letztes Jahr nicht mehr automatisch, sondern nur fallbezogen nach Hinweisen von Ausländer- oder anderen Behörden. Dazu kommen dann noch die absehbaren Klageverfahren. Kurzum: Es wird dauern.

Syrische Diaspora aktiver einbeziehen

Es ist Zeit, den fehlenden Ideen Leben einzuhauchen, statt noch mehr Atem auf die vorschnellen zu verschwenden. Wir brauchen zwei parallele Schritte: Erstens sollten wir die knapp eine Million Syrer in Deutschland nicht einseitig als Last beschreiben, wie in den letzten Tagen geschehen, sondern anerkennen, was sie auch sind: Mitbürger, Nachbarn – und notorisch unterschätzte Ressource.

Nahezu jeder zweite neue Deutsche ist auch Syrer. Mehr als 75.000 Syrer nahmen im letzten Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft an. Tendenz steigend. Es sind genau diese Menschen, deren Wissen über die Situation in Syrien nicht abgefragt wurde. Einmal mehr verfolgten die deutschen Behörden den Umsturz nur verdattert, anstatt ihn vorherzusehen.

Die nächste Bundesregierung sollte die syrische Diaspora daher aktiver einbeziehen, sei es in Gesprächskreisen, in Foresight-Aktivitäten, bei Lagebildern und bei der von Jens Spahn richtigerweise geforderten Wiederaufbau-Konferenz für Syrien. Denn Syrer in Deutschland können nicht nur die Vorausschau von Entwicklungen im Nahen Osten verbessern, sondern auch zentrale Akteure beim Wiederaufbau sein.

Wie können Rückkehrer beim Wiederaufbau helfen?

Um Syriens Institutionen und Wirtschaft auf stabilere Füße zu stellen, braucht es nicht nur Geld und politischen Willen, sondern Menschen – im Idealfall qualifizierte Syrerinnen und Syrer. Ideen gibt es bereits, wie Deutschland die Rückkehr von ukrainischen Flüchtlingen sinnvoll unterstützen kann, sodass sie nicht nur den Menschen selbst, sondern auch dem Wiederaufbau des Landes nutzen. Diese Ideen können als Blaupause dienen.

Genauso bedenkenswert ist, zweitens, der Vorschlag von Friedrich Merz, der fordert, gemeinsam mit der Türkei die Lage zu analysieren und in Flüchtlingsfragen abgestimmt voranzugehen. Dass er inmitten der nach innen gerichteten Debatte eine Lanze für Migrationsdiplomatie bricht, ist ermutigend.

Es ist nicht falsch, dass wir Rückkehr nach Syrien besprechen. Es kommt darauf an, wie wir sie besprechen. Der Weg ist klar: Gerade im Wahlkampf sollten wir hin zu den Chancen und weg von den Charter-Flügen. Unrealistische Schnellschüsse frustrieren die Wähler und vergrätzen die Menschen, die wir zum Navigieren der neuen Situation in Syrien brauchen.

Bibliografische Angaben

Rietig, Victoria. “Rückkehr-Debatte nach Syrien: Weniger Charter, mehr Chancen.” German Council on Foreign Relations. December 2024.

Dieser Artikel ist unter dem Titel "Wir müssen über Rückkehr reden – aber bitte realistisch" erstmals am 11. Dezember 2024 auf welt.de erschienen.

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