In diesem Themenpapier werden die verschiedenen Teilaspekte, von Risikobewertung bis hin zur beruflichen (ärztlichen) Schweigepflicht beleuchtet, die während des zweiten InFoEx-Workshops im Mai 2019 behandelt wurden. Das Papier soll einen Beitrag zu einem besseren und differenzierteren Verständnis dieser Themen leisten. Zu diesem Zweck werden die Schwerpunkte aus den Fachgesprächen zusammengefasst, es werden zusätzliche Forschungsperspektiven angegeben und Praxisempfehlungen ausgesprochen. Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich die folgenden eher allgemeinen Empfehlungen für die Akteure, die an der Konzeption, Planung, Finanzierung und Durchführung von Projekten und Programmen im Bereich der Tertiärprävention beteiligt ist:
Empfehlungen
- Einbeziehung von psychologischem Fachwissen in die Tertiärprävention: Es besteht kein Konsens hinsichtlich des direkten Einflusses, den psychische Gesundheit auf die Entscheidung eines Einzelnen, sich von einer extremistischen Gruppe zu lösen, hat. Es gibt jedoch eine Korrelation, und Experten sind sich weitgehend einig, dass im Bereich der Tertiärprävention Fachwissen zur psychischen Gesundheit miteinbezogen werden sollte und, sofern nötig, auch psychologische Unterstützung herangezogen werden sollte.
- Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses in Bezug auf psychische Gesundheit: Um ein gemeinsames Verständnis von psychischer Gesundheit zu erreichen, sollten sich die beteiligten Akteure zu Definitionen, Standards und Bewertungsinstrumente austauschen und diese fortlaufend evaluieren und weiterentwickeln.
- Verbesserung und Ausbau von akteursübergreifenden Trainings: Es besteht ein dringender Bedarf an gemeinsamen professionenübergreifenden Trainings für verschiedene Berufe wie Sozialarbeitende oder für Mitarbeitende der Sicherheitsbehörden. Solche Trainings, beispielsweise zu Risikobewertung, Informationsaustausch und ärztlicher Schweigepflicht sollten bereits im Projektbudget eingeplant werden. Bestehende Trainingsprogramme sollten regelmäßig aktualisiert werden, um aktuelle Entwicklungen in Forschung und Praxis in Bezug auf Radikalisierung und Extremismus sowie relevante Herausforderungen wie rechtliche Aspekte der Präventionsarbeit stets berücksichtigen zu können.
- Schaffung eines Rahmens für eine effektive Zusammenarbeit und Unterstützung von intra- und interdisziplinärer Beratung: Für den institutionalisierten Austausch zwischen Fachkollegen sowie über Berufs- grenzen hinweg sollten ausreichend Finanzmittel bereitgestellt werden. Auf diese Weise lassen sich die einschlägigen Kenntnisse von Fachleuten aus dem Bereich Radikalisierung und Extremismus besser nutzbar machen, beispielsweise durch (interne) Intervision11 und Peer-to-Peer-Beratung.
- Ausbau der (bestehenden) Regelstrukturen: Um den Zugang zur psychiatrischen Versorgung gewährleisten zu können, sollten Regelstrukturen ausgebaut werden, um den Druck auf die in der Tertiärprävention tätigen psychosozialen Fachkräfte zu verringern.
- Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis und Weitergabe von Informationen aus der Praxis an die Forschung: Forschende sollten sicherstellen, dass Fachkräfte der psychischen Gesundheit in die Gestaltung ihrer Forschung einbezogen werden und dass die Forschungsergebnisse mit den Beratenden diskutiert und so in praktische Empfehlungen umgesetzt werden können. Gleichzeitig können Workshops mit Fallintervisionen sowie Vorträgen und Präsentationen zu Erfahrungen aus der Beratungspraxis für die Entwicklung von Forschungsfragestellungen und -designs genutzt werden.
ÜBER DAS PROJEKT INTERNATIONAL FORUM FOR EXPERT EXCHANGE ON COUNTERING ISLAMIST EXTREMISM (INFOEX)
InFoEx ist ein Gemeinschaftsprojekt des Forschungszentrums für Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). InFoEx sammelt von 2019 bis 2020 bewährte Praktiken von Praktikern und Praktikerinnen in der Tertiärprävention im In- und Ausland sowie Erkenntnisse von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die auf diesem Gebiet forschen.
Ziel des Projekts ist es, empirische Befunde zu (De-)Radikalisierungsprozessen zu erheben, wobei der Schwerpunkt auf deren praktischer Anwendbarkeit für Deradikalisierungsbemühungen liegt. Zu diesem Zweck initiierte das BAMF-Forschungszentrum einen Verbund wissenschaftlicher Mitarbeitenden, die bei den bzw. über die lokalen Partner-Beratungsstellen der BAMF-Beratungsstelle „Radikalisierung“ sowie bei verschiedenen Forschungseinrichtungen angestellt sind. Diese wissenschaftlichen Mitarbeitenden bilden zusammen mit den Beratenden der lokalen Beratungsstellen die Hauptmitglieder von InFoEx.
ÜBER DEN WORKSHOP IN BERLIN, 23. – 24. MAI 2019
Unter den 30 Teilnehmenden befanden sich Netzwerkpartner der BAMF-Beratungsstelle „Radikalisierung“ aus der Zivilgesellschaft und staatlichen Institutionen sowie Praktiker und Praktikerinnen und Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Dänemark, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und aus dem Vereinigten Königreich. Um den Workshop auf die Bedürfnisse seiner Akteure abzustimmen, teilten die in Beratungsstellen und Forschungseinrichtungen in Deutschland eingebetteten wissenschaftlichen Mitarbeitenden – in Absprache mit den Beratenden in ihren lokalen Beratungsstellen – vor dem Workshop ihre spezifischen Informationsbedürfnisse mit.