Think-Tanks kommt bei der Unterstützung sowie in der kritischen Analyse der Reform- und Beitrittsprozesse im Westlichen Balkan eine zentrale Rolle zu. Ihre Ideen und Ergebnisse sollten nicht nur in Fachkreisen diskutiert werden, sondern darüber hinaus Eingang in den Prozess der Politikgestaltung und die öffentliche Debatte finden. Vor diesem Hintergrund will das TRAIN-Programm den thematischen Austausch zwischen den Think-Tanks der Region und politischen Akteuren im Westlichen Balkan unterstützen.
Gefördert durch den Stabilitätspakt für Südosteuropa des Auswärtigen Amtes forschten vierzehn Think-Tank-Vertreter aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zu verschiedenen mit der EU-Annäherung des Westlichen Balkans verbundenen Fragestellungen. Ihre Ergebnisse präsentierten sie schließlich vor Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit in ihren Ländern sowie auf EU-Ebene.
Kroatien: Freier Informationszugang als Mittel gegen Korruption
Das Zagreber Policy Research Center on Good Governance and Participatory Democracy der Organisation GONG nimmt das Thema des freien Informationszugangs in Kroatien in den Fokus. Als grundlegendes Problem stellen die Verfasser ein mangelndes Verständnis von freiem Informationszugang als Mechanismus zur Korruptionsbekämpfung fest. Daraus ergibt sich eine Reihe von Unzulänglichkeiten, die die Ausübung dieses in der Verfassung verankerten Rechts in der Praxis erschweren. Die Autoren identifizieren vier Kernbereiche, in denen Änderungen erforderlich sind, um die „institutionelle Kultur der Geheimhaltung“ in Kroatien zu überwinden: die ungenügende Definition bestimmter Schlüsselbegriffe in der Gesetzgebung, die beschränkten Befugnisse der Agentur für den Schutz persönlicher Daten, fehlende Mittel zur Umsetzung der entsprechenden Bestimmungen sowie die Inkohärenz mit anderen Rechtsakten, insbesondere mit dem Geheimhaltungsgesetz.
Bosnien-Herzegowina: Tierschutz als Handelshemmnis?
Der Think-Tank Populari aus Sarajevo analysiert die in Bosnien-Herzegowina geltenden EU-Standards zum Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen. Angesichts des bevorstehenden EU-Beitritts Kroatiens – Bosnien-Herzegowinas wichtigstem Handelspartner – könnte die Nicht-Einhaltung von Tierschutzauflagen dazu führen, dass die kroatischen Grenzen der Einfuhr tierischer Erzeugnisse aus Bosnien verschlossen bleiben. Um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden, gewinnt für das Land die Umsetzung der Tierschutzbestimmungen sowie einer Reihe weiterer EU-Standards an Dringlichkeit. Die Autoren betrachten eine mangelhafte Definition des Tierschutzbegriffs, eine unklare Kompetenzverteilung und Mängel im Inspektionssystem als wesentliche Hindernisse und formulieren Handlungsvorschläge für Politiker und Produzenten, um den drohenden Exportverlusten entgegenzuwirken.
Serbien: Impact Assessment von EU-Finanzhilfe
Das Institute for Territorial Economic Development (InTER) aus Belgrad verweist auf die Notwendigkeit, die Serbien gewährte EU-Finanzhilfe einem umfassenden Impact Assessment zu unterziehen. Mit 3,2 Milliarden Euro an nicht-rückzahlbaren Finanzhilfen, die zwischen 2000 und 2011 nach Serbien flossen, ist die EU für das Land der größte Geber finanzieller Unterstützung. Während für das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) prozessorientierte Projektevaluierungen durchgeführt werden, gibt es bisher noch keinen Mechanismus, um die Auswirkungen der Finanzhilfe auf die EU-Annäherung des Landes und dessen sozioökonomische Entwicklung zu untersuchen. Die Durchführung von Impact Assessments, so die Autoren, würde es ermöglichen, die EU-Gelder gezielter einzusetzen.
Kosovo: Bessere Bedingungen für Unternehmen durch Korruptionsbekämpfung
Die Group for Legal and Political Studies (GLPS) nimmt das wirtschaftliche Umfeld für Unternehmer in Kosovo in den Blick und untersucht insbesondere die Auswirkungen von Korruption auf deren Geschäftstätigkeit. Die Autoren zeigen zahlreiche Probleme – insbesondere im Hinblick auf öffentliches Auftragswesen, Bürokratie und den informellen Sektor – auf, vor die Korruption im öffentlichen Sektor tätige Unternehmen in Kosovo stellt. Als wesentliche Schritte, die zu einer Verbesserung des Klimas für Unternehmen beitragen können, regt die Analyse an, öffentliche Ausschreibungsverfahren transparenter zu gestalten, die regulatorischen Lasten zu verringern und Anreize zur Eingliederung informeller Unternehmen zu schaffen.
Montenegro: Wie Dezentralisierung gelingen kann
Das Center for Entrepreneurship and Economic Development (CEED) aus Podgorica widmet sich in seinem Policy Brief dem Dezentralisierungsprozess in Montenegro, der sich in einer frühen Phase befindet. Während die montenegrinische Verfassung die Autonomie der kommunalen Selbstverwaltung anerkennt, führt die Übernahme administrativer und finanzieller Verantwortung für die Kommunen in der Praxis zu Problemen. Anhand einer Analyse des Dezentralisierungspotenzials im Bereich der Bildungsfinanzierung loten die Autoren die Möglichkeiten einer schrittweisen Kompetenzübertragung aus und schlagen vor, die lokalen Verwaltungen – gemeinsam mit dem Ministerium für Bildung und Sport und internationalen Gebern – in die Finanzierung von Kapitalinvestitionen für Bildung einzubinden.
Mazedonien: Möglichkeiten und Grenzen der Mobilität von Studenten
Das Centre for Research and Policy Making (CRPM) aus Skopje untersucht die Mobilitätsmuster mazedonischer Studenten nach der im Dezember 2009 in Kraft getretenen Visaliberalisierung. Die von CRPM erhobenen Daten zeigen, dass mit der Visaliberalisierung die Zahl der in die EU reisenden Studenten – insbesondere bei Tourismus und Verwandtenbesuchen – tatsächlich gewachsen ist. Unabhängig davon befindet sich die Mobilität von Studenten mazedonischer Universitäten nach wie vor auf einem äußerst niedrigen Niveau. Als Faktoren, die zu den geringen Teilnehmerzahlen in Mobilitätsprogrammen beitragen, können die unzureichende Information von Studenten, fehlende Anreize durch die Fakultäten, ein Mangel von spezialisierten Beamten und eine unklare Kompetenzverteilung zwischen den verantwortlichen Institutionen ausgemacht werden.
Montenegro und Serbien: Auf die Zivilgesellschaft setzen
In einem gemeinsamen Policy Brief setzen sich das Center for Democratic Transition (CDT) aus Podgorica und das International and Security Affairs Centre (ISAC) aus Belgrad mit der Rolle der Zivilgesellschaft in den laufenden und künftigen EU-Beitrittsverhandlungen mit Montenegro und Serbien auseinander. Die Autoren untersuchen die bisherige Einbindung von Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Verhandlungsstrukturen Montenegros, das im Juni 2012 die Beitrittsgespräche eröffnen konnte. Auf dieser Grundlage zeigen sie – insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Beitrittsgespräche mit Serbien, das derzeit noch auf grünes Licht des Europäischen Rates wartet – verschiedene Wege auf, um die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Verhandlungen zu stärken.
TRAIN-Programm
Das TRAIN-Programm begleitete die teilnehmenden Think-Tank-Mitarbeiter bei der Umsetzung ihrer Forschungsvorhaben und bot eine Plattform für den Austausch von Ideen und guten Praktiken. Der Auftakt für das TRAIN-Programm 2012 erfolgte im März in Belgrad mit einem zweitägigen Workshop, der Kenntnisse im Entwerfen von Policy Papieren und Advocacy-Strategien vermittelte. Nach einer Recherche- und Redaktionsphase trafen die Teilnehmer erneut im Juni 2012 in Berlin zusammen, wo sie Zwischenergebnisse ihres Policy Research diskutierten und sich mit der Ausarbeitung von Kommunikationsstrategien befassten.
Das Abschlussseminar in Brüssel im Oktober bot Gelegenheit, die Ergebnisse mit Vertretern der Generaldirektion für Erweiterung der Europäischen Kommission, des Europäischen Auswärtigen Dienstes, der Arbeitsgruppe für den Westlichen Balkan des Europäischen Parlaments und einer Reihe von Brüsseler Balkan-Experten zu diskutieren. Die einzelnen Institute setzten die Kommunikation ihrer Ergebnisse schließlich in Hintergrundgesprächen und öffentlichen Diskussionsveranstaltungen auf nationaler Ebene fort.
Aus den im Rahmen von TRAIN erworbenen Erfahrungen, Kenntnissen und Kontakten sollen die beteiligten Think-Tanks auch bei ihrer weiteren Arbeit, für künftige Forschungsvorhaben und Kooperationen, schöpfen.