Gasprom als Bösewicht
Der russische Energiekonzern Gasprom wurde in den vergangenen Jahren immer wieder verdächtigt, die Europäische Union mit der „Gas-Waffe“ zu erpressen. Die EU diversifizierte daher ihren Energiemarkt. Der Abbau jeglicher Abhängigkeiten vom russischen Gasimport schien zur Leitlinie der EU-Energieversorgung zu werden. Im Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 fand Erdgas kaum Erwähnung. Das Anfang 2011 in Kraft getretene Liberalisierungspaket der EU erteilte Plänen russischer Energieunternehmen, sich in die Wertschöpfungskette des EU-Marktes einzukaufen, eine klare Absage. Die mittelosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten wollten sogar gänzlich auf russisches Gas verzichten. Stattdessen sollte künftig über die Nabucco-Pipeline zentralasiatisches Gas und mit Spezialtankern aus den USA teures Flüssiggas importiert werden. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima und dem daraus folgenden Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie aber bahnt sich nun eine Rückbesinnung auf den Energieträger Erdgas an.
Erdgas-Renaissance
Bis es zu einem wirklichen technologischen und wirtschaftlichen Durchbruch der erneuerbaren Energien kommt, wird Deutschland seinen Energiehaushalt wesentlich auf Gasimporten begründen müssen. Bei Gasprom reibt man sich genüsslich die Hände. Die vom damaligen russischen Präsidenten Putin vor zehn Jahren vorgeschlagene Energieallianz mit der EU schien am Ende – doch heute öffnen sich hervorragende Perspektiven.
Hauptthema beim deutsch-russischen Gipfeltreffen Mitte Juli in Hannover war die Verflechtung der europäischen Energiewirtschaft mit Russland. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft entwickelte die Idee einer neuen Rohstoffpartnerschaft mit Moskau. Deutschland würde hochmoderne Technologie liefern – im Gegenzug würde Russland Deutschland den Zugang zu seinen reichhaltigen Rohstoffreserven und Bodenschätzen öffnen. Ersten Berechnungen zufolge wird Deutschland nach dem Atomanstieg kurzfristig 20 bis 30 Prozent mehr Gas importieren müssen. Kein Problem für Gasprom. Deren Manager schlugen bereits die Vergrößerung der Ostseepipeline um einen dritten Transportstrang vor.
Neue Verflechtungen
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte für eine Vergrößerung der Nord Stream wenig Enthusiasmus, doch die Wirtschaft versteht die neuen Herausforderungen besser. So hat RWE eine Kooperation mit Gasprom beschlossen, die dem deutschen Energiekonzern russische Gasimporte zum Betrieb künftiger Gaskraftwerke sichert. Gasprom wird diese Kraftwerke mit betreiben und kommt so seinem strategischen Ziel näher, Gas direkt an die Herdplatte des europäischen Kunden zu verkaufen. Der BASF-Tochterkonzern Wintershall wurde zweitwichtigster Partner Gasproms beim Bau der South Stream. Und E.ON, das sich im vergangenen Jahr noch mit Gasprom über den teuren russischen Gaspreis gestritten hatte, scheint ebenfalls darüber nachzudenken, eigene Firmenanteile in Deutschland an Gasprom abzugeben und dem russischen Energieriesen weitere Türen nach Westen zu öffnen.
Während Teile der deutschen Öffentlichkeit sich über die geplante Quadriga-Preisverleihung an den russischen Premier Putin entrüsteten und die strategische Partnerschaft mit Russland aus „moralischen“ Überlegungen in Zweifel zog, wurden auf der Wirtschaftsebene die notwendigen strategischen Deals zwischen Berlin und Moskau festgezurrt.
Abgesang für Nabucco
Die Energiewende Richtung Russland fordert zwei Opfer. Das erste: die Ukraine. Dieses Land läuft Gefahr, seine einzigartige strategische Bedeutung innerhalb der Energieallianz Russland – EU zu verlieren. Kiew müsste dringend sein Gastransitsystem modernisieren, hat dafür selbst kein Geld, will aber auch nicht Teile davon an Russland oder die EU abtreten. So entstehen Pipelines in Umgehung der Ukraine.
Das zweite Opfer der energiepolitischen Wende ist die Nabucco-Pipeline. Sie ist ein Schlüsselprojekt der EU, befindet sich jedoch in direkter Konkurrenz zu South Stream. Einer der Hauptinvestoren der Nabucco ist RWE. Könnte die beginnende Allianz mit Gasprom RWE zum Seitenwechsel zwingen? Für den Bau solcher Mammut-Pipelines sind drei Aspekte ausschlaggebend: Gasmenge, Baufinanzierung und politischer Wille. In Bezug auf South Stream sind diese Fragen geklärt. Gas gibt es in Russland reichlich, Gasprom verfügt über das notwendige Baukapital und Russlands Regierung bahnt der Pipeline über politische Verhandlungen den Weg von der Türkei über den Balkan in die EU. Hinsichtlich Nabucco aber gibt es überall dicke Fragezeichen. Die kaspischen Anrainer Aserbaidschan und Turkmenistan können die erforderlichen Gasmengen immer noch nicht garantieren, das internationale Konsortium von Nabucco scheint brüchig und innerhalb der EU gibt es nicht den erwarteten Konsens aller Staaten für das Projekt.