Gelegenheiten, Farbe zu bekennen, bieten sich demnächst: Irans Präsident Hassan Rohani spricht dieser Tage bei der UN-Generalversammlung, und Ende Oktober wird das Ergebnis des Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates in Genf präsentiert, dem Iran Rede und Antwort stehen muss. Die derzeitige Bilanz des UPR: Seit der vergangenen Überprüfung vor viereinhalb Jahren wurde keine der angemahnten Hausaufgaben gemacht. Die Todesstrafen gegen Regimegegner nahmen sogar zu.
Gleichwohl haben die USA mehrere strategische Interessen, sich im Rahmen der Nuklearverhandlungen mit der Theokratie in Teheran umfassender zu verständigen. Zunächst ist ohnehin fraglich, ob Washington wirklich bereit ist, mit Militärschlägen das iranische Atomprogramm zu verhindern. Denn Iran verfügt über die „Öl-Waffe“: Im Falle einer Bedrohung kann das Regime die Straße von Hormus blockieren, eine strategisch wichtige Meerenge, durch die täglich ein Großteil der westlichen Energieversorgung aus dem Mittleren Osten passiert.
Eine Annäherung an Iran würde Teherans Abhängigkeit von China verringern und könnte die künftige strategische Herausforderung der USA eindämmen helfen. Chinas Interesse am Mittleren Osten ist durch seinen Energiehunger begründet.
Dank des amerikanischen Regimewechsels in Irak hat Teheran nicht nur einen Erzfeind weniger, sondern kann als Regionalmacht auch auf die Entwicklung in Irak und Syrien Einfluss nehmen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Iran, das jahrzehntelang über seine Satelliten Terrorismus gegen die USA und seine Verbündeten unterstützt hat, nunmehr an der Seite der USA gegen eine gemeinsame Bedrohung kämpft. Das Ansinnen der Terror-Organisation Islamischer Staat, das Debakel der US-Außenpolitik im Zweistromland auszunutzen und auf dem Gebiet der heute zerfallenden Staaten Irak und Syrien ihr Kalifat zu errichten, bedroht die Sicherheit des Westens, Irans – und früher oder später auch das saudische Königshaus, das ohnehin noch wegen des „Arabischen Frühlings“ beunruhigt ist.
Washington muss sich wohl oder übel mit Teheran verständigen, um einen „Plan B“ zu haben, sollten Aufstände der jugendlichen Bevölkerung in Saudi-Arabien oder Machtkämpfe bei der Nachfolge des 89 Jahre alten Königs Abdullah die für den Westen lebenswichtigen Erdölproduktionskapazitäten gefährden. Denn die westlichen Volkswirtschaften bleiben bis auf Weiteres verwundbar durch fluktuierende und hohe Ölpreise, die sie trotz massiver Förderung eigener Ressourcen im Zuge des Schiefergasabbaus nicht allein beeinflussen können. Auf absehbare Zeit bleibt Saudi-Arabien der einzige „Swing Producer“, der ausreichend Kapazitäten hat, bei Bedarf Öl kostengünstig, sehr schnell und in großen Mengen zu fördern, um damit die Preise in einen niedrigeren, für westliche und asiatische Volkswirtschaften erträglichen Bereich zu drücken.
Doch gleichzeitig muss die Ölmonarchie darauf achten, dass die 100-Dollar-Marke nicht unterschritten wird, damit sie über die nötigen Mittel verfügt, um die eigene Herrschaft zu alimentieren, Eliten zu kooptieren und die Bevölkerung mit Sozialleistungen ruhigzustellen. Diese Preiskategorie entzieht jedoch den auf Mobilität angewiesenen US-Bürgern enorm Kaufkraft und gefährdet die zu zwei Dritteln vom Konsum lebende US-Volkswirtschaft.
Menschenrechte als Existenzrechte
Einen Ausweg aus diesem Preisdilemma bietet Iran: Bei einem Treffen der OPEC im Dezember 2013 stellte der iranische Ölminister Bijan Namdar Zanganeh bereits in Aussicht, Öl in großen Mengen und zu äußerst günstigen Preisen zu liefern, falls die Sanktionen gegen sein Land aufgehoben würden. Die USA werden nicht von heute auf morgen ihre außenpolitischen Loyalitäten wechseln. Es ist aber denkbar, dass mit der Iran-Karte auch das regionale Machtspiel und die Ölpreispolitik Saudi-Arabiens beeinflusst werden können.
Es bleibt auch abzuwarten, ob die Obama-Regierung die für ein neues Abkommen mit Iran nötigen Lockerungen der Sanktionen durch den Kongress bekommt. Dabei wird vor allem die Pro-Israel-Lobby ein mächtiges Wort mitreden, geht es doch auch um die Sicherheit Israels. Iran kann nur daran interessiert sein, dass die für das Land schmerzhaften Sanktionen nachhaltig, das heißt nicht nur durch einen zeitlich befristeten Exekutiv-Erlass des US-Präsidenten, sondern über den Gesetzesweg von der Legislative aufgehoben werden.
Doch dazu muss die Führung in Teheran sich auch zu Bekenntnissen durchringen, die sie bisher schuldig geblieben ist: Das Existenzrecht und der Schutz Israels sowie die Garantie der Menschenrechte. Sollte das iranische Regime weiterhin Minderheiten, etwa die Religionsgemeinschaft der Baha'i, in systematischer Weise verfolgen, wird es wohl sehr schwer werden, insbesondere den amerikanischen Kongress davon zu überzeugen, dass Teheran nichts Böses im Schilde führt.
Dieser Beitrag wurde am 19.9.2014 als Gastbeitrag in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht.