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25. März 2012

Europapolitik: Der SKS-Vertrag polarisiert

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Europa findet in Frankreich längst keinen großen Anklang mehr. Da europapolitische Themen schon im Rahmen der Europawahlen keinen großen Zuspruch finden, ist davon bei nationalen Wahlen folglich normalerweise noch weniger die Rede. Diesmal spielt jedoch das Thema „Europa“ bzw. der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung (SKS-Vertrag) im Wahlkampf eine wichtige Rolle. Dabei stützt sich die Debatte auf sehr unterschiedliche und umstrittene Positionen.

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Europapolitik im Wahlkampf

In den ersten Monaten des Wahlkampfs spielte die Euro- und Schuldenkrise eine große Rolle, wird seither jedoch immer wieder von anderen Themen teilweise etwas in den Hintergrund gedrängt. Dennoch beeinflusst die allgegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise die Kampagne spürbar, steht sie doch in unmittelbarem Zusammenhang mit vielen anderen Themen. Die Entscheidung, der Krise auf europäischer Ebene zu begegnen, hat zwangsläufig dazu geführt, dass das Thema Europa Teil der Wahlprogramme wurde. Dazu hat auch die zeitliche Überschneidung der Verhandlungen und Unterzeichnung eines neuen europäischen Vertrags mit der französischen Präsidentschaftswahl beigetragen.

Dass der neue Vertrag überhaupt Thema im Wahlkampf wurde, ist vor allem der Kontroverse zwischen Nicolas Sarkozy, der das deutsche Modell anpries, und François Hollande, der dem widersprach, zuzuschreiben. Der sozialistische Kandidat kündigte an, den Fiskalpakt im Falle eines Wahlsieges neu verhandeln zu wollen. Eine noch größere Bedeutung für den Wahlkampf entfaltete der SKS-Vertrag, als ein vermeintlicher Pakt zwischen einigen Regierungschefs (Angela Merkel, Mario Monti, David Cameron und Mariano Rajoy) bekannt wurde, demzufolge diese es ablehnten, Hollande zu empfangen – wegen dessen Haltung zum SKS-Vertrag. Ein weiteres Mal bekam das Thema Europa Aufwind, als Sarkozy vorschlug, die Schengener Abkommen neu zu verhandeln. Als François Hollande zuvor ankündigte, den SKS-Vertrag aufschnüren zu wollen, wurde eine Neuverhandlung von EU-Verträgen noch als unmöglich abgelehnt.

Wie es schon die schwierigen Verhandlungen um andere EU-Verträge in der Vergangenheit gezeigt haben, sind Debatten um Verträge nicht mit der Unterzeichnung eines Vertrags abgeschlossen. Vom Maastricht-Vertrag, über die turbulenten Phasen des Vertrags von Nizza und des Verfassungsvertrags, bis hin zum heutigen Vertrag von Lissabon war die Ratifizierung eines Vertragswerks durch die Mitgliedstaaten stets ein schwieriges Unterfangen mit ungewissem Ausgang. Um beim SKS-Vertrag unvorhersehbare Entwicklungen zu vermeiden, wurde diesmal – ebenfalls nach langwierigen Debatten – bestimmt, dass der Vertrag in Kraft treten soll, sobald 12 der 17 Euro-Länder den Vertrag ratifiziert haben. Hierbei ist die Teilnahme der zweitgrößten europäischen Wirtschaftsmacht natürlich unumgänglich. Darüber hinaus hat die französische Debatte über den SKS-Vertrag eine besondere Resonanz bei den einzelnen Präsidentschaftskandidaten ausgelöst und die verschiedenen Standpunkte der Kandidaten in besonderem Maße offen gelegt.

Nicolas Sarkozy als Garant für die staatliche Verantwortung

Nicolas Sarkozy präsentiert den SKS-Vertrag als Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit seiner deutschen Amtskollegin. Allerdings wies er schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrags darauf hin, dass die Ratifizierung in Hinblick auf den Legislaturkalender und der anstehenden Präsidentschaftswahl nicht vor dem 6. Mai 2012 stattfinden würde. Mit Blick auf Hollandes Ankündigung, den SKS-Vertrag neu verhandeln zu wollen, verweist Nicolas Sarkozy auf das Prinzip der staatlichen Verantwortung. Als Antwort auf das Vorhaben Hollandes betonte er Anfang Januar, dass getroffene Entscheidungen des Präsidenten im Amt, auch dessen Nachfolger an diese binden würden.

Falls Sarkozy wiedergewählt werden sollte, wird es für ihn wahrscheinlich dennoch schwierig, den SKS-Vertrag ohne Volksabstimmung durchzusetzen. In der Tat hat die Niederlage der Konservativen bei den letzten Senatswahlen dafür gesorgt, dass sie die Verfassung durch eine Einberufung des Parlaments, als Kongress, nicht modifizieren können. Außer im Falle eines höchst unwahrscheinlichen Wahldebakels der Sozialisten bei den Legislativwahlen im Juni 2012 haben die Konservativen keine Chance, die benötigte Drei-Fünftel-Mehrheit des Kongresses in den nächsten Jahren zu erreichen. Die wesentlichen Bestimmungen des SKS-Vertrags basieren nun aber auf der Einführung einer „Regel des ausgeglichenen Haushalts durch verbindliche und dauerhafte Bestimmungen, die vorzugsweise Verfassungsrang besitzen“. Auch wenn der französische Präsident ein Referendum über den neuen Vertrag für unnötig hält, hat Premierminister François Fillon seinerseits schon angemerkt, dass zur Verabschiedung einer „goldenen Regel“ eine Volksabstimmung erforderlich sei.

François Hollande und der Wille zur Veränderung

Mit der Absicht den SKS-Vertrag neu zu verhandeln, bleibt der Kandidat aus dem sozialistischen Lager seiner Linie treu. Sein Vorhaben spiegelt sich in seiner Wahlkampagne, die er unter dem Motto „Veränderung“ führt, wider und trägt außerdem dazu bei, ihm ein stärkeres Image zu verleihen. Dabei versucht er, sein Image als „Mann des Konsens“ abzulegen und durch ein starkes, präsidiales Auftreten zu ersetzen. Die Tatsache, dass François Hollande die Bereitschaft zeigt, sich dem Willen seiner europäischen Amtskollegen, und vor allem dem der deutschen Bundeskanzlerin, die augenscheinlich die führende Rolle auf europäischer Ebene eingenommen hat, entgegenzusetzen, gibt ihm die Möglichkeit, sich zu behaupten. Hollandes Ziel ist es, die deutsch-französischen Beziehungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Er zögert hierbei nicht, auch sensible Themen, wie das der Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB), zu diskutieren.

Holland verwies mehrmals auf die Tatsache, dass er im Falle eines Wahlsiegs die Legitimität besitzen würde, den SKS-Vertrag neu zu verhandeln. Die Machbarkeit einer solchen Neuverhandlung kann natürlich in Frage gestellt werden. Dennoch wird dies dem Vorhaben Nicolas Sarkozys ähneln, welcher 2007 als frisch angetretener Präsident für eine Reform des Verfassungsvertrags plädierte. Mit der Wahl zum französischen Präsidenten besäße Hollande schließlich die Legitimität, sein Wahlprogramm in die Tat umzusetzen. François Hollandes Hauptanliegen bleibt es jedoch, ähnlich wie bei Lionel Jospin, der 1997 den Vertrag von Amsterdam neu verhandeln wollte, einen (symbolischen) Ausgleich zur Ratifizierung des SKS-Vertrags zu erlangen, sei es in Form eines Protokolls oder einer Stellungnahme zum Thema Wirtschaftswachstum.

Die Aufmerksamkeit, die Hollandes Positionierung gegenüber dem SKS-Vertrag in Frankreich, aber vor allem in den anderen EU-Staaten ausgelöst hat, führt dazu, dass er seine Äußerungen präzisieren muss und zu weiteren Erklärungen gezwungen wird. Damit besteht für ihn das Risiko einer Verringerung seines politischen Spielraums. Im Falle eines Wahlsiegs Hollandes, stünde er unter Zugzwang, eine Alternative zum SKS-Vertrag bzw. verbesserte Steuerungselemente für die europäische Wirtschaftspolitik  vorzuschlagen.

Die Drittkandidaten: ein Spiegel des wachsenden Euroskeptizismus

Abgesehen vom Pro-Europäer und Präsidentschaftskandidaten des zentralistischen Lagers, François Bayrou, lehnen die Drittkandidaten den SKS-Vertrag ab. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2007 stellte Bayrou das Thema Staatsverschuldung in den Mittelpunkt seiner Kampagne und behauptet heute, der Erste gewesen zu sein, der sich für eine Schuldentilgung und die Einführung einer „goldenen Regel“ ausgesprochen habe.

Die Kandidaten der extremen politischen Lager zeigen sich hingegen noch radikaler als der sozialistische Kandidat François Hollande. Jean-Luc Mélenchon, ehemaliges Mitglied der sozialistischen Partei und heute Spitzenkandidat der Front de Gauche, kritisiert die Sparmaßnahmen scharf und ruft, in Anlehnung an sein Handeln von 2005, zu einem Referendum auf. Dieses soll auf eine Ablehnung des Vertrags abzielen. François Hollande will den Vertrag zwar neu verhandeln, sieht jedoch kein Referendum vor, denn eine Volksabstimmung könnte erneut zu einer Spaltung der sozialistischen Partei führen, wie es schon 2005 bei der Debatte über die europäische Verfassung der Fall war. Die Stimmenenthaltung der Partei über die Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zeugt davon, dass dieses Trauma noch nicht überwunden wurde.

Ganz anders stellt sich die Lage für Jean-Luc Mélenchon dar, der in den letzten Wochen steigende Umfragewerte für sich verzeichnen konnte. Im Gegensatz zu den vergangenen Präsidentschaftswahlen konnte sich diesmal ein Teil von den Linksgegnern des Verfassungsvertrags über die Kandidatur des Volkstribun Mélenchon einigen. In der Hoffnung möglichst viele Gegner des Verfassungsvertrags für sich zu gewinnen, versucht er, die Zeit des Verfassungsreferendums wiederzubeleben. Obwohl François Hollande seinerseits diese Zeit nicht neu beleben will, ist sein Angebot einer Neuverhandlung auch ein Mittel, den „Nein-Wählern“ entgegenzukommen. Dieses Referendum über den EU-Verfassungsvertrag machte deutlich, dass die politische Klasse und die Bürger unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft Europas haben. Auch wenn fast die Hälfte der Franzosen die EU-Mitgliedschaft immer noch als positiv bewertet, ist die Tendenz der letzten Jahre alles andere als positiv und durch einen stetigen Anstieg neutraler und negativer Bewertungen bestimmt. Eine Umfrage der Tageszeitung Le Monde Anfang März 2012 zeigte sogar, dass sich eine klare Mehrheit der Franzosen (56%) für eine Stärkung der Entscheidungsbefugnisse Frankreichs ausspricht, auch wenn dieses eine Machtbeschränkung  Europas bedeuten würde, während nur 38% eine Stärkung Europas befürworten.

Schließlich versucht auch Nicolas Sarkozy, an die „Nein-Wählern“ zu appellieren und sprach diese explizit in seiner Wahlkampfrede in Villepinte an. Er ging sogar so weit, mit einem Austritt Frankreichs aus den Schengen-Abkommen zu drohen und nähert sich somit den Äußerungen der rechtsextremen Kandidatin, Marine Le Pen, zu diesem Thema an. Marine Le Pen spricht sich dafür aus, die Debatte um die europäischen Verträge neuaufzurollen; den SKS-Vertrag lehnt sie dabei strikt ab. Für sie käme der Vertrag einem „Putsch gegen die Völker“ gleich und bedeute, dass allen europäischen Staaten der Zwang auferlegt werden würde, sich deutschen Verfassungsverfügungen unterzuordnen.

Wie auch immer die Wahlen ausgehen werden, der SKS-Vertrag wird wohl weiterhin auf der Tagesordnung politischer Debatten in Frankreich bleiben. Der weitere Verlauf seines Ratifizierungsprozesses wird stark von den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen und der Parlamentswahlen abhängen. Die zwei wahrscheinlichsten Szenarien (Wahlsieg Sarkoyz/ indirektes Referendum über den SKS-Vertrag; Wahlsieg Hollande/Neuverhandlung des Vertrags) werden insbesondere das Interesse der anderen EU-Mitgliedsstaaten an den Wahldebatten in Frankreich weiter aufrechterhalten.

Yann-Sven Rittelmeyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) des Institut français des relations internationales (Ifri). 

Bibliografische Angaben

Rittelmeyer, Yann-Sven. “Europapolitik: Der SKS-Vertrag polarisiert .” March 2012.

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