Kommentar

01. Dez. 2011

Eine diplomatische Volte, mit der Teheran nicht rechnet

Warum die Europäische Union gerade jetzt offizielle Beziehungen mit Iran aufnehmen sollte

Nach der Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran droht das schwierige Verhältnis des Westens zu Iran endgültig zu zerrütten. Um aus der Eskalationsspirale auszubrechen, müssen die EU-Mitgliedstaaten einen Kunstgriff wagen: Während sie ihre bilateralen Beziehungen abbauen, müssten sie der EU die Verhandlungen mit der iranischen Führung übertragen. Als Vorstufe zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Iran und der EU sollte ein EU-Sonderbeauftragter entsandt werden.

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Um eine Eskalationsspirale zu vermeiden, an deren Ende womöglich eine militärische Auseinandersetzung mit nicht abzusehenden Folgen steht, sollte die EU einen bislang undenkbaren Schritt wagen. Sie sollte der iranischen Regierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anbieten – gekoppelt an eindeutige Bedingungen, etwa den freien Zugang zu lokalen Gesprächspartnern und die Sicherheit des entsandten Personals. Das Angebot sollte sich zudem auf die drei Politikfelder Nuklearpolitik, Menschenrechte und regionale Kooperation beschränken. Das mag zunächst als unangemessene Beschwichtigung oder gar als widersinnig erscheinen. Im Lichte der langjährigen Vorgeschichte des Konflikts könnte ein solcher Schritt aber ein Ausweg sein aus der gegenwärtigen Sackgasse.

Diplomatische Eiszeit

Seit der Enthüllung des geheimen iranischen Atomwaffenprogramms im Jahr 2002 haben weder Verhandlungen noch zunehmend schärfere Sanktionen eine Lösung der Nuklearfrage gebracht. Auch die auf den jüngsten IAEO-Bericht folgenden Strafmaßnahmen basieren nicht auf einer zielgerichteten Analyse, der zufolge das Regime – und hier vor allem die Hardliner um den Geistigen Führer Ayatollah Khamenei und seine Revolutionsgarden – bald zusammenbrechen oder seinen Widerstand aufgeben würde.

Die bisherigen Sanktionen haben nicht verhindern können, dass das Regime in Teheran an seinem Nuklearprogramm mit „möglicher militärischer Dimension“ (so der IAEO-Bericht) festhält. Es entspricht dabei der revolutionären Logik des Regimes, die für Iran durchaus schmerzhafte Blockade durch Provokationen aufbrechen zu wollen. Die große Gefahr dabei ist, dass die Vergeltungsmaßnahmen aus dem Ruder laufen, wenn sich die internationale Gemeinschaft keine Handlungsalternativen eröffnet. Auf einen Sinneswandel in den USA (die sich bereits im Wahlkampf befinden) oder in Israel (das sich von Iran existenziell bedroht fühlt) zu hoffen, ist ebenso blauäugig wie die Forderung, die beiden Vetomächte Russland und China sollten nicht länger ihre schützende Hand über Teheran halten. Bleibt die EU, der die Rolle zukommt, diese verfahrene Situation mit einem radikalen Perspektivenwechsel aufzulösen.

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Iran und der Union wäre ein solcher Game Changer, der allen Beteiligten neue Möglichkeiten eröffnen würde. Eine Verharmlosung der Bedrohung, die von Iran ausgeht, wäre das nicht: diplomatische Vertretung ist ja zunächst kein Ausweis freundschaftlicher Beziehungen, sondern lediglich die Grundvoraussetzung dafür, überhaupt mit der Gegenseite ins Gespräch zu kommen.

Anders als die USA, für die ein solcher Schritt aus historischen und politischen Gründen derzeit tatsächlich unmöglich ist, könnte die EU als bislang unbeteiligter Akteur dieses Angebot auf unbefangenere Weise machen. Zentral dabei wäre, dass dies ohne neue Zugeständnisse, sondern innerhalb des bestehenden politischen Rahmens erfolgt, also: zivile nukleare Kooperation bei vollständiger Transparenz gegenüber der IAEO. So könnte die EU ein neues Spielfeld eröffnen, ohne die kritische Haltung ihrer Mitgliedstaaten aufzuweichen.

Aufnahme diplomatischer Beziehungen

Es mag erst einmal verwundern, dass die EU bislang keinerlei direkte diplomatische Beziehungen zu Iran unterhält, während fast alle Mitgliedstaaten Botschaften in Teheran haben. Dabei waren es in den vergangenen Jahren gerade sie, die diplomatische Beziehungen der Union mit dem Iran verhindert haben, aus Angst, dies könnte als Aufwertung des Regimes verstanden werden. Nicht einmal die geplanten Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen – gewissermaßen die Grundform der Beziehungen der EU zu einem Drittstaat – konnten nach Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms beginnen.

Auch der Kontakt auf interparlamentarischer Ebene ist in der jüngsten Vergangenheit immer wieder abgebrochen. Zuletzt musste die Iran-Delegation des Europäischen Parlaments ihre geplante Reise kurzfristig absagen, weil ihr von iranischer Seite kein Zugang zu den gewünschten Gesprächspartnern gewährt wurde. Allein im Rahmen der Nukleargespräche bestehen Kontakte zwischen der iranischen Regierung und der EU, da neben Großbritannien, Frankreich und Deutschland (den sogenannten E3-Ländern) auch die Hohe Vertreterin Catherine Ashton beteiligt ist.

Zweifelsohne beträte die EU mit diesem Schritt Neuland, nicht nur diplomatisch, sondern auch politisch-institutionell. Doch der Schritt wäre sinnvoll, nicht nur, weil er einen neuen Gesprächskanal eröffnen würde, sondern auch, weil er dem noch unter Kinderkrankheiten leidenden Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) eine einmalige Chance böte. Die EU-Staaten werden sich aus Solidarität mit Großbritannien, Sorge um das eigene Personal und als zusätzliche Sanktion gegen das Regime zumindest kurzfristig weiter aus Teheran zurückziehen wollen. In dieser Situation könnte der EAD den Stillstand auflösen und, indem er die außenpolitischen Kontakte zu Iran übernimmt, den Mitgliedstaaten unter die Arme greifen – gut für den Dienst, aber auch für die krisengeplagte Union insgesamt.

Schritt eins: Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist kein kurzfristiges Unterfangen. Deshalb sollte die EU zunächst einen Sonderbeauftragten (EUSB) für Iran ernennen. Dieser würde sich von den bisherigen Entsandten unterscheiden, die in erster Linie einen Gewaltkonflikt lösen oder ein bestehendes Friedensabkommen überwachen sollten. Sein Mandat sollte klar umrissen und auf die gegenwärtige Problemlage zugeschnitten sein: Verhandlungen über das Nuklearprogramm, Berichterstattung zur Menschenrechtslage und Unterstützung regionaler Kooperationen (z.B. in Flüchtlingsfragen oder bei der Bekämpfung des Drogenhandels). Flankiert würde diese politische Tätigkeit von diplomatisch-institutionellen Bemühungen um die Aufnahme vollwertiger Beziehungen, einschließlich der Eröffnung einer EU-Vertretung in Teheran. Dies wäre allerdings an Bedingungen geknüpft, vor allem: Sicherheitsgarantien für das entsandte Personal und freien Zugang zu lokalen Gesprächspartnern.

Der politische Dialog bliebe also auf die EU-Ebene und die drei genannten Kernthemen begrenzt; die mitgliedstaatlichen Botschaften wiederum könnten sich auf weniger politisierte Bereiche wie Kultur und auf konsularische Angelegenheiten verlegen, ihr politisches Engagement also reduzieren. Um ähnliche Erfahrungen wie die im Jugoslawienkrieg Ende der Neunzigerjahre zu vermeiden, als der EU-Beauftragte seiner Arbeit vor Ort nicht nachgehen konnte, weil ihm Belgrad das Visum verweigerte, könnte die EU einen der mitgliedsstaatlichen Botschafter zum Sonderbeauftragten ernennen. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem Teile ihres bereits entsandten Personals an die EU „ausleihen“. Auf diese Weise stünde binnen Kürze ein erfahrenes und funktionsfähiges EUSB-Team in Teheran zur Verfügung.

Die Diplomatie ist tot, lang lebe die Diplomatie

Weiter an der Schraube der diplomatischen Eskalation zu drehen wäre einfallslos und gefährlich. Die jüngste Einigung der EU-Außenminister auf weitere Sanktionen und die Angriffe auf europäische Einrichtungen in Teheran verheißen eine weitere Verschlechterung der Beziehungen. Gerade deswegen sind nun Schritte jenseits der vorherrschenden Logik von Konfrontation und Strafe gefragt. Sie wären umso wirkungsvoller, als sie die Gegenseite vollkommen unvorbereitet träfen.

Wie Iran auf ein solches Angebot reagieren würde, ist schwer abzuschätzen. Bislang war dem Regime an einer Aufwertung der Beziehungen zur EU sehr gelegen. Ein Abbau der bilateralen Kontakte zu den Mitgliedstaaten entspräche allerdings nicht dem Wunsch Teherans nach internationaler Anerkennung. Gerade deswegen wären diese Schritte – Aufbau diplomatischer Beziehungen Iran-EU einerseits, Reduzierung des bilateralen mitgliedstaatlichen Engagements andererseits – ein kluger Schachzug.

Bibliografische Angaben

Adebahr, Cornelius. “Eine diplomatische Volte, mit der Teheran nicht rechnet.” December 2011.

DGAPstandpunkt 13, 1. Dezember 2011, 3 S.

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