Es ist ruhiger geworden um die Freiheitsrevolte in Iran. Über vier Monate nach Beginn der Proteste scheint es, als hätte das Regime dank brutaler Gewalt, Massenverhaftungen und Internetblockade obsiegt. Umso lauter werden derzeit Rufe in Europa, die islamischen Revolutionsgarden als Schlüsselstein des iranischen Unterdrückungsapparats auf die EU-Terrorliste zu setzen. Diese Maßnahme würde jedoch die Lage der Menschen im Land nicht verbessern und gleichzeitig die europäische Handlungsfähigkeit im Nahen Osten enorm einschränken. Viel wichtiger als solche Symbolpolitik wäre es, direkte materielle und humanitäre Unterstützung für die Protestierenden vor Ort zu leisten. Hier haben Deutschland und Europa noch großen Aufholbedarf.
Die deutsche Außenministerin bezeichnet den Schritt als politisch wichtig und sinnvoll, die Opposition fordert ihn schon länger, und nun schließt sich auch das Europäische Parlament an: Es geht darum, die Revolutionsgarden als Elitearmee der Islamischen Republik mit "Terrorsanktionen" zu belegen. Dass sich der EU-Außenministerrat in seiner jüngsten Sitzung am 23. Januar nicht für diese Maßnahme entschieden hat, wird primär mit rechtlichen Anforderungen sowie mangelnden Mehrheiten im Kreise der 27 Mitgliedstaaten begründet. Doch erscheinen diese Hürden grundsätzlich überwindbar; das Problem ist vielmehr, dass eine solche "Listung" keine wirksame Maßnahme zur Unterstützung der Revolte in Iran ist, sondern kurz- und langfristig mehr Schaden anrichtet. Dies findet in der häufig hitzig geführten Debatte leider wenig Beachtung.
Der Grund für die Beliebtheit derartiger Sanktionen liegt in ihrer Signalwirkung: Denn so demonstriert eine Regierung gegenüber der eigenen Öffentlichkeit ebenso wie der Welt und zu in der Regel überschaubaren eigenen Kosten, dass sie etwas gegen das Vorgehen eines anderen Staates unternimmt. Da ist es auch unerheblich, dass die Auswirkungen einer Terrorlistung wie das Einfrieren von Vermögen sowie Einreisesperren für alle Angehörigen keinen Mehrwert zu bereits bestehenden EU-Sanktionen gegen die Revolutionsgarden haben. Es zählt allein das Symbol.
Folgen könnten ins Gegenteil kippen
Die Terrorliste der EU wiederum ist ein Produkt der Zeit nach 9/11 und entsprechender Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Sie führt neben Einzelpersonen auch eine Reihe von Organisationen auf, von den Al-Aksa-Brigaden über die Hamas bis zur kolumbianischen Guerilla ELN. Auch wenn bestimmte Listungen in der Vergangenheit immer wieder Kritik erfuhren, so ist sie ein rechtsstaatliches Instrument zur Terrorbekämpfung in Europa und außerhalb. Daher ist die Frage, ob die iranischen Revolutionsgarden den juristischen Tatbestand einer Terrororganisation erfüllen, keineswegs trivial. Denn die richterliche Überprüfung geht weit über den politisch-umgangssprachlichen Befund hinaus, dass jene offensichtlich die eigene Bevölkerung "terrorisieren". In jedem Fall wäre der Schaden immens, sollte eine Listung der Garden zu einem späteren Zeitpunkt durch ein europäisches Gericht gekippt werden.
Vor allem aber übersieht der Drang zu symbolischem Handeln die Folgen einer solchen Entscheidung. Die Revolutionsgarden sind nicht nur eine Armee samt effizientem Unterdrückungsapparat, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor im Land und kontrollieren Häfen und Flughäfen. Tatsächlich haben die Sanktionen der Vergangenheit, vor allem die US-Politik des "maximalen Drucks" dazu geführt, dass Privatfirmen beispielsweise im Infrastruktursektor schließen mussten und die Garden ihr Geschäft übernommen haben. Unabhängig von möglichen Reaktionen des Regimes würde eine Listung also auch Lieferungen von Lebensmitteln, Medikamenten und anderen humanitären Gütern beeinträchtigen – weshalb die Auswirkungen einer Listung auf die breite Bevölkerung ebenfalls abgewogen werden müssen. Schließlich gehören zu den Garden auch Millionen ehemalige Wehrpflichtige, die somit lange nach ihrem Dienst als Angehörige einer Terrororganisation gebrandmarkt wären.
Darüber hinaus würde die EU durch diesen Schritt ihren außenpolitischen Handlungsspielraum stark einschränken. Denn mit der Terrordesignation einer offiziellen Armee begäbe sie sich auf einen Konfliktkurs mit dem entsprechenden Staat, den sie nur schwer wieder verlassen könnte. Die drängende Nuklearfrage, Spannungen mit den arabischen Nachbarn und Israel, die Ölversorgung durch den Persischen Golf – wie will Europa hier handeln, wenn sämtliche Kontakte zu einem zentralen Akteur des Regimes verboten sind?
Kluge Außenpolitik beginnt zu Hause
Fast scheint es, dass Konfrontation um jeden Preis das eigentliche Ziel mancher Stimmen in dieser Debatte ist. Zumindest ist dies das Mindset hinter dem Ursprung der Forderung: Es war die Trump-Regierung, welche die bereits mit umfangreichen Sanktionen belegten Garden 2019 zusätzlich noch auf die US-Terrorliste setzte, um jegliche diplomatische Verständigung dauerhaft und auch für nachfolgende Präsidentschaften zu unterbinden. Mit Erfolg.
Wer hingegen wirklich den Protestierenden helfen will, hätte hierfür bessere Möglichkeiten als die pauschale Sanktionierung einer staatlichen Einheit. Zum einen sollte die EU nach und nach alle für die Unterdrückung Verantwortlichen individuell und gerichtsfest listen. Hier kann sie politischen Willen und Handlungsfähigkeit beweisen, indem diese Mechanismen schneller auf den Weg gebracht, international koordiniert und effektiv umgesetzt werden. Daneben sollte sie dringende Menschenrechtsanliegen wie bevorstehende Hinrichtungen und willkürliche Verhaftungen, vor allem von Anwältinnen und Journalisten, beständig und öffentlich adressieren. Zum anderen braucht die revolutionäre Bewegung im Land technische und finanzielle Unterstützung, beispielsweise bei der Nutzung von IT- und Cloud-Diensten sowie durch Geldzahlungen für Gerichtsverfahren und medizinische Behandlungen. Hier hat die EU noch längst nicht ihre Möglichkeiten ausgeschöpft. Schließlich müssen sich Staaten wie Deutschland wo nötig auch für Ausreise und Asyl der direkt vom Regime Verfolgten einsetzen und die iranischstämmige Bevölkerung im eigenen Land schützen. Merke: Kluge Außenpolitik beginnt immer auch zu Hause.
Am Ende schadet die lautstark geforderte Listung der Revolutionsgarden mehr, als dass sie nutzt. Stattdessen sollten Bundesregierung und EU endlich die Maßnahmen ergreifen, die den Menschen in Iran direkt zugutekommen.