Das Ende der britischen Ruanda-Politik ist ein deutliches Signal: Die Regierung von Premierminister Rishi Sunak wollte irregulär eingereiste Asylsuchende nach Ruanda ausfliegen. Das Vereinigte Königreich bezahlt dem ostafrikanischen Land hohe Summen, damit es die Verantwortung für Asylverfahren, Unterbringung und eventuelle Abschiebung übernimmt. Trotz dieser Bemühungen hat bislang kein Flugzeug Asylsuchende nach Ruanda gebracht.
Die deutsche Politik verfolgt diese Diskussionen zur Auslagerung von Asylprüfungen in Drittstaaten eng. Bereits im Koalitionsvertrag einigten sich die Ampelparteien darauf, Modelle zu prüfen. Im November 2023 beauftragten die Ministerpräsident:innen das Innenministerium mit einer Prüfung. Die Ergebnisse zeigen klar die zahlreichen Probleme dieses Modells:
Rechtliche Hürden
Die britische Erfahrung zeigt: Selbst ein Land, das nicht an EU-Recht gebunden ist, stößt auf erhebliche rechtliche Herausforderungen. Seit über zwei Jahren unterbrechen Gerichte immer wieder die Umsetzung des Modells.
Der Oberste Gerichtshof erklärte das Modell für rechtswidrig, da es ein erhebliches Risiko birgt, dass Ruanda Asylanträge nicht angemessen prüft und Asylbewerber:innen trotz Schutzanspruch in ihr Herkunftsland zurück schicken könnte, was gegen die in zahllosen Verträgen festgehaltene Verpflichtung zur Nichtzurückweisung (non-refoulemet) verstößt. Die konservative britische Regierung versuchte, dieses Urteil durch ein Gesetz und ein neues Abkommen mit Ruanda zu umgehen, was über Parteigrenzen hinweg und insbesondere vom britischen Oberhause auf breiten Widerstand stieß und weitere Klagen nach sich zog.
Finanzielle Risiken
Das Ruanda-Modell ist außerdem kostspielig. Es umfasst Pauschalzahlungen von 370 Millionen Pfund in einen Fonds für wirtschaftliche Entwicklung sowie pro-Kopf-Beiträge pro überführten Asylbewerber. Zusätzlich fallen weitere Kosten bei der Umsetzung an, z.B. für Hafteinrichtungen vor der Überführung nach Ruanda. Ob sich dieses Risiko finanziell lohnt, hängt maßgeblich davon ab, wie viele Menschen durch die Ruanda-Politik abgeschreckt werden, in das Vereinigte Königreich zu kommen machen – das erklärte Ziel dieses Modells. Dieser abschreckende Effekt ist „höchst ungewiss“, wie selbst der ranghöchste Beamte im Innenministerium erklärte.
Schwierige Partnersuche und überschattete andere Interessen
Die britische Regierung durchlief eine lange Liste von Ländern, bevor sie schließlich in Ruanda Gehör fand. Menschenrechtliche und demokratische Bedenken traten dabei in den Hintergrund. Diese Zusammenarbeit stärkt den autokratischen Präsidenten Paul Kagamebei seiner Profilierung auf internationaler Bühne. Die britische Regierung entschied, dass migrationspolitische Erwägungen in den Beziehungen mit Ruanda eine hohe Priorität haben. Je nach Drittland kann das Zurückstecken von anderen Ressorts wie Entwicklungs-, Klima-, Energie- oder Stabilisierungspolitik langfristig negative Auswirkungen haben.
Lehren für Deutschland
Aus dem britischen Scheitern kann die deutsche Politik drei Lehren ziehen:
1. Das Ruanda-Modell ad acta legen
Deutschland sollte das Ruanda-Modell endgültig verwerfen. Wenn ein britischer Premierminister scheitert, diesen Plan auch nur ansatzweise umzusetzen, obwohl er seine gesamte Migrationspolitik auf dieses Modell gestützt hat, sollte das ein klares Signal an die deutsche Politik sein, die eine ähnliche Lösung fordern. Wer die Bundestagswahl gewinnen will, sollte keine unrealistischen Auslagerungsversprechen machen, da diese wahlpolitisch riskant sind.
2. Asylverfahren vor- und nicht auslagern
Die deutsche Regierung sollte Modelle prüfen, bei denen Asylverfahren teilweise oder vollständig in Transitstaaten durchgeführt werden, bevor Asylsuchende ihr Zielland erreichen. Diese Modelle können zwar weder rechtlich noch praktisch den Zugang zu territorialem Asyl ersetzen, würden aber einigen Schutzsuchenden eine geordnete, sichere und reguläre Einreise nach Deutschland ermöglichen. Ein Beispiel, das das deutschen Innenministerium bei der Ausarbeitung verschiedener Modelle anschauen sollte, ist die Safe Mobility Initiative der USA mit vier lateinamerikanischen Ländern, die seit 2022 läuft.
Parallel dazu sollte Deutschland bestehende Strukturen ausbauen, die eine reguläre Einreise ermöglichen, z.B. durch mehr Resettlement-Plätze, also Kontingente, die ein Land zur Verfügung stellt, um besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen, die sich bereits in einem Erstzufluchtsland befinden, eine dauerhafte und sichere Aufnahme zu bieten.
3. Inländische Lösungen verfolgen
Das Ruanda-Modell lenkt von dringenden inländischen Herausforderungen der Migrationspolitik ab. Deutschland sollte sich auf kontrollierbare und nachweislich wirksame Maßnahmen konzentrieren. Hierzulande gelingt es beispielsweise aktuell die Zahl Ausreisepflichtiger zu reduzieren, indem Langzeitgeduldete eine Chance auf einen regulären Aufenthalt bekommen. Diese betraf bisher allerdings nur geduldete oder gestattete Menschen, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. Hier könnte ein zweiter Stichtag helfen. Auch Investitionen in Ausländerbehörden helfen, um eine effiziente Umsetzung der Gesetze sicherzustellen.
Deutschland braucht eine realistische Migrationspolitik. Der Fokus sollte weg von der Illusion Ruanda und hin zu praktikablen Alternativen führen. Andernfalls droht den deutschen Parteien ein ähnliches Schicksal wie der Tory-Regierung in Großbritannien.
Dieses Memo ist im Rahmen des Projekts "Die Effekte von Migrationszusammenarbeit und -abkommen auf Deutschlands Entwicklungs- und Außenpolitik“, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt wird, entstanden.