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24. Aug. 2012

Das Ende des Kuschelkurses

Francois Hollande hat schmerzhafte Reformen bislang vermieden. Nun muss er beweisen, dass er sich durchsetzen kann.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich als „Turbopräsident“ feiern ließ, bemüht sich François Hollande, dem Zeitdruck trotz Krise nicht nachzugeben und seinem eigenen Rhythmus zu folgen. Hollande will einen neuen Regierungsstil etablieren, der auf gesellschaftliche Debatten und politische Verhandlungen setzt, um stabile Kompromisse zu erzielen, erläutert Frankreich-Kennerin Claire Demesmay in ihrem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.

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Bevor er die großen Herausforderungen angeht, vor denen Frankreich steht, will der neue Präsident eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für seine Politik schaffen. Lange werden Hollande und sein Premier Jean-Marc Ayrault aber die wirtschaftlich schmerzhaften Reformen nicht mehr aufschieben können. Dann muss Hollande beweisen, dass seine Zurückhaltung kein Ausdruck

politischer Unentschlossenheit ist. In Frankreich herrscht großes Misstrauen gegenüber der politischen Elite. Etwa 80 Prozent der Franzosen sind der Meinung, die Gesellschaft sei ungerecht. In solchen Zeiten ist es schwer, Sozialreformen anzugehen. Das hat die Wahlniederlage Nicolas Sarkozys gezeigt, zu der der Reformeifer des ehemaligen Präsidenten beigetragen hat. Hollande, von Natur aus vorsichtig, möchte den Fehler keinesfalls wiederholen – auch wenn das bedeutet, dringend nötige Reformen zu vertagen.

Stattdessen rückte Hollande in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit das Thema soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund–nicht nur rhetorisch, sondern auch durch politische, wenngleich vor allem symbolische Maßnahmen. Er erhöhte den Mindestlohn, stockte die finanzielle Beihilfe zum Schulbeginn auf und führte die Rente mit 60  teilweise wieder ein. Während diese kostspieligen Entscheidungen in Deutschland viel Kritik ernteten, sind sie in Frankreich mehr als ein populistisches Geschenk an die Wähler: Sie sollen Zukunftsängste der Franzosen abbauen und ihr Vertrauen in die Politik zurückgewinnen.

Unterstrichen hat Hollande dieses Ziel noch mit Gehaltskürzungen für Staatspräsident und Kabinett, Gehaltsbegrenzungen für Manager öffentlicher Unternehmen sowie der Einberufung einer Kommission für „Moralisierung und Erneuerung des politischen Lebens“. In Frankreich, wo pompöses Auftreten politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger oft üblich ist, darf die Bedeutung solcher Gesten nicht unterschätzt werden.

Sie richten sich auch an seine eigenen Parteimitglieder. Seit Jahren verläuft durch den Parti socialiste vor allem in Wirtschafts- und Haushaltsfragen ein Graben zwischen reformfreudigen Sozialdemokraten wie Premier Ayrault und Globalisierungsgegnern wie Industrieminister Arnaud Montebourg. Auch die Außen- und insbesondere die Europapolitik haben immer wieder zu parteiinternen Zerwürfnissen geführt. Zwar konnten in der jüngeren Vergangenheit einige Gräben geschlossen werden. Sobald nun aber die umstrittenen Sozialreformen angegangen werden, kann die Kluft die Regierungsarbeit belasten.

Hollande, der die Partei von 1997 bis 2008 führte, ist sich des Risikos bewusst. Sein vorsichtiger Regierungsstil und die Einbindung verschiedener Parteiflügel ins Kabinett sind Reaktionen darauf. Hollande ist gewillt, unterschiedliche, gar widersprüchliche Positionen mit seiner Politik zu vereinigen. Als etwa Anfang Juli der Autobauer Peugeot Massenentlassungen ankündigte, war dies gut zu beobachten: Industrieminister Arnaud Montebourg fiel durch öffentliche Wutattacken gegen die Konzernchefs auf, Arbeitsminister Michel Sapin wollte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftlern sachlich moderieren.

Eine solche Aufgabenverteilung bedient die Interessen der Bevölkerungsgruppen und Parteiflügel. Sie birgt aber die Gefahr, verwirrende Signale zu senden. Bisher grenzt sich Hollande von seinem Vorgänger auch dadurch ab, dass er sich aus konkreten Streitfragen heraushält und das Tagesgeschäft seinem Premier überlässt. Er legt großen Wert auf die Belebung des sozialen Dialogs, den er sogar in der Verfassung verankern möchte. So ließ er das Arbeitsministerium Anfang Juli eine „große Sozialkonferenz“ ausrichten, um Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung am Entscheidungsprozess der kommenden Monate zu beteiligen–ein Novum in Frankreich, wo Verhandlungen der Tarifpartner eher konfrontativ sind.

Auch die europäischen Partner lernten Hollandes Stil des „Ja, aber“ bereits im Wahlkampf kennen. Seine Forderung, den Fiskalpakt neu zu verhandeln und seine Ablehnung einer Schuldenbremse stießen in Brüssel und Berlin auf Unverständnis. Dabei waren sie längst nicht so radikal, wie sie hierzulande wahrgenommen wurden. Damals kam es darauf an, die französischen Europaskeptiker auch in der eigenen Partei zu beruhigen und für sich zu gewinnen. Nie stellte Hollande etwa die Haushaltssanierung in Frage.

Doch die Zeit des väterlichen Beschwichtigens wird wohl bald von einem schmerzhaften Reformkurs abgelöst. Im September stellt die Regierung ihre Haushaltsplanung vor und steht damit vor ihrer ersten großen Belastungsprobe. Der Abbau des Staatsdefizits steht auf der Agenda sowie Umverteilungsfragen und unpopuläre Maßnahmen zum Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Andere Baustellen wie die Bankenreform und die Finanzierung der Krankenversicherung sollen folgen.

Hollandes zurückhaltender Politikstil hat zu seinem Wahlerfolg beigetragen. Er kann sich aber schnell als seine größte Schwäche erweisen. Um unpopuläre Reformen auf den Weg zu bringen, muss der Präsident imstande sein, ein Machtwort zu sprechen. Schon in der Sommerpause griff ihn die Opposition wegen seiner Zurückhaltung in der Syrien-Frage an. Sollte sieweiterhin – auch in der Innenpolitik – in der Lage sein, Themen zu setzen, die Hollande zum Handeln zwingen, kann ihm seine Zurückhaltung zum Verhängnis werden. Mit der andauernden wirtschaftlichen Krise wächst der Unmut in der Bevölkerung. Schon jetzt mehren sich die Stimmen der Wutbürger. Von Herbst ankönnten die ersten großen Demonstrationen der Automobilindustrie stattfinden, andere Branchen könnten folgen. Die meisten seiner sozialpolitischen Wahlversprechen, wie die Erhöhung des Mindestlohns, hat Hollande dann eingelöst. Weitere Zugeständnisse wird die Haushaltslage nicht zulassen. Sicher sind Zuhören und Kompromissbereitschaft wichtige Führungsqualitäten, um Blockaden in Krisenzeiten zu vermeiden. Doch müssen sie von Überzeugungs- und Durchsetzungskraft begleitet werden und dürfen erforderlichen Reformen nicht im Wege stehen.

Dass er beides kann, wird Hollande jetzt unter Beweis stellen müssen. In der Politik wie beim Seiltanz hat das Ausbalancieren nur Sinn, wenn man sich dabei dem Ziel annähert.

Bibliografische Angaben

Demesmay, Claire. “Das Ende des Kuschelkurses.” August 2012.

Süddeutsche Zeitung, 24. August 2012

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