„Xiconomics“ reiht sich in eine Gattung der -ismen ein, die, wie „Reaganomics“ und „Thatcherismus“, den Namen einer politischen Führungsperson untrennbar mit einem wirtschaftspolitischen Paradigma verknüpfen. In Xis Vision wird Chinas Wirtschaft zu einem staatskapitalistischen System umgebaut, was unter anderem einen tiefen Eingriff in die Strukturen der Privatwirtschaft und eine Beschränkung unternehmerischer Autonomie beinhaltet. Und das, obwohl Unternehmen stets ihre Unabhängigkeit beteuern.
Die Kooptierung privater Unternehmen durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) reicht weit zurück, wurde jedoch unter Xi Jinping und seiner Vision von „modernen Privatunternehmen mit chinesischem Charakter“ erheblich intensiviert.
Die fehlende Sichtbarkeit politischer Einflusskanäle behindert eine realistische Risikobewertung bei sicherheitsrelevanten Investitionen und Kooperationen im Technologiesektor. Deutsche (und europäische) Behörden werden die Entwicklung chinesischer Unternehmen daher aufmerksam beobachten und ihre regulatorischen Instrumente neu ausrichten müssen. Zu dieser Sorgfaltspflicht wird die kommende Bundesregierung nicht nur durch die kürzlich erweiterten Vorgaben der EU-NIS2-Richtlinie aufgerufen, die ab dem 17. April 2025 verbindliche Cybersicherheits- und Meldepflichten für 18 kritische Sektoren einführt, sondern auch durch die Zusagen im Koalitionsvertrag 2025 zur Novellierung des BSI-Gesetzes und zur Umsetzung des Cyber Resilience Act.
Wie Parteizellen in chinesischen Unternehmen agieren
Seit 1993 schreibt Chinas Firmengesetz vor, dass Privatfirmen repräsentative Einheiten der KPCh einrichten müssen. Diese Einheiten, oft vereinfacht als „Parteizellen“ bezeichnet, wurden insbesondere unter Xi Jinping (2018 und 2020) systematisch ausgebaut. Dabei handelt es sich nicht um einheitliche oder homogene Strukturen: Es können sieben verschiedene Arten von Parteizellen geformt werden, oft auch mehrere im gleichen Unternehmen. Abhängig von der Art und Größe des Unternehmens sowie der Anzahl der firmeninternen Parteimitglieder erstrecken sie sich von der Basis der Belegschaft – der „Grassroots“-Ebene – bis zur höchsten Ebene der Unternehmensführung.
Der Ausbau dieser Zellen ist ein zentraler Bestandteil der sogenannten „Party Construction Work“, die von der Einheitsfront der KPCh durchgeführt und vor allem von Huawei durch „Smart Party Building“-Programme unterstützt wird (IT-gestützte Plattform zur digitalen Verwaltung und Schulung von Parteizellen). Sie übernehmen eine Vielzahl von Aufgaben, darunter die Sicherstellung regulatorischer Compliance, die ideologische Schulung der Belegschaft sowie die Überwachung der Loyalität gegenüber der Partei. In einigen Fällen könnten diese Strukturen auch den Zugang zu staatlichem Kapital vereinfachen oder als Instrument dienen, um Entscheidungen auf Führungsebene gezielt zu beeinflussen.
Bis 2023 waren laut offiziellen Angaben 1,6 Millionen Parteizellen in chinesischen Privatunternehmen eingerichtet. Die Verbreitung variiert je nach Branche: Während laut offiziellen Zahlen die Durchdringung in verschiedenen Wirtschaftszweigen unterschiedlich hoch ist, schätzten Experten, dass der Anteil in der Technologiebranche bei nahe 100 Prozent liegt (Siehe Annex A für Beispiele).
Golden Shares – Sonderrechte durch minimale Kapitalanteile
Die sogenannten „Golden Shares“ haben ihren Ursprung in den 1980er-Jahren unter Margaret Thatcher, die trotz Privatisierung der britischen Wirtschaft staatliche Mitspracherechte in strategischen Sektoren behalten wollte. Seit 2013 finden sie auch zunehmend Anwendung in China. Diese Aktien, auch „Sonderverwaltungsaktien“ genannt, ermöglichen es dem Staat, mit einem geringen Kapitalanteil erhebliche Sonderrechte und Entscheidungsbefugnisse in einem Unternehmen auszuüben. Dazu gehören unter anderem das Recht, einen Direktor zu ernennen, ein Veto bei bestimmten Unternehmensentscheidungen einzulegen oder Inhalte zu zensieren. In einigen Fällen können Golden Shares auch Zugang zu wichtigen Medien- und Veröffentlichungslizenzen sichern.
Details rund um Golden Shares sind oft unklar, da sie selten direkt zwischen Staat und Firmen vereinbart werden, sondern durch komplexe Unternehmensnetzwerke umgesetzt werden, wie etwa über den China Internet Investment Fund (CIIF). Bekannt ist, dass diese Sonderaktien von Unternehmen an eine Regierungsbehörde ausgegeben werden. Meist werden die daraus entstehenden Rechte von der Cyberspace Administration of China (CAC) ausgeübt.
Wie viele Golden Shares bisher eingeführt wurden, ist nicht bekannt. Experten schätzen jedoch, dass ihre Anzahl derzeit überschaubar ist und sie vor allem dazu dienen, die Kontrolle über Inhalte und Daten der großen Internetkonzerne Chinas zu sichern. Im Fokus stehen insbesondere Unternehmen mit hoher gesellschaftlicher Reichweite.
Neben Gerüchten um Tencent, 36kr, Didi und Ximalaya sind die bekannten Beispiele in Annex B dieses Memos gelistet.
Formelle und informelle Druckmittel
Darüber hinaus nutzt die chinesische Regierung weitere Hebel, um die Kontrolle über private Technologieunternehmen zu verstärken. Ein zunehmend eingesetztes Instrument sind formelle Gespräche, die von CAC und anderen staatlichen Stellen einberufen werden. In den ersten 500 Tagen nach Inkrafttreten des Cybersicherheitsgesetzes 2017 fanden beispielsweise 1.998 solcher Gespräche statt, um Unternehmen auf die Einhaltung von Vorschriften hinzuweisen und Sanktionen zu vermeiden. Jahr für Jahr steigen diese Konsultationsgespräche: von 8.608 im Jahr 2022 auf 10.646 im Jahr 2023 und schließlich auf 11.159 im Jahr darauf.
Parallel dazu gibt es informelle Treffen – auch als „Teegespräche“ bekannt –, bei denen Regierungsvertreter vertraulich mit Führungskräften zusammentreffen, um auf die Einhaltung politischer Vorgaben hinzuwirken.
In manchen Fällen münden formelle wie informelle Gespräche in öffentlichkeitswirksamen Bekenntnissen und Rücktritten. ByteDance-Gründer Zhang Yiming sah sich 2018 dazu veranlasst, ein an maoistische Selbstkritiksitzungen erinnerndes Bekenntnisschreiben zu veröffentlichen. In diesem räumte er Moderationsfehler auf einer seiner Plattformen ein, beschwor sozialistische Kernwerte und gestand persönliches Versagen ein.
Auch Rücktritte und das Verschwinden prominenter Führungskräfte aus der Technologiebranche scheinen, ähnlich wie bei Parteifunktionären, in diesem Kontext häufiger vorzukommen. Leitende Persönlichkeiten aus der Tech-Industrie wie Peng Lei (ehemalige CEO von Ant Financial), Colin Huang (Gründer von Pinduoduo) und Zhou Hang (Gründer von Yidao Yongche) verschwanden zeitweise aus der Öffentlichkeit oder traten überraschend zurück, bevor sie „geläutert“ wiederkehrten. Der wohl bekannteste Fall ist der von Alibaba-Gründer Jack Ma, der nach einer kritischen Rede über Regulierungsbehörden im Oktober 2020 für drei Monate verschwand. Nach Jahren in der politischen Obskurität tauchte Ma Anfang 2025 in den chinesischen Staatsmedien als geläuterter Parteiloyalist wieder auf, während vor einem französischen Gericht Transkripte behandelt werden, die belegen sollen, dass er im Auftrag der KPCh einen in Frankreich lebenden Geschäftsmann eingeschüchtert hat.
Was Deutschland und Europa tun sollten
Bleiben politische Einflusskanäle unentdeckt, drohen in Deutschland Fehleinschätzungen bei sicherheitsrelevanten Investitionen und Technologiekooperationen. Schließlich muss geklärt werden, ob zentrale Technologie-Infrastrukturen – etwa im Bereich 5G, Cloud-Dienste oder Künstliche Intelligenz – von Unternehmen dominiert werden, die de facto unter Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas stehen und die im geopolitischen Krisenfall instrumentalisiert werden könnten. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass chinesische Unternehmen, die sich tatsächlichem politischen Zugriff erfolgreich entziehen konnten, pauschal unter Generalverdacht geraten.
Eine mögliche informelle oder parteipolitische Einflussnahme konnte bisher nicht von relevanten deutschen Behörden wie zuletzt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), jetzt wieder Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE), sowie dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) oder dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erfasst werden. Der Fokus des Rechtsrahmens und der politischen Narrative liegt häufig auf Eigentümerstrukturen und Subventionen. Der Betrachtungsrahmen sollte erweitert werden, um der schrumpfenden Autonomie chinesischer Konzerne Rechnung zu tragen.
Deutschland sollte im schleppenden Prozess des Phasing-Out der Huawei- und ZTE-Komponenten aus dem deutschen 5G-Kernnetz bis Ende 2026 (vollständig bis 2029) Zulieferer verpflichten, ihre Parteiverbindungen und mögliche „Golden Shares“ offenzulegen und sich einer erweiterten Lieferketten-Transparenzpflicht unter dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 zu unterziehen.
Außerdem sollte das BMWE unter einer neuen Leitung die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG/AWV) dazu nutzen, FDI-Prüfungen ausdrücklich auf informelle Einflussstrukturen wie Parteizellen und Golden Shares auszuweiten. Zudem ist das am 15. Januar 2025 eingetretene vierte Maßnahmenpaket von BMWE und BAFA, das neue Allgemeine Genehmigungen für Dual-Use-Güter und -Software einführt sowie Verfahrensabläufe beschleunigt, ein weiterer geeigneter Hebel, um solche Einflusskanäle zu prüfen.
Nur wenn politische Einflussnahmen – unabhängig von ihrer Herkunft – systematisch erfasst und offengelegt werden, kann Deutschland sicherstellen, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen auf klaren Kriterien beruhen und nicht durch verdeckte Steuerungsinteressen verzerrt werden.
Annex A
Alibaba: Bereits 2018 hatte das Unternehmen 200 Parteizellen eingerichtet, in denen über 7.000 Parteimitglieder organisiert waren.
ByteDance: Nach anfänglichem Widerstand gegen die Regierung erlebte das Unternehmen 2017 bis 2018 eine Welle von Parteizellengründungen.
Tencent: Das Unternehmen richtete ein Team zur „Lenkung der öffentlichen Meinung“ ein, das von einem Parteisekretär geleitet wird.
Huawei: Zuletzt bekannte Zahlen sind von 2007, als Huawei über 300 Parteizellen und mehr als 12.000 Parteimitglieder meldete.
Ausländische Unternehmen in China: Auch international tätige Firmen in China bzw. deren Töchter und Joint Ventures (JVs) sind gesetzlich verpflichtet, Parteizellen zu etablieren. Mercedes-Benz, Samsung und Nissan haben laut Berichten solche Zellen bereits eingerichtet.
Chinesische Firmen im Ausland: Ob und in welchem Umfang Parteizellen in den internationalen Niederlassungen chinesischer Firmen bestehen, ist bisher unklar. “