Gestern hat die Bundesregierung nach kontroversen Diskussionen dem Einstieg eines Tochterunternehmens von COSCO, einer großen Reederei in chinesischem Staatsbesitz, im Hamburger Hafen zugestimmt. Zunächst sollte der chinesische Konzern 35 Prozent der Anteile am Terminal „Tollerort“ erhalten. Nach Widerstand von sechs für die Investitionsprüfung zuständigen Bundesministerien, dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundesverfassungsschutz wurde die Beteiligung auf 24,9 Prozent gedrosselt. Damit würde COSCO über keine Sperrminorität verfügen.
Worin bestehen die konkreten Risiken einer solchen Investition? Und welche Rolle spielt Digitaltechnologie bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen?
Risiko 1: der Hafen als Panopticon
Häfen sind nicht nur Logistikzentren, sondern entwickeln sich zunehmend auch zu Knotenpunkten, in denen neben Umschlag und Lagerung auch Vertrieb und Produktion angesiedelt werden. Digitaltechnologische Vernetzung erlaubt die weitere Automatisierung und Vernetzung bis weit ins Hinterland. Mit einer Vielzahl an Sensoren werden Daten in großem Umfang erhoben, die zumeist über drahtlose Netzwerke in Datenzentren gespeichert und in vielen Fällen mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet und in integrierten Datenbanken bereitgestellt werden. So werden Effizienzgewinne beispielsweise durch Automatisierung im Hafen, aber auch eine effizientere Koordinierung von Logistik und Lieferketten jenseits des Hafens auf Straßen, Schienen, in Lagerhallen, Vertrieb und Produktionsstätten erzielt.
Diese Vernetzung führt dazu, dass eine größere Zahl und Diversität an teilweise kritischen Daten von der wachsenden Zahl an Akteuren der „Hafencommunity“ zentral erfasst, gespeichert und ausgewertet werden. Dies wirft die Frage auf, welche Daten als kritisch einzustufen sind, wer diese Einstufung vornimmt und wer Datenzugang erhält.
In Häfen fallen vor allem nicht-personenbezogene Daten an, die umfangreiche Auskunft über den internationalen Warenhandel ermöglichen. Dazu zählen Wareninhalt sowie Wertschöpfungs- und Logistikketten. Der Zugang zu solchen Daten gibt Unternehmen wertvolle Hinweise über ihre Konkurrenten und bringt erhebliche Wettbewerbsvorteile mit sich. Welchen Nutzen auch Staaten im Konfliktfall aus diesen Daten ziehen könnten, ist bislang weitgehend unerforscht. Es erscheint nicht abwegig, dass im Moment eines Wirtschaftskriegs umfangreiche Kenntnisse über Handelsströme und Lieferkettenabhängigkeiten des Gegners nützlich sind. Der Umgang mit nicht-personenbezogenen Daten ist bislang in Europa wenig reguliert.
In der Kontroverse um den Einstieg von COSCO im Hamburger Terminal „Tollerort“ versicherte der Hafenbetreiber, das chinesische Unternehmen werde keinen Zugang zu kritischen Daten erhalten. Containerterminals stellen jedoch einen zentralen Knotenpunkt des Umschlags von Waren und der anfallenden und auszuwertenden Daten dar. Es ist zumindest erklärungsbedürftig, wie die Potenziale der unaufhaltsamen Digitalisierung genutzt werden sollen, wenn Terminalbetreiber von einem Großteil des Datenzugangs ausgeschlossen werden sollen. Auch ob die Reduktion auf eine Beteiligung von unter 25 Prozent entscheidend ist, blieb zunächst unklar.
Risiko 2: Kontrolle über Waren- und Datenflüsse im Hafen
Betriebswirtschaftlich sind die Vorteile eines Einstiegs von COSCO nicht zu übersehen. Der globale Reedereimarkt ist oligopolistisch, COSCO ein zentraler Akteur. Zunehmend wickeln Reedereien den Handel über eigene Terminals ab. Dort werden die eigenen Schiffe bevorzugt behandelt. Damit erreichen Reedereien nicht nur einen schnelleren, sondern auch einen zuverlässigeren Umschlag der von ihnen transportierten Waren. Eine bevorzugte Behandlung ist Teil des Deals mit dem Hamburger Hafen. Terminalbetreiber erlangen dadurch zunehmende Kontrolle über die Abfertigung der Güter in Häfen und damit über die Zuverlässigkeit von Liefer- und Wertschöpfungsketten. Mit der Konzentration auf eigene Terminals wird die Abhängigkeit der Häfen von Reedereien immer größer. Das bedeutet: Welche Reedereien ein Hafen bedient, determiniert zunehmend, von welchen Reedereien Häfen, aber auch ganze Lieferketten abhängig sind. Mit dem Einstieg von COSCO wird ein Teil solcher Liefer- und Wertschöpfungskettensicherheit in die Hand eines chinesischen Staatskonzerns gelegt.
Hinzu tritt die Erpressbarkeit des Hamburger Hafens. Da COSCO bereits Beteiligungen in anderen europäischen Häfen erworben hat (Rotterdam, Seebrügge, Antwerpen, Valencia, Bilbao, Genua, Piräus, Las Palmas, Neapel und Marseille), hätte das Unternehmen im Falle des Scheiterns eines Deals dem Hamburger Hafen den Rücken kehren können. Da andere große Reedereien eigene Waren vor allem in eigenen Terminals abfertigen, würde ein Ausfall von COSCO nicht schnell zu ersetzen sein. Auf den ersten Blick spricht dies für den Einstieg des chinesischen Konzerns. Doch auch nach dem Einstieg von COSCO in Hamburg bleibt der gleiche Mechanismus bestehen. COSCO könnte stets mit dem Rückzug drohen und so politische Zugeständnisse erzwingen. Im Krisenfall könnte der deutsche Staat COSCO zwar enteignen. Aber das Ergebnis wäre nicht, dass am Folgetag andere Reedereien die Kapazitäten nutzen würden. Stattdessen wäre von einem Leerstand des Terminals auszugehen.
Auch die Zuverlässigkeit der kritischen digitalen Infrastruktur steht infrage. Die höhere Komplexität und Diversität der Hafencommunity, der von ihr angebotenen Dienstleistungen und der dafür benötigten Technologien erhöht die Angriffsvektoren für mögliche Angreifer. Der Ausfall kritischer Infrastrukturen würde angesichts der Bedeutung des Hafens Liefer- und Wertschöpfungsketten zum Erliegen bringen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass China im Konfliktfall Verletzbarkeiten in der kritischen digitalen Hafeninfrastruktur Deutschlands ausfindig machen und ausnutzen könnte, ist – unabhängig von COSCOS Einstieg – real. Sollten jedoch chinesische Unternehmen zentraler Bestandteil des digitalen Hafenökosystems werden, so könnten sie an Informationen gelangen, die eine Sabotage der entsprechenden Infrastruktur weiter erleichtern.
Risiko 3: Lock-in-Abhängigkeiten
Diese Sorge ist eng mit der der Tatsache verknüpft, dass die Digitalisierung des Hafens in erheblichem Ausmaß Aufgabe der Terminalbetreiber ist. Terminalbetreiber entscheiden auch über die Vergabe. Technologiehersteller haben zumeist besonders umfangreiche Kenntnisse über die Schwachstellen ihrer Produkte, die die Netzwerksicherheit untergraben. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass ein chinesischer Terminalbetreiber keine Hemmungen hat, chinesische Technologieunternehmen mit der Digitalisierung der eigenen Hafenterminals zu beauftragen.
Regulierung kann zwar Vorgaben für besonders kritische Komponenten machen. Aber in weiten Teilen der Digitalisierung einer kritischen Infrastruktur ist eine Erhöhung der Abhängigkeit von chinesischer Technologie wahrscheinlich. Dies ist vor allem deshalb relevant, weil die in Hafenterminals eingesetzte Technologie wartungsintensiv ist. In vielen Fällen bedeutet dies, dass bei der Wartung eine dauerhafte Abhängigkeit von den Technologieherstellern geschaffen wird. Der Terminalbetrieb könnte dann von chinesischen Technologiekonzernen wie Huawei abhängen.
Befürworter des COSCO-Deals argumentieren, es handle sich lediglich um eine Minderheitsbeteiligung in Hamburgs kleinstem Containerterminal. Die geschilderten Vergabeabhängigkeiten entstünden nur in einem kleinen Teil des Hafens. Zudem gehe es weder um den Besitz noch um die Einschränkung souveräner Hoheitsrechte des Staates oder um die Nutzung des Hafens für militärische Zwecke. Die Reduktion auf unter 25 Prozent der Beteiligung minimiert zumindest formal die Mitsprachemöglichkeiten von COSCO.
Isoliert auf Hamburg bezogen ist diese Argumentation zutreffend. Doch zu den vielen Hafenbeteiligungen COSCOs tritt die Präsenz von China Merchants, einem weiteren Staatskonzern, in acht europäischen Häfen (Nantes, Le Havre, Dünkirchen, Thessaloniki, Antwerpen, Marseille, Marsaxlokk, Rotterdam), der Hongkonger Reederei Hutchison in Stockholm, Gdynia, Barcelona und Rotterdam sowie Qingdao Ports in Genua. Dieses hohe Ausmaß chinesischer Präsenz in europäischen Häfen führt zu einer großen europäischen Abhängigkeit. Die Verkürzung auf die deutsche Perspektive übersieht, dass wirtschaftliche Abhängigkeiten im Kontext des europäischen Binnenmarkts zu bewerten sind. Was im lokalen Hamburger Kontext nach einer begrenzten Abhängigkeit von China aussieht, trägt zu der ohnehin schon großen Abhängigkeit des europäischen Binnenmarkts bei.
COSCO in Hamburg – viele Risiken bleiben
Der gefundene Kompromiss macht aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn. Isoliert betrachtet ist die Beteiligung an einem von vier Terminals ein überschaubares Risiko. Die Absenkung auf unter 25 Prozent Beteiligung reduziert die Einflussmöglichkeiten des chinesischen Konzerns. Doch zum einen wachsen aus der Abhängigkeit insgesamt die Risiken für den europäischen Binnenmarkt. Zum anderen setzt die Bundesregierung ein Signal: Statt Abhängigkeiten zu reduzieren und Anreize zur Diversifizierung zu setzen, wird die Politik der Kooperation und der Anbindung an China fortgesetzt. Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der sich ergebenden Probleme durch kritische Abhängigkeiten von russischer Energie hatten zahlreiche Politikerinnen und Politiker darauf gedrungen, Abhängigkeiten von China in Erwartung möglicher Konflikte, etwa um Taiwan, zu reduzieren. Ein Kurs, der der Bundesregierung angesichts der globalen Entwicklungen und Chinas wachsendem Einfluss mehr als anzuraten wäre.