Memo

Jan 22, 2025

Eine Europäisierung der NATO ist unabdingbar

Was Berlin hierfür tun muss
Scholz und die nordischen Partner, NATO-Gipfel Januar 2025

Die europäische Sicherheitsordnung ist durch Russlands Neo-Imperialismus, Chinas Machtstreben und schwindende US-Sicherheitsgarantien gefährdet. Wollen Deutschland und Europa, dass die NATO an der Seite der USA ein starker Akteur bleibt, sollten sie Folgendes tun: aufhören, sich über Washington zu beschweren, und darauf hinwirken, die Allianz zu europäisieren. Neben der deutlichen Erhöhung des Verteidigungsbudgets ist dieser Schritt durch die Ankurbelung der Rüstungsindustrie und militärische Integration NATO-Europas möglich.

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Ziel: Europäische Verantwortung in der NATO stärken

Die NATO muss angesichts globaler Unsicherheiten handlungsfähig bleiben. Nicht nur Washington, sondern auch die europäischen Alliierten – allen voran jene an der Ostflanke – werden erwarten, dass die Regierenden in Berlin sich für eine schnellere Beschaffung und die Bereitstellung europäischer Fähigkeiten und Truppen einsetzen. Ziel ist es, dass die europäischen Mitgliedstaaten mittelfristig einen größeren Teil der konventionellen Verteidigung Europas übernehmen und die USA entlasten.

Die Ausgangslage: Deutschlands Verpflichtungen und Finanzierungslücken

Die europäische Sicherheitsordnung steht zunehmend unter Druck, allen voran durch Russlands aggressives und neo-imperialistisches Gebaren. Aber auch die wachsende Macht Chinas, geopolitische Rivalitäten, insbesondere zwischen Beijing und Washington, und die mögliche Schwächung von US-Sicherheitsgarantien für Europa stellen Deutschlands strategische Ausrichtung vor enorme Herausforderungen. Dazu gehört die Finanzierung der Bundeswehr und damit Deutschlands Beitrag zur NATO. Seit 2022 hat die Ampelkoalition die Verteidigungsausgaben im Rahmen des Sondervermögens erhöht und 2024 erstmals das 2-Prozent-Ziel der NATO erreicht. Allerdings bleibt der reguläre Verteidigungshaushalt bis 2027 bei etwa 50 bis 53 Milliarden Euro eingefroren. Ab 2028 wird eine jährliche Finanzierungslücke von etwa 30 Milliarden Euro entstehen, wenn das Sondervermögen erschöpft ist. Bisher ist unklar, woher diese zusätzlichen Mittel kommen sollen – eine Frage, die die nächste Bundesregierung so schnell wie möglich klären muss, allemal vor dem nächsten NATO-Gipfel, der Ende Juni in Den Haag stattfindet. An die Klärung der Finanzierungsfrage sind die Umsetzung wichtiger Versprechen gebunden, die Deutschland der NATO gegenüber gemacht hat, darunter die Bereitstellung von zwei voll einsatzbereiten Divisionen bis 2025 beziehungsweise 2027, ebenso wie die Instandsetzung einer kampffähigen und dauerhaft stationierten Brigade in Litauen bis 2028. 

Der Beitrag der USA zu europäischer Sicherheit wird sinken

Die zweite Trump-Administration wird sich dafür einsetzen, die transatlantische Lastenteilung innerhalb der NATO grundlegend zu verändern.  Auch wenn es vieles gibt, worüber einflussreiche Mitglieder der neuen Trump-Regierung (vom Nationalen Sicherheitsberater über die designierten Außen- und Verteidigungsminister bis hin zu Berater Elon Musk) unterschiedlicher Meinung sind, gibt es doch einen Punkt, in dem sie sich einig sind: Die Vereinigten Staaten müssen das Gewicht ihrer Verpflichtungen von Europa weg und in den Indopazifik verlagern. Trump und sein Team werden eine deutliche Erhöhung der europäischen Militärausgaben anstreben und die Europäer dazu drängen, mittelfristig den Großteil der konventionellen Verteidigung des Kontinents zu übernehmen. Darüber hinaus ist es gut möglich, dass die Trump-Administration den nicht-militärischen Etat der NATO signifikant kürzen wird bzw. den amerikanischen Beitrag dazu.

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die USA ihr Engagement in der NATO nicht gänzlich einstellen werden und die erweiterte nukleare Abschreckung ebenso wie die nukleare Teilhabe im Rahmen der Allianz aufrechterhalten werden. Denkbar – und wünschenswert – ist, dass die USA zumindest in deutlich verringertem Umfang weiterhin konventionelle Kräfte entlang der Ostflanke bereitstellen.

Die nächsten Schritte: Europäisierung der NATO durch Deutschland

Die einzige nachhaltige Antwort auf die schwindende US-Präsenz in Europa ist eine stärkere Europäisierung der NATO. Deutschland muss hier eine Vorreiterrolle übernehmen, indem es folgende Maßnahmen umsetzt:

1. Nachhaltige Finanzierung sicherstellen

Um die Erhöhung des Verteidigungsbudgets wird Deutschland nicht umhinkommen. Nachdem die NATO-Alliierten bereits vor zwei Jahren die 2-Prozent-Marke als Untergrenze definiert haben, sollte Deutschland beispielhaft vorangehen, indem es sich dazu verpflichtet, bis 2028 mindestens 3 Prozent in Verteidigung zu investieren, was Schätzungen zufolge einem Wehretat zwischen etwa 134 und 156 Milliarden Euro jährlich entspräche. Allerdings sollte diese Verpflichtung zur Etat-Steigerung eng gekoppelt sein an den NATO-Planungsprozess und damit an die Frage, welche Fähigkeiten nicht nur Deutschland, sondern auch die anderen europäischen Alliierten zur Abschreckung bereitstellen müssen – und im Zweifel zur Verteidigung des Bündnisgebiets. Dafür bedarf es viel umfangreicherer finanzieller Mittel als bisher. Die EU-Mitgliedstaaten, die zu einem Großteil auch der NATO angehören, sollten daher ernsthaft überprüfen, wie gemeinsame Beschaffungsinitiativen finanziert werden können.

Eine Möglichkeit wäre die Ausgabe von Eurobonds für Verteidigung, die es ermöglichen würden, gemeinsam Kredite am Kapitalmarkt aufzunehmen, um zusammen in Rüstungsvorhaben zu investieren. Ein Vorteil dieses Vorgehens: Die Schulden, die gemeinsam aufgenommen werden, zählen nicht zu den nationalen Schulden, was die staatlichen Haushalte entlastet. Am sinnvollsten könnte dieses Instrument eingesetzt werden, wenn die Gemeinschaftsschulden für die Finanzierung bestimmter und dringend benötigter Fähigkeiten aufgenommen würden, so zum Beispiel für eine europäische Flugabwehr. Bisher hat Deutschland sich diesem Vorschlag gegenüber versperrt – die nächste Regierung muss diese Blockade überdenken, ebenso wie die Schuldenbremsenregelungen, da eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben ansonsten kaum umsetzbar sein dürfte. 

Ziel ist es, dass die europäischen Mitgliedstaaten einen größeren Teil der konventionellen Verteidigung Europas übernehmen und die USA entlasten.

2. Effiziente und europäisch orientierte Rüstungsbeschaffung

Die derzeitigen Beschaffungsprozesse in Deutschland sind ineffizient und kostspielig, was vor allem auf die Bestellung kleiner Mengen zurückzuführen ist, die die Stückpreise im Vergleich zu Großeinkäufen in die Höhe treiben. Um diese Herausforderungen anzugehen, hat die noch amtierende Bundesregierung im Dezember 2024 eine Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustrie-Strategie vorgestellt. Laut der Strategie soll geprüft werden, „inwieweit im Voraus Bestellungen für die Bundeswehr (…)  für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus ermöglicht werden können, um eine Erhöhung der Produktion (…) zu erreichen (…).“

Zudem soll die  Zusage fester Abnahmemengen gegenüber der Industrie in Betracht gezogen werden. 

Die nächste Regierungskoalition sollte die Umsetzung dieser Vorschläge priorisieren. Die europäische Dimension der Strategie darf ebenso wenig ignoriert werden. Insbesondere muss der Schaffung eines „europäischen Marktes für Verteidigungsgüter und -dienstleistungen“ mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. 

3. Strategische Fähigkeitslücken schließen

Die nächste Bundesregierung sollte darauf hinarbeiten, dass europäische Partner gemeinsam strategische Fähigkeitslücken in der Verteidigung schließen, die derzeit von den USA abgedeckt werden, insbesondere in den Bereichen Lufttransport, Aufklärung und Luftbetankung. Eine verstärkte Nutzung des Framework Nation Concept (FNC), das Deutschland 2013 initiiert hat, könnte helfen, die militärischen Fähigkeiten der europäischen Partner besser zu bündeln. Das Konzept kann es ermöglichen, im Verbund komplementäre Fähigkeiten aufzubauen und so US-Rückgänge auszugleichen. 

Will Deutschland, dass die NATO stark bleibt, ist die Antwort nicht, sich über Washingtons Rückzug zu beschweren, sondern darauf hinzuwirken, die Allianz zu europäisieren. Die Umsetzung der genannten Schritte durch die nächste Bundesregierung kann wesentlich dazu beitragen. 

Bibliographic data

Matlé, Aylin, and Rachel Tausendfreund. “Eine Europäisierung der NATO ist unabdingbar.” DGAP Memo 5 (2025). German Council on Foreign Relations. January 2025.