Kommentar

10. Mai 2011

Bin Laden ist tot

Zeit für die richtigen Fragen

Der gefährlichste Terroristenführer der Welt ist erschossen worden – und in Deutschland tadeln viele Kommentatoren die USA dafür, den Anführer des mörderischen Al-Kaida-Netzwerks nicht festgenommen und vor Gericht gestellt zu haben. Das ist weltfremd und zeugt von moralischem Hochmut. Hätten die US-Kräfte diesen Mann wirklich festnehmen und einem geordneten Verfahren zuführen können? Wie hätte dabei die Zusammenarbeit mit der pakistanischen Polizei und Gerichtsbarkeit ausgesehen?

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Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus darf nicht allein als Strafverfolgung verstanden werden. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit grenzübergreifend vernetzten Gegnern, die sich selbst als Kämpfer verstehen. Für die USA ist 9/11 in diesem Sinne ein kriegerischer Angriff gewesen. Traditionelle rechtliche Kriterien greifen dabei zu kurz. Eine internationale Abstimmung über neue rechtliche Instrumente, die Recht und Wirkung vereinen würden, aber kommt nicht in Gang; Deutschland hat sich dabei auch nicht hervorgetan. Hinter der kritischen Debatte hierzulande aber darf man getrost ein Quäntchen Anti-Amerikanismus vermuten: Dem pragmatischen Umgang der Supermacht mit dem Recht konnte Deutschland noch nie viel abgewinnen. Nachdem der Staub des Einsatzes sich gelegt hat, muss die Diskussion allerdings nun andere Fragen in den Fokus nehmen, um aus diesem Ereignis die richtigen Schlüsse für eine wirksame transatlantische Zusammenarbeit im Anti-Terrorkampf zu ziehen.

Wie wird sich die Al-Kaida nach Bin Ladens Tod verändern?

Der islamistische Milliardär war zuletzt wohl kaum noch von operativer Bedeutung für Al-Kaida, hatte aber eine wichtige doppelte Funktion: Er war das Gesicht eines Netzwerks mit globaler Agenda gegen die westliche Dominanz. Das war auch die Voraussetzung für die Anwerbung von Personal und Ressourcen. Viele unabhängige Ableger und zertifizierte Al-Kaida-Gruppierungen des mehr und mehr losen Netzwerks verfolgen dagegen regionale Ziele, was es ihnen nicht leichter macht, überall auf der Welt Unterstützung zu finden. Bin Laden bewies außerdem, dass auch die stärkste Supermacht Al-Kaida nicht im Herzen treffen kann, indem er für die USA jahrelang unauffindbar war. Das Netzwerk ist jetzt aber vermutlich geschwächt, weil es anderen Führungsfiguren schwer fallen wird, diese Doppelrolle auszufüllen. Die Strukturen der Kommunikation, Anwerbung und Ausbildung bei Al-Kaida werden aber weiter bestehen, deswegen darf Deutschland bei der Verfolgung nicht nachlassen.

Ist sich der Westen einig bei der Terrorabwehr?

Die derzeitige Situation bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Schub für die Terroristenverfolgung, weil den USA nun neue Informationen über die Terrornetzwerke zur Verfügung stehen. Das sollte auch der Zusammenarbeit der westlichen Staaten und ihrer Verbündeten nutzen. Dabei müssen die USA allerdings schnell vorgehen. Politischer Gegenwind und Zimperlichkeit, wie sie durch die deutsche, neurotische Diskussion hervorgerufen werden, können die gut funktionierende Kooperation gefährden. Was, wenn Deutschland seine Unterstützung bei der Verfolgung von Al-Kaida-Offizieren plötzlich an Bedingungen knüpft, nach dem Motto: „Deutschland hilft Euch nur, wenn ihr dem Gesuchten bei der Festnahme erst seine Rechte vorlest?“ Bitte nicht. Die abschätzige Moralkritik auf deutscher Seite kann zudem zur Entfremdung gegenüber dem atlantischen Partner betragen.

Wie kann Pakistan als Partner gegen den Terror gewonnen werden?

In Afghanistan wird nicht seit Jahren Krieg geführt, um Osama Bin Laden zu fangen. Der anvisierte Abzug der internationalen Truppen muss den Erfolgskriterien des State Building folgen, nicht dem Auf und Ab im Kampf gegen Al-Kaida. Vielleicht ist es möglich, bei der Neuaufstellung der Al-Kaida einen Keil zwischen die Taliban und die Terroristen zu treiben, beide ziehen längst nicht immer an einem Strang. Allerdings ist deutlich geworden, dass die Terroristen wie auch die Taliban in Pakistan über funktionierende Unterstützernetzwerke verfügen. Islamabad muss daher endlich unmissverständlich vor die Alternative gestellt werden, ob es die Terroristen unterstützen will oder nicht. Offener Druck von außen kann dabei die politische Stabilität Pakistans untergraben. Deshalb ist ein kluges Zusammenwirken Europas und der USA nötig, müssen Anreize, Hilfen und Druck, eingesetzt werden, um gemeinsam mit Pakistan den Terrorismus zu bekämpfen.

Bleibt Deutschland im Fadenkreuz der Terroristen?

Deutschland war und ist für terroristische Gruppierungen aus dem In- und Ausland ein Zielgebiet. Das liegt nicht vorrangig am Einsatz in Afghanistan. Deutschland als eine führende Wirtschaftsmacht tritt pragmatisch auch als Kooperationspartner autoritärer Regime auf. Dabei vertreten die Deutschen zwar freiheitliche Werte, die aber dem Ideengut der radikalen Islamisten zuwiderlaufen. Diese Bedrohung bestand mit Bin Laden an der Spitze der Al-Kaida wie auch ohne ihn. Es ist denkbar, dass Gruppierungen des Terrornetzwerks nun zeigen wollen, dass sie auch ohne ihren Führer handlungsfähig und gefährlich sind. Wichtig ist deshalb, wachsam zu bleiben und beispielsweise amerikanische Einrichtungen mit noch größerer Aufmerksamkeit zu schützen. Vielleicht steigt das Risiko, aber nicht unbedingt die Verwundbarkeit.

War Osamas Tod Wahlkampfhilfe für Obama?

Dem US-Präsidenten, der seitens der Opposition im eigenen Land unter politischem Dauerfeuer steht, dient die erfolgreiche Kommandoaktion als Beweis seiner Handlungsfähigkeit in der Krise. Daran können auch die Republikaner wenig aussetzen. Diese Entschlossenheit sorgt für Glaubwürdigkeit und kann ihm politisch helfen, wenn der Zeitplan des Truppenabzugs aus Afghanistan zur Entscheidung kommt oder die Frage der Einbindung von Taliban-Gruppierungen in den afghanischen Friedensprozess. Bei diesen Themen kann Obama in der innenpolitischen Debatte zuverlässige europäische Verbündete gut gebrauchen, um der Kritik zu begegnen, die USA würden am Ende in Afghanistan allein dastehen. Obamas innenpolitische Gegner bekämpfen den Präsidenten jedoch vor allem an Fronten, die mit Bin Laden nichts zu tun haben: Obamas politisches Schicksal hängt am Erfolg oder Misserfolg seiner Wirtschaftspolitik, an der Schaffung neuer Jobs und dem Abbau der Schulden.

Wenn sich die aufgeregte Moraldebatte um die Bin Laden-Erschießung gelegt hat, werden die Deutschen hoffentlich verstehen: Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus geht weiter und ist ein vorrangiges Anliegen der transatlantischen Zusammenarbeit.

Bibliografische Angaben

Riecke, Henning. “Bin Laden ist tot.” May 2011.

DGAPstandpunkt 5, 11. Mai 2011, 2 S.

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