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17. Dez. 2012

Nahostkonflikt: „Europa muss jetzt handeln“

Der palästinensische Botschafter Abdel Shafi über den neuen Status seines Landes, die Hamas und Israels Siedlungspolitik

„Nun können wir den Israelis auf Augenhöhe entgegentreten“, sagt Salah Abdel Shafi über die Aufnahme seines Landes als Beobachterstaat in die Vereinten Nationen. Der Schritt sei angesichts der Siedlungspolitik und der Weigerung Israels, Verhandlungen zu führen, nötig geworden, um den Weg zur Zweistaatenlösung offen zu halten. Damit aber die Konfliktparteien den Gesprächsfaden wieder aufnehmen, bedürfe es einer neuen Initiative der Europäer und Amerikaner.

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DGAP: Herr Botschafter, Ende November hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, die Palästinensergebiete zum „Beobachterstaat“ innerhalb der UNO aufzuwerten. Warum haben die Palästinenser ihr Anliegen gerade jetzt zur Abstimmung gebracht?

Salah Abdel Shafi: Seit zwei Jahrzehnten haben wir mehr oder weniger intensiv mit Israel verhandelt, um für unsere beiden Länder die sogenannte Zweistaatenlösung zu erreichen. Basis für einen palästinensischen Staat sind demnach die Grenzen von 1967, die den Gaza-Streifen, die Westbank und Ost-Jerusalem umfassen, Gebiete, die Israel seit 1967 völkerrechtswidrig besetzt hält. Wir wollten das gerne auf dem Verhandlungsweg erreichen, aber bis jetzt war keine israelische Regierung wirklich bereit für diese Lösung. Auch die jetzige Regierung steht nicht zu Verhandlungen auf Grundlage der Grenzen von 1967.

Zudem behauptet die israelische Regierung, der Gaza-Streifen und die Westbank einschließlich Ost-Jerusalem seien umstrittenes Territorium und keine besetzten Gebiete. Dieses Argument benutzt Israel, um den Bau seiner Siedlungen dort zu forcieren. Wenn Israel allerdings so weiter macht, wird bald kein Land mehr übrig sein für einen lebensfähigen Staat Palästina. Das war der Hauptgrund, warum wir schließlich zur UNO gegangen sind. Wir wollten jetzt einfach versuchen, die Zweistaatenlösung zumindest völkerrechtlich zu retten.

Durch die Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen – wenn auch nur als Beobachterstaat – ist dieser Staat völkerrechtlich anerkannt worden, in den Grenzen von 1967. Nun können wir mit den Israelis Verhandlungen auf Augenhöhe führen. Ein weiterer Grund war, dass die Weltgemeinschaft, darunter wichtige Organisationen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union, bereits bezeugt haben, dass Palästina über staatliche Strukturen verfügt und alle Aufgaben eines Staates wahrnehmen kann. Palästina besitzt sämtliche Zutaten für Staatlichkeit: ein Territorium, ein Volk und eine handlungsfähige Regierung.

DGAP: Sie gehen also davon aus, dass die Anerkennung durch die UNO die Palästinenser einem eigenen Staat näher bringt. Der Schritt könnte eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen aber auch erschweren. Zunächst einmal haben Sie damit Israel, Ihren wichtigsten Verhandlungspartner, brüskiert...

Salah Abdel Shafi: Ich glaube, dass dieser Schritt die Verhandlungen erleichtert. Was sie hingegen erschwert, ist die Ankündigung der israelischen Regierung, weiterhin Siedlungen zu bauen. Israel schafft damit Tatsachen, die unumkehrbar sind. Das ist es, was die Zweistaatenlösung torpediert.

Unser Ersuchen aber, uns den Beobachterstatus zu verleihen, steht im Einklang mit dem Völkerrecht. Und im Einklang mit dem, was die Weltgemeinschaft will: EU, Amerikaner oder Russen, sie alle sind für eine Zweistaatenlösung basierend auf den Grenzen von 1967. Wir teilen daher nicht die Meinung, unser Schritt sei einseitig.

DGAP: Den Palästinensern steht nun die Möglichkeit offen, Israel wegen seiner Siedlungspläne in Ost-Jerusalem und im Westjordanland vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verklagen. Die Autonomiebehörde erwägt derzeit eine solche Klage. Erwarten Sie, dass die Richter eine klare völkerrechtliche Aussage über den Siedlungsbau treffen?

Salah Abdel Shafi: Selbstverständlich. Bereits im Jahr 2004 hat das Gericht eine beratende Meinung abgegeben zu den israelischen Siedlungen und der Mauer, die die Israelis auf unserem Territorium gebaut haben. Diese beratende Meinung sagt, dass beides völkerrechtswidrig ist, die Siedlungen wie auch der Mauerbau. Als anerkannter Staat erwarten wir nun nicht nur eine beratende Meinung des Gerichts, sondern ein Urteil.

Ich verstehe im Übrigen nicht, warum die Welt sich wegen des Strafgerichtshofs und seines möglichen Urteils Sorgen macht. Europa ist doch seit jeher ein starker Befürworter des Strafgerichtshofs gewesen. Oder endet das Völkerrecht etwa, wenn es um Israel geht? Israel braucht ja – wenn es sich nicht völkerrechtswidrig verhält – keine Angst zu haben vor dem Gericht.

DGAP: Umgekehrt könnten natürlich die Israelis Anklage wegen der Menschenrechtsverletzungen der Hamas in Gaza erheben.

Salah Abdel Shafi: Selbstverständlich könnten sie das tun – allerdings hat Israel das Römische Statut nicht unterschrieben.

DGAP: Von palästinensischem Boden gehen immer wieder Raketenangriffe auf Israel aus, was den Friedensprozess erheblich belastet. Hat die palästinensische Autonomiebehörde eine Möglichkeit, bei der Hamas auf ein Ende des Beschusses aus Gaza hinzuwirken?

Salah Abdel Shafi: Darauf brauchen wir nicht hinzuwirken. Hamas hat kürzlich einen Waffenstillstand akzeptiert, der unter anderem durch die Ägypter vermittelt wurde. Eine Waffenruhe hatten wir auch in den vergangenen vier Jahren – mit Ausnahme der jüngsten Eskalation im November. Übrigens sind die Israelis seit der Waffenruhe vom 21. November dreimal in den Gaza-Streifen vorgedrungen und haben vier Palästinenser erschossen. Angesichts dessen sind wir sehr verwundert, warum die Welt den Palästinensern das Recht auf Selbstverteidigung abspricht.

DGAP: Was muss nun geschehen, damit Israelis und Palästinenser den Gesprächsfaden wieder aufnehmen?

Salah Abdel Shafi: Wenn die Welt es ernst meint mit der Zweistaatenlösung, dann brauchen wir jetzt eine neue Initiative der Europäer und der Amerikaner. Dabei müssen wir nicht das Rad neu erfinden. Alle wissen, wie man den Nahostkonflikt lösen kann, nicht nur in den Grundzügen, sondern auch im Detail. Was fehlt, ist der politische Wille zu einer solchen Lösung. Wenn EU und USA sich wieder aktiver im Nahostkonflikt engagieren, sind wir sofort bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Grundlage neuer international vermittelter Verhandlungen müssten die bereits von allen akzeptierten Prinzipien sein: die Zweistaatenlösung auf Grundlage der Grenzen von 1967, möglicherweise mit einem minimalen Gebietstausch, Jerusalem als Hauptstadt zweier Staaten, und die Überzeugung, dass Siedlungen auf besetztem Territorium völkerrechtswidrig sind.

DGAP: Kann Ägypten seine Rolle als Vermittler weiter wahrnehmen? Schließlich steht die im Gaza-Streifen herrschende Hamas Präsident Mursis Muslimbruderschaft nahe.

Salah Abdel Shafi: Wir betrachten die Nähe der Hamas zur Muslimbruderschaft als positiv. Ägypten hat bei den jüngsten Auseinandersetzungen in und um Gaza bewiesen, dass es als Vermittler weiter im Spiel ist. Die Aushandlung der Waffenruhe ist hauptsächlich das Verdienst Präsident Mohammed Mursis. Ägypten könnte also weiter eine sehr konstruktive Rolle spielen. Da ist es nur hilfreich, dass Hamas ein Teil der Muslimbruderschaft ist; das ermöglicht es Kairo, mehr Einfluss auf diese Partei auszuüben.

DGAP: Eine Voraussetzung für neue Friedensgespräche ist auch, dass die Palästinenser mit einer Stimme sprechen. Kommen sich Fatah und Hamas nach der UNO-Entscheidung näher? Zuletzt gab es versöhnlichere Töne, Hamas muss den Erfolg vom Mahmud Abbas schließlich anerkennen...

Salah Abdel Shafi: Das haben sie auch getan. Hamas hat öffentlich gesagt, dass sie hinter der Initiative von Präsident Mahmud Abbas steht. Sowohl nach der Auseinandersetzung mit Israel um Gaza als auch nach unserem Gang zur UNO entstand eine äußerst positive Atmosphäre. Wir brauchen jetzt nicht noch einmal mit Hamas verhandeln, das haben wir bereits getan. Wir haben Vereinbarungen unterzeichnet, und jetzt kommt es darauf an, diese umzusetzen. Dabei geht es uns hauptsächlich um die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Am Ende soll das Volk entscheiden, von wem es regiert werden will.

DGAP: Deutschland hat sich bei der Abstimmung in der Generalversammlung der Stimme enthalten. Können Sie die deutsche Haltung nachvollziehen?

Salah Abdel Shafi: Wir haben uns natürlich gewünscht, dass Deutschland dafür stimmt. Denn wir glauben, dass das, was wir getan haben, auch politisch im Einklang mit der deutschen Position steht. Aber wir sind auch erleichtert, dass Berlin nicht dagegen gestimmt hat. Wir wissen, dass die Bundesregierung sich immer schwer tut, wenn es um Entscheidungen gegen Israel geht. Wir sind jetzt erleichtert über die Enthaltung und froh darüber, dass Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle die jüngste Ankündigung des israelischen Premiers Netanjahu über den Bau neuer Siedlungen sehr scharf verurteilt haben. Das haben auch die Europäer getan. Allerdings: Das reicht nicht aus. Man muss handeln. Und das ist es, was wir in der europäischen Politik vermissen.

DGAP: Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Lucas Lypp, Online-Redakteur

Salah Abdel Shafi ist seit August 2010 Botschafter Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland. Am 13. Dezember 2012 folgte er einer Einladung des RBB-Inforadio und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zur Sendung „Botschaftermatinee“.

Bibliografische Angaben

Abdel Shafi, Salah. “Nahostkonflikt: „Europa muss jetzt handeln“.” December 2012.

DGAP-Interview, 17. Dezember 2012

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