Wirtschaftliche Interessen leiten weiter Frankreichs Libyenpolitik

Alle Hoffnung ruht auf den Wahlen

Mit den auf Juli verschobenen Parlamentswahlen will Libyen eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer neuen politischen Ordnung nehmen. Neben den Libyern ordnen auch Staaten, die die Opposition im Kampf gegen Gaddafi unterstützt haben, ihre Beziehungen zu dem Land neu. Frankreich beansprucht dabei eine privilegierte Rolle.

„Seit dem NATO-Militäreinsatz hat Frankreich eine radikale Kehrtwende in seiner Libyenpolitik vollzogen“, schreibt Frankreichexperte Tobias Koepf in einer aktuellen Studie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige (DGAP). „Dabei geht es nicht allein um humanitäre Hilfe.“ Wirtschaftliche Interessen leiten weiterhin die französische Libyenpolitik, so Koepf. Alle Hoffnung ruhe auf den Wahlen. Denn erst wenn die politischen Verhältnisse stabil seien, werde „über den wirtschaftlichen Wiederaufbau verhandelt“, sagte Koepf.

Wirtschaftliche Interessen leiten weiter Frankreichs Libyenpolitik

Seit dem Sturz Gaddafis bereisten französische Wirtschaftsdelegationen mehrfach das Land. Hoffnung hatten ihnen die Äußerungen des Vorsitzenden des Übergangsrats, Mustafa Abd el-Dschalil, gemacht, die Verbündeten beim Abschluss von Geschäften zu bevorzugen. So erhielt Air France den Auftrag, die Flugzeuge der libyschen Fluglinien wieder einsatzbereit zu machen und das zur Aéroports de Paris gehörende Unternehmen ADPI nahm den Bau des Flughafens von Tripolis wieder auf. Im Ölsektor versucht der französische Konzern Total, der bereits vor der Libyenkrise zu den größten Ölförderern in Libyen zählte, sein Engagement auszuweiten.

Ungeklärte Machtverhältnisse bremsen wirtschaftlichen Wiederaufbau

Doch die politischen Verhältnisse in Libyen sind weiter instabil. Vielerorts haben sich lokale Machtzentren gebildet, die dem Übergangsrat misstrauen. Die unklare Sicherheitslage hemmt den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Seit der Lockerung der Sanktionen Ende 2011 erhält die libysche Regierung zwar schrittweise die im Ausland eingefrorenen Gelder der Gaddafi-Regierung zurück – insgesamt rund 150 Milliarden Dollar. Auch der Erdölreichtum des Landes schafft gute Voraussetzungen für einen schnellen Aufschwung. „Aber solange zentrale Sicherheitsfra­gen noch offen sind, zögern ausländische Investoren, neue Verträge abzuschließen“, so der Frankreichexperte in der DGAP-Studie.

Unklar, ob sich militärisches Engagement Frank­reichs wirtschaftlich auszahlt

Hinter den Pariser Kulissen ruhen daher alle Hoffnungen auf den Wahlen, die auf den 7. Juli verschoben wurden. Viele libysche Politiker, die Paris bereits Versprechungen gemacht haben, werden nach den Wahlen keine politischen Ämter mehr innehaben, denn die Ratsmitglieder haben sich dazu verpflichtet, auf eine Kandidatur zu verzichten. „Auch die Konkurrenz für Frankreichs Unternehmen schläft nicht“, sagte Tobias Koepf. Seit Gaddafis Sturz würden sich Delegationen aus vielen Ländern in Libyen die Klinke in die Hand geben. „Anders als zunächst erwartet, scheinen Unternehmen aus Ländern, die sich nicht an dem NATO-Einsatz beteiligt haben, keine Nachteile bei der Vergabe neuer Verträge befürchten zu müssen“, schreibt Koepf in der DGAP-Studie. Dies gelte auch für deutsche Firmen, die trotz des Neins der Bundesregierung zu einer Beteiligung am NATO-Militäreinsatz um enge Wirtschaftsbeziehungen mitbieten. „Es ist davon auszugehen, dass Frankreich unter François Hollande seinen Kurs nach den Wahlen in Libyen fortsetzen wird“, so Tobias Koepf. Die Koordinierung der internationalen Unterstützung des libyschen Übergangsprozesses ist der UNO-Mission UNSMIL übertragen worden, deren Mandat zuletzt bis März 2013 verlängert wurde. Spannend sei, inwiefern Frankreich unter Hollande diese Steue­rung akzeptiere, so Koepf.

Tobias Koepf arbeitet derzeit als Gastforscher am United States Institute of Peace (USIP) in Washington. Seine Analyse erscheint im Rahmen des deutsch-französischen Zukunftsdialogs am Dienstag, den 12. Juni 2012.

 
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