Deutsch-französische Zusammenarbeit: Europapolitik ist Sache der Chefs

Bilaterale Gesprächsformate haben kaum Einfluss auf die Europapolitik / Experten fordern Reformen

Die Vielschichtigkeit der deutsch-französischen Zusammenarbeit sucht in den internationalen Beziehungen ihresgleichen. Doch der tatsächliche Einfluss der bilateralen Gremien auf die Europapolitik Deutschlands und Frankreichs ist gering, so das Ergebnis einer aktuellen DGAP-Studie. „Die zentralen europapolitischen Entscheidungen behalten sich die Staats- und Regierungschefs vor“, sagt Claire Demesmay. „Die bilateralen Formate sollten dort gestärkt werden, wo Europapolitik tatsächlich gemacht wird.“

Trotz 50 Jahren deutsch-französischer Zusammenarbeit ist die Europapolitik kein harmonisches Feld zwischen Berlin und Paris. Weder in Krisenzeiten noch bei langfristiger Planung haben beide Länder häufig von vornherein übereinstimmende Positionen. „Die Stärke der deutsch-französischen Kooperation liegt in der Fähigkeit, in entscheidenden Momenten Kompromisse zu finden“, sagt Co-Autor Martin Koopmann von der Stiftung Genshagen.

Bilaterale Akteure und Institutionen spielen untergeordnete Rolle
Die deutsch-französischen Entscheidungsprozesse sind komplexer und ihre Akteure zahlreicher, als es die öffentliche Berichterstattung vermuten lässt. Dennoch ist die Bedeutung der institutionalisierten Zusammenarbeit für die Europapolitik eher gering. „Die Akteure der täglichen bilateralen Zusammenarbeit sind in die europapolitische Entscheidungsfindung wenig eingebunden“, so Claire Demesmay von der DGAP. Das gelte sowohl für die akute Krisenlösung als auch für die langfristige Gestaltung europäischer Politik. „Die entscheidenden Fragen der Europapolitik verhandeln nach wie vor die Staats- und Regierungschefs“, so Demesmay. Die Finanzkrise habe diese Tendenz noch verschärft.

Krisen und Konflikte bestimmen das Tempo der Zusammenarbeit
„Meistens sind es akute Krisen oder Konflikte, die das politische Handlungstempo vorgeben. Dann führen informelle Treffen auf höchster Ebene zu einer schnelleren Einigung“, sagt Frankreichexperte Martin Koopmann. So hätten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit der Verschärfung der Eurokrise meist ad-hoc, außerhalb der offiziellen bilateralen Formate getroffen. Zudem erschwerten Unterschiede in der politischen Kultur beider Länder die Zusammenarbeit. Während in Frankreich der Staatspräsident eine herausragende Stellung genießt, ist das politische System in Deutschland weniger hierarchisiert, Bundestag und Minister haben ein höheres politisches Gewicht. „Die deutsche Position in europapolitischen Fragen ist häufig das Ergebnis eines aufwändigen Abstimmungsprozesses – und daher nur schwer veränderbar“, sagt Julien Thorel von der Universität Cergy-Pontoise.

Deutsch-französische Zusammenarbeit in der Europapolitik: Prüfen, straffen, reformieren
Die Vielzahl bilateraler Formate habe die Zusammenarbeit in den letzten Jahrzehnten zwar verdichtet. Trotzdem finde keine effektive gemeinsame strategische Planung für die Europapolitik statt, so das Fazit der DGAP-Studie. Die Autoren plädieren dafür, die bestehenden Kanäle zu straffen und die deutsch-französische Kooperation dort zu stärken, wo Europapolitik tatsächlich gemacht werde. Dazu zählten die Außen- und Verteidigungsministerien, die Ständigen Vertretungen in Brüssel sowie die Europa- und Außenpolitischen Ausschüssen beider Parlamente. Die Experten schlagen zudem vor, die Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit mit weiterreichenden europapolitischen Kompetenzen auszustatten und direkt in Kanzleramt und Elysée-Palast anzusiedeln. „Um einen weiteren Qualitätssprung in der bilateralen Zusammenarbeit zu erreichen, braucht es einen noch stärkeren politischen Willen als bisher“, so Claire Demesmay.


Claire Demesmay leitet das Programm Frankreich/Deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Martin Koopmann ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Stiftung Genshagen. Julien Thorel ist Dozent an der Universität Clergy-Pontoise.

Die Analyse ist Teil eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Stiftung Genshagen und der Universität Clergy-Pontoise. Sie erscheint in ähnlicher Form auch in:
Die Konsenswerkstatt: Deutsch-französische Kommunikations- und Entscheidungsprozesse in der Europapolitik
Genshagener Schriften – Europa politisch denken, Band 2.
Claire Demesmay, Martin Koopmann, Julien Thorel (Hrgs.)
Nomos Verlag, Mai 2013

Verwandter Inhalt