„Die laxe Rüstungsexportpolitik der vergangenen Jahre war ein Fehler“

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu den politischen Grundsätzen von Rüstungsexportentscheidungen

Datum
08 Oktober 2014
Uhrzeit
-
Ort der Veranstaltung
DGAP, Berlin, Deutschland
Einladungstyp
Nur für Mitglieder

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Schon vor der Entscheidung der Bundesregierung, Waffen und Ausrüstung an die kurdische Regionalregierung in Irak zu liefern, hat sich am deutschen Handel mit Rüstungsgütern eine heftige Debatte entzündet. In ihr mischen sich sicherheitspolitische und wirtschaftspolitische Argumente.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Vizekanzler, sagte in der DGAP, dass ein offensiver Verkauf deutscher Waffen in die ganze Welt nicht vereinbar sei mit Deutschlands außen- und sicherheitspolitischen Interessen: Deutsche Rüstungsexporte hätten sich „an den außen- und sicherheitspolitischen Interessen und an der deutschen Rechtslage“ zu orientieren, eben weil „die Produktion von und der Handel mit Rüstungsgütern kein ganz normales Geschäftsfeld“ sei.

Deutsche Rüstungsexporte seien vor allem eine sicherheitspolitische Angelegenheit, die keine industriepolitischen Interessen kennt; ein Grundsatz, der laut Gabriel in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. Dass man es mit den Exportrichtlinien in der Vergangenheit nicht so genau nahm, „die geltenden Spielregeln“ missachtet wurden, bezeichnete er als Fehler: So sei etwa die derzeitige Aufgabe, den IS zu bekämpfen auch damit verbunden, dass in der Vergangenheit viel zu viele Waffen in diese Region geliefert wurden. Von der Politik forderte er, sich von industriepolitischen Interessen freizumachen: Die Sicherung der wehrtechnischen Industrie dürfe nicht durch eine weitere Lockerung von Exporten erfolgen.

Da laut Gabriel zur Prüfung einer Ausfuhrgenehmigung sicherheitspolitische Expertise zur jeweiligen Zielregion – im Wirtschaftsministerium im notwendigen Umfang mitunter nicht vorhanden – unabdingbar sei, stelle sich die Frage, ob die Genehmigung nicht besser von dem Ressort getroffen werden sollte, das über die entsprechende Expertise verfügt, also im Auswärtigen Amt. Der SPD-Politiker fände „eine solche Reform diskutierenswert“.

„Der Grundsatz lautet: ‚Keine Genehmigung‘“

Besonderen Wert legte Gabriel darauf, dass sich an den geltenden und eindeutigen rechtlichen Rahmenbedingungen nichts geändert habe; lediglich wurden diese Regeln in der Vergangenheit großzügig ausgelegt. Laut Kriegswaffenkontrollgesetz besteht nicht nur auf die Erteilung einer Genehmigung kein Anspruch, vielmehr ist sie zu versagen, wenn ihre Erteilung etwa „völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde“ oder die „erforderliche Zuverlässigkeit“ des Käufers nicht gewährleistet werden kann. Weiter zitierte er aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2013, dass „beschäftigungspolitische Gründe … keine ausschlaggebende Rolle spielen“ dürfen.

Die Frage nach der Überwachung des Endverbleibs nannte er als weiteres Argument für Zurückhaltung und Vorsicht bei der Ausfuhr von Waffen: Zerfallende Staaten etwa verstärken den Imperativ, dass Exportentscheidungen auf der Grundlage einer analytischen Herangehensweise gefällt werden müssen.

Auch an Lieferungen in den arabischen Raum entzünden sich derzeit viele Diskussionen. Gabriel sagte, dass es zwingend geworden sei, Grundsätze größter Zurückhaltung gerade in dieser Region auszuführen; Exportentscheidungen basieren nicht nur auf einer Bewertung des potentiellen Käuferlands – wie steht es um die Innere Verfasstheit eines Staates, gibt es gesellschaftliche Bruchlinien? – sondern auch auf der Art der Rüstungsgüter – sind diese offensiv oder defensiv, dienen sie der Grenzsicherung oder der Oppression; drohen Waffen dem Angriff auf andere Länder zu dienen, oder könnte das Land selbst zur Zielscheibe von Gewalt werden? Während Kleinwaffen das Mittel der Wahl in Bürgerkriegen sind, kann die Lieferung von Patrouillenbooten der Eindämmung von Piraterie dienen. 

„Länderlisten sind keine Lösung“

Als in der anschließenden Diskussion die Frage nach der Möglichkeit eines Länderkatalogs aufkam, antwortete Gabriel, dass dieser nicht nur unzulässig sondern auch nicht sinnvoll sei. Trotz eines allgemeinen Wunsches nach Eindeutigkeit, einem Hang zur Klarheit, gebe es keine so einfachen Lösungen: „Schwarz-Weiß-Entscheidungen“ könne man treffen,  „wenn man nicht in der Regierung sitzt.“

Gerade bei Waffenlieferungen in Staaten außerhalb der EU und NATO müsse man sich einer schwierigen, immer fortschreitenden Analyse stellen, basierend auf einer Strategie der Einzelfallprüfung und -entscheidung. Während etwa die Lieferung an Kurden in Nordirak weder einen Tabubruch darstelle noch im Widerspruch zu geltendem Recht stehe, spreche er sich nach wie vor gegen die Lieferung von Leopard- Kampfpanzern nach Saudi-Arabien aus; gleichzeitig jedoch sei wiederum dessen Interesse an Rüstungsgütern zur Grenzverteidigung legitim.

„Auch wenn wir erst am Anfang stehen, bin ich mir sicher, dass uns diese Transparenz gut tun wird.“

Gabriel kritisierte die bisherige Kultur von Waffenexport-Verhandlungen, „diesen verschämten Umgang … hinter dem Vorhang der Geheimhaltung“, als „einer Demokratie unwürdig“. Er plädierte für ein aufgeklärtes Verhältnis zu den eigenen Rüstungsfähigkeiten und lobte die derzeitige, „bisher nicht bekannte Transparenz“: Muss jede einzelne Genehmigung durch den Bundestag, so erzwinge dies geradezu eine klarere außen- und sicherheitspolitische Argumentation. So entstehe nicht nur ein Begründungs- und Bekenntniszwang, sondern Deutschland stelle sich auch seiner internationalen Verantwortung: „Unsere Partner brauchen auch eine deutsche Politik, die lesbar und berechenbar ist.“

Darüber hinaus plädierte er für eine Verbesserung des gesellschaftlich-politischen Dialogs, eine aktive öffentliche Debatte, wertegeleitet doch nüchtern, um so „eine notwendige Wiederverankerung der Debatte in der Gesellschaft“ zu gewährleisten.

Die Rede wurde live auf Phoenix übertragen.