Als „global beinhart“ bezeichnete Außenminister Heiko Maas zuletzt Chinas Auftreten, während Chinas Präsident Xi Jinping „gegenseitiges Vertrauen“ und „freundschaftliche Gefühle“ beschwor. Beobachter hingegen sehen bereits einen Kalten Krieg. Der Bundesverband der Deutschen Industrie wiederum attestiert einen „Systemwettbewerb“ zwischen Europa und China. Beim Gipfel zwischen der Europäischen Union und China treffen unterschiedliche Erwartungen und Wahrnehmungen aufeinander. China steigt auf, die USA stellen sich dagegen - und wo steht Europa? Ein paar Fakten. Erstens: China, das bevölkerungsstärkste Land der Erde, wächst wirtschaftlich rapide. Unvermeidlich suchen seine Unternehmen global nach Raum, Märkten und Rohstoffen. Von dieser Entwicklung profitieren alle Beteiligten. Auch die Europäer: Die Handelszahlen bestätigen, was schon ein Besuch im nächsten Elektronikfachmarkt verdeutlicht. Zwischen 2007 und 2017 stiegen die EU-Importe aus China um mehr als 60 Prozent, europäische Ausfuhren nach China haben sich nahezu verdreifacht. Europa kann die Fortsetzung dieses Aufstiegs nur wollen. Allerdings, zweitens: Solch ein rascher Aufstieg einer neuen Großmacht führt ebenso unvermeidlich zu Friktionen und diese müssen alle Seiten, auch die Europäer, nach Kräften zu verringern trachten. Spannungen können sich sonst leicht zu Konflikten ausweiten, deren unheilvolle Konsequenzen alle Beteiligten weltweit schädigen würden.
Versuchungen und Friktionen
Es gibt gleich mehrere Faktoren, die Friktionen hervorrufen: Da ist einmal die natürliche Versuchung einer aufsteigenden Macht, ihre neue Stärke auch zu nutzen, um ihre Sicherheitsinteressen durchzusetzen. Das ist zu beobachten beim robusten Vorgehen Chinas im Südchinesischen Meer und in seinen militärisch hochriskanten Sticheleien gegen Taiwan, Japan und Indien. Angesichts der chinesischen Kräftedemonstrationen suchen Chinas alarmierte Nachbarn bereits eine neue Rückversicherung bei den USA. Mit seinem Verhalten provoziert Peking eben auch Widerstand. Dass es sich dessen bewusst ist, zeigen Pekings jährlich steigende Verteidigungsbudgets – alle mit Blick nach Washington. Es steht außer Frage, dass bewaffnete Auseinandersetzungen in Asien, der wichtigsten Partnerregion für Europa, der Wirtschaft der EU einen kaum absehbaren Schaden zufügen würden. Keine Frage also auch, dass die Sicherheitsfragen Asiens nun auch auf der Agenda der europäisch-chinesischen Gespräche stehen.
Chinas Wachstumsstrategie: Expansion durch Investition
Neben der Ausspielung eigener Stärke zur Durchsetzung von Sicherheitsinteressen ist ein weiterer Aspekt konfliktträchtig: Als zentralistisch gesteuertes Staatshandelsland steht China auch vor der – ebenso natürlichen – Versuchung, die globale Expansion seiner Wirtschaft massiv zu unterstützen. Schon in der Vergangenheit hat China dies durch die Abschottung seines Marktes, die Beschränkung ausländischer Investitionen und einen erzwungenen Technologietransfer getan. Nun aber geht es so auch jenseits seiner eigenen Grenzen vor und wendet dabei die Regeln der internationalen Ordnung nur noch selektiv an – nur dort nämlich, wo sie einen eigenen Vorteil versprechen. Die Folge sind chinesische Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen auf der ganzen Welt, die überhaupt nur mit chinesischen Staatsgeldern zu finanzieren sind. Das herausragende Beispiel hierfür ist das chinesische Prestige-Projekt der „Belt-and-Road Initiative“, das Länder aller Welt an einem globalen „Straßengürtel“ – attraktiver „neue Seidenstraße“ genannt – beteiligen will. Das Versprechen: Dann würden reichlich chinesische Gelder für Infrastruktur-Vorhaben fließen.
Westlicher Widerstand und chinesische Gegenreaktionen
Doch so attraktiv die Aussicht auf einen Griff in den chinesischen Geldbeutel sein mag, die Furcht vor weitgreifender chinesischer Dominanz weckt auch Widerstand. Der Handelskrieg des US-Präsidenten Donald Trump gegen China ist bisher nur das extremste Beispiel. In Europa lassen sich das Misstrauen und die Sorge darüber an der Diskussion ablesen, ob das chinesische Telekom-Unternehmen Huawei auch Lizenzen für das neue künftige 5G-Netz erwerben darf oder ob dem Sicherheitsbedenken entgegenstehen. Die Entscheidung der Bundesregierung, den Verkauf des Berliner Strom-Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz an einen chinesischen Käufer zu verhindern, ist ein weiteres Beispiel. Ein anderes ist das von Deutschland und Frankreich unterstützte Vorhaben der EU-Kommission, künftig die Sicherheitsrisiken chinesischer Investitionsvorhaben in Europa nach strengeren Regeln zu prüfen und geplante Projekte möglicherweise zu beschneiden. In Peking wiederum wächst mit den westlichen Vorbehalten gegen das unkalkulierbare chinesische Vordringen in vielen Ländern auch die Versuchung, den Widerstand mit nicht immer ganz legitimen Mitteln auszuhebeln. Etwa durch politische Drohgesten: So erreichte Peking jüngst, dass die tschechische Regierung ihre Beamte aus einem Handelskongress abzog, an dem auch Taiwanesen teilnahmen. Wirtschaftliche Erpressung ist ein weiteres Mittel: Westliche Unternehmen – jüngst Daimler und Marriott – werden vor die Wahl gestellt, entweder die Politik Chinas beispielsweise gegen Taiwan oder Tibet zu unterstützen oder ihren Markt in China zu verlieren. Und schließlich instrumentalisiert China auch seine Diaspora im Ausland: Chinesische Studenten-Vereinigungen in den USA oder Australien versuchen etwa, die Lehrinhalte ihrer Universitäten im Sinne der chinesischen Politik mitzubestimmen. Gegen solche Schritte Pekings formiert sich in Europa erneuter Widerstand, gegen den wiederum die chinesische Regierung protestiert. Es manifestiert sich ein Mechanismus, der zu einer schädlichen Eskalationsspirale werden könnte. Der Systemwettbewerb droht, sich tatsächlich zu einem neuen Kalten Krieg zu entwickeln. Deshalb sollte jedenfalls die Europäische Union mit Augenmaß und strategischer Weitsicht handeln. Von Washington ist Mäßigung vorläufig nicht zu erwarten, doch die EU sollte Peking die Vorteile der Prinzipien von Transparenz, dem Festhalten an vereinbarten Regeln und auch von Reziprozität vermitteln.
Ein ausgewogener Ansatz: das EU-Kommissionspapier zum Gipfel
Die EU-Kommission hat dafür mit ihrem Papier vom 12. März zur Vorbereitung des EU-China-Gipfels einen Ansatz vorgezeichnet. Das Papier ist ein Beispiel dafür, wie sich Ziele ausgewogen setzen lassen. So schlägt die Kommission auf der einen Seite eine europäisch-chinesische Zusammenarbeit vor: etwa beim Ausbau transnationaler Netze („Konnektivität“), bei der Entwicklung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung sowie zur Lösung von Sicherheitsproblemen im Cyberraum und bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Auf der andern Seite aber setzt sie kontroverse Themen auf die Tagesordnung – wie etwa die Bedeutung der bestehenden internationalen Ordnung, die Rolle staatseigener Betriebe im internationalen Wirtschaftsverkehr, die Anpassung von Handels- und Investitionsbedingungen sowie der Regelungen für öffentliche Ausschreibungen, außerdem Menschenrechte und regionale Sicherheitsfragen. Dabei tauchen auch Themen auf, in denen sich China und die EU näher sind als beide wiederum den USA, wie zum Beispiel der Umgang mit dem Iran, die Fortentwicklung der WHO oder der Klimaschutz. Das hat bereits zu Kritik aus Washington geführt, doch die Behandlung dieser Fragen ist dringlich – und zwar sowohl im europäisch-chinesischen, wie im europäisch-amerikanischen Verhältnis.
Europas Chancen im Dialog mit China
Selbstverständlich wird ein konstruktiver Dialog zwischen China und Europa nur funktionieren, wenn die Europäische Union Einigkeit beweist. Um die steht es in der Frage des Umgangs mit China allerdings nicht zum Besten. Die Grenzen einer gemeinsamen europäischen Strategie haben sich in jüngerer Zeit immer wieder gezeigt: Italien und Ungarn etwa haben sich dem chinesischen Belt-and-Road-Projekt verschrieben, Griechenland hat einen chinakritischen EU-Resolutionsentwurf im UN-Menschenrechtsrat verhindert. Insofern setzte der französische Präsident Emmanuel Macron ein symbolkräftiges Beispiel mit seiner Einladung an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, zusammen mit Angela Merkel am französisch-chinesischen Gipfel in Paris teilzunehmen. Diesem Beispiel sollten die anderen Mitgliedstaaten folgen – nicht zuletzt die Bundesregierung bei den nächsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Fatal wäre es andererseits, wenn Europa, politisch und wirtschaftlich hilflos, seinerseits einer naheliegenden Versuchung erläge: der nämlich, China zu kopieren und eine „Chinesische Mauer“ protektionistischer Schutzmaßnahmen zu errichten oder Industriepolitik à la Chinoise zu betreiben. Letzteres würde etwa bedeuten, eine massive staatliche Förderung der europäischen Industrie einzuleiten statt wie bisher auf die kräftigenden Anreize des wirtschaftlichen Wettbewerbs zu setzen. Trumps USA mögen solchen Versuchungen erliegen. Die Europäische Union aber ist gerade deshalb die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt, weil sie an Wettbewerb und einer regelbasierten internationalen Ordnung festhält, die es gestattet, multilaterale Lösungen auszuhandeln. Davon sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs am 9. April in Brüssel nicht abweichen.