Report

03. Nov. 2020

Europa 2020 - Die Sicht deutscher Unternehmen

Auch in Krisenzeiten steht die Wirtschaft hinter den EU-Klimaschutzzielen

Trotz einer der größten globalen Wirtschafts- und Gesundheitskrisen unterstützen die befragten deutschen Unternehmen größtenteils die angestrebten Maßnahmen der Europäischen Union für mehr Klimaschutz. Eine Mehrheit der Unternehmen spricht sich für Investitionen in den Klimaschutz und den Ausbau erneuerbarer Energien aus. Trotzdem hält es eine knappe Mehrheit für eher unrealistisch, dass Europa bis 2050 klimaneutral sein wird.

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Anmerkungen: Die Online-Version des Textes enthält nicht alle Grafiken und keine Fußnoten. Um die komplette Studie zu lesen, laden Sie bitte hier die PDF-Version herunter.

Europa am Wendepunkt

Die diesjährige Studie von EY, der DGAP und dem Wuppertal Institut zur „Zukunft Europas aus Sicht großer deutscher Unternehmen" hat sich mit den Auswirkungen und Einschätzungen des europäischen Klimaschutzprogramms „European Green Deal“ beschäftigt.

Mitten in der schwersten Wirtschafts- und Gesundheitskrise der jüngeren Geschichte bekennen sich deutsche Unternehmen zur Europäischen Union (EU) und deren Klimaschutzzielen. Der Schock des Frühjahrs 2020 scheint dennoch tief zu sitzen, als nationales Krisenmanagement, kurzfristige Grenzschließungen und Exportkontrollen im Binnenmarkt sowie fehlende Solidarität mit denen von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Ländern die Fragilität der europäischen Integration aufgezeigt haben. So bleiben aus Sicht der Unternehmen auch der fehlende Zusammenhalt in der EU und die nationalen Egoismen einzelner Mitgliedstaaten eine zentrale Herausforderung. Die Unternehmen sprechen sich deutlich dafür aus, Finanzzahlungen an Mitgliedstaaten mit deren Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu verknüpfen.

Insgesamt werden hohe Erwartungen an die nationale und europäische Politik gestellt, und bei der Umsetzung der Klimaziele wird Unterstützung eingefordert. Eine große Mehrheit hält eine starke Ausrichtung staatlicher Konjunkturprogramme auf nationaler und europäischer Ebene auf Klimaschutzinvestitionen für richtig. Gleichwohl ist die Einschätzung bezüglich der Erreichbarkeit des Ziels, bis 2050 in der EU klimaneutral zu werden, ambivalent. Deutlich mehr als die Hälfte der Unternehmen beschäftigt sich bereits mit den Auswirkungen der europäischen Klimaschutzziele auf ihr eigenes Unternehmen. Die Gestaltung ambitionierter langfristiger Klimaschutzziele ist daher in der unternehmerischen Praxis angekommen, und die Auswirkungen einer Umstellung des Wirtschaftssystems auf das eigene Unternehmen werden von mehr Unternehmen eher positiv als negativ gesehen. Positive Wirkungen werden in noch stärkerem Maß für Deutschland insgesamt erwartet und gründen nicht zuletzt auf steigenden Exportchancen auf den global wachsenden Klimaschutzmärkten.

Die Erwartungen der Unternehmen sind insgesamt mehrheitlich positiv. Chancen und „First Mover“-Vorteile werden erkannt und Unternehmensabwanderungen ins außereuropäische Ausland werden nicht erwartet. Die meisten Unternehmen rechnen damit, dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA eher gestärkt und gegenüber China eher geschwächt wird. Der Rückhalt für den Ansatz, eine Erholung aus der Krise gesamteuropäisch und nachhaltig zu gestalten, um langfristig unumgängliche Transformationsprozesse frühzeitig einzuleiten und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Unternehmen aufrechtzuhalten, ist groß. Für richtig gehalten wird mit großer Mehrheit dabei vor allem die weitere Förderung erneuerbarer Energien als zentraler Klimaschutztechnologie. Förderprogramme erhalten dabei insgesamt deutlich mehr Zustimmung als hohe CO2-Preise oder Strafzahlungen. Große Zustimmung gibt es zur Einführung einer CO2-Grenzsteuer, trotz der möglichen Gegenreaktionen etwa durch die USA. Aus technologischer Sicht wird Erdgas eine wichtige Brückenfunktion zugesprochen. Davon kann man auch in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft ausgehen, wobei fast zwei Drittel der Unternehmen für sich formulieren, die Ziele der EU zur Kreislaufwirtschaft umsetzen zu können.

Die Ergebnisse der Studie müssen unter Berücksichtigung des Befragungszeitraums vom 30. Juli bis 3. September 2020 eingeordnet werden. Die zweite Infektionswelle, die Nachjustierung der europäischen Klimaziele, die Klimaagenda Joe Bidens und die Ankündigung Chinas, bis 2060 klimaneutral zu werden, hätten sicherlich Einfluss auf die Einschätzung der befragten Unternehmen gehabt, ohne dabei jedoch die grundsätzlich aufgeschlossene Haltung deutscher Unternehmen gegenüber der EU und den angestrebten Maßnahmen zum Klimaschutz infrage zu stellen.

 

Corona ist die größte Herausforderung für Eropa

Auf die offene Frage nach den größten Herausforderungen für die Europäische Union nennen die meisten deutschen Unternehmen (52 %) die Bewältigung der Corona-Krise und ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. In der letztjährigen Erhebung noch an erster Stelle genannt, sehen weiterhin zahlreiche Unternehmen (41 %) den fehlenden Zusammenhalt in der EU sowie nationale Egoismen, als große Herausforderung für die Union. Gründe dürften in diesem Zusammenhang die schwierigen Verhandlungen zum Wiederaufbaufonds, zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU, die dort sichtbare Fragmentierung sowie die zunehmend autokratische Politik einiger Mitgliedstaaten sein. Der Brexit tritt angesichts dieser Entwicklung bereits in den Hintergrund (8 %, statt 37 % im Jahr 2019).

Die Risiken im Funktionieren und Zusammenhalt der Wirtschafts- und Währungsunion sowie in der Finanzpolitik werden von einem knappen Drittel der Befragten genannt (32 %). Besonders die Umwelt- und Klimapolitik hat im Zuge des ambitionierten Klimaschutzprogramms der EU und durch massiv gesteigerte öffentliche Wahrnehmung auch innerhalb deutscher Unternehmen anscheinend deutlich an Bedeutung gewonnen (26 %).

Als neue Herausforderung wird von einigen der Unternehmen in diesem Jahr die Position der EU in der Weltpolitik, insbesondere gegenüber den USA und China, genannt (12 %). Dies trägt dem wachsenden Wettbewerb zwischen den USA und China sowie dem Druck, der auf Europa ausgeübt wird, sich klar zu positionieren, Rechnung. Ähnlich viele nennen darüber hinaus die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen- und -Sicherheitspolitik der EU — ein Thema, das im Jahr 2020 durch die zunehmende Anzahl von Krisen in der Nachbarschaft auf die europäische Agenda gerückt ist.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die drei größten Herausforderungen für die EU?

 

 

Aktivere Wirtschafts- und Klimapolitik gewünscht

Auch bei der ebenfalls offen gestellten Frage, auf welchen — auch für das eigene Unternehmen relevanten — Handlungsfeldern die EU künftig stärker politisch aktiv werden sollte, werden von den befragten Unternehmensvertretern Wirtschafts- und Finanzpolitik (21 %) wie auch Umwelt- und Klimaschutz (19 %) am häufigsten genannt. Mit den beschlossenen Maßnahmenpaketen aus Finanzhilfen und Klimaschutzmaßnahmen und erstmalig gemeinsam aufgenommenen Schulden, haben die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission dieser Einschätzung in Teilen Folge geleistet. Insgesamt zeigen die Unternehmen die Weitsicht, nicht vollendete Integrationsprojekte auf EU-Ebene — wie den Binnenmarkt — zu stärken, und bringen ihren Bedarf nach einem produktiven, innovationsfördernden und möglichst berechenbaren Umfeld, inklusive eines europäischen Finanzmarktes zum Ausdruck. Trotz der Corona-Krise wird die — nicht in EU-Kompetenz fallende — Gesundheitspolitik von den Unternehmen nicht als relevantes Handlungsfeld für die EU gesehen (9 %).

Frage: In welchen Themenbereichen bzw. Handlungsfeldern, die auch für Ihr Unternehmen wichtig sind, sollte die Europäische Union Ihrer Meinung nach künftig stärker politisch aktiv werden?

 

Trotz Corona: Unternehmen verhalten optimistisch

Corona zum Trotz rechnet rund ein Fünftel (22 %) der Befragten mit verbesserten Wachstumschancen für ihr Unternehmen. Der im Vergleich zum Vorjahr gestiegene Wert (+5 %) und die geringe Einschätzung einer Verschlechterung (16 %) können als Indikatoren für das Vertrauen in die eigene Krisenresilienz sowie in die Maß-nahmen zur Krisenbewältigung der Bundesregierung und EU gewertet werden. Die meisten befragten deutschen Unternehmen (59 %) erwarten keine Veränderung ihrer Wachstumschancen. Es ist anzunehmen, dass die Einschätzung der Unternehmen mit dem Andauern der Gesundheits- und Wirtschaftskrise und auch unter dem Eindruck der steigenden Infektionszahlen im September 2020 pessimistischer wird.

 

Mehr Geld für Klimaschutz hilft auf dem Weg aus der Krise

Die befragten deutschen Unternehmen unterstützen mit überwältigender Mehrheit (82 %) die Ausrichtung -europäischer Wiederaufbaufonds hin zu mehr Investitionen in den Klimaschutz. Der geringe Anteil an Unternehmen, die diese Maßnahmen nicht befürworten (15 %), deutet auf ein gestärktes Bewusstsein für die Notwendigkeit von und die ökonomischen Chancen durch Klimaschutzinvestitionen hin. Unternehmen scheinen erkannt zu haben, dass eine wirtschaftliche Erholung nachhaltig gestaltet werden sollte, um Innovationen zu fördern und langfristig notwendige Transformationsprozesse einzuleiten. Allen voran die geplanten Investitionen in Verkehrsinfrastruktur und -Klimazölle zum Schutz vor außereuropäischer Konkurrenz, kommen auch der deutschen Exportwirtschaft zugute und tragen vermutlich zu der großen -Zustimmung der Unternehmen bei.

 

Unternehmen planen mit Klimaschutzprogrammen

Ungeachtet davon, für wie realistisch sie die Pläne halten, hat sich über die Hälfte der befragten Unterneh-men (53 %) bereits mit den möglichen Auswirkungen des geplanten Klimaschutzprogramms der EU auf ihr Unternehmen beschäftigt. 45 % der Unternehmen haben dies bislang noch nicht getan. 

Erneut sind es vor allem Unternehmen aus dem ver-arbeitenden Gewerbe sowie große Unternehmen, die sich relativ häufiger damit beschäftigen als kleinere Unter-nehmen. Auch hier gilt die Vermutung, dass ein späterer Erhebungszeitpunkt die Einschätzung verändert hätte, da die Debatte über die Auswirkungen des EU-Klimaschutz-programms auf Unternehmen nach der Anpassung der Ziele durch die EU-Kommission an Brisanz gewonnen hat.

Knappe Mehrheit hält Klimaneutralität für unrealistisch

Bereits vor der Corona-Krise hat die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen ein ehrgeiziges Klimaschutzprogramm vorgelegt. Dieses Programm sieht vor, dass Europa bis 2050 als erster Kontinent treibhausgasneutral wird, das heißt der Ausstoß an Treibhausgasen so weit wie möglich vermieden wird und nicht vermeidbare Emissionen gespeichert, bzw. dafür Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden. Dafür nötig ist ein kompletter Umbau von Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft. 46 % der befragten Unternehmen halten das Ziel, Europa bis 2050 vollständig klimaneutral zu gestalten, für realistisch, etwas mehr jedoch (53 %) für unrealistisch. Einschätzungsunterschiede haben mit der Größe der Unternehmen zu tun: Für realistisch halten dieses Ziel mehrheitlich lediglich die Großunternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

 

 

Unentschlossen über Auswirkung von Klimaneutralität

In der Bewertung der aus der Umstellung der europäischen Wirtschaft auf Klimaneutralität erwarteten Effekte für das jeweilige Unternehmen, ergibt sich kein eindeutiges Bild. Mit 37 % der befragten Unternehmen erwartet ein signifikanter Anteil der befragten Unternehmen eher Vorteile. Andererseits gehen aber auch 23 % eher von Nachteilen aus, während 34 % weder Vor- noch Nachteile erwarten. Konsistent mit den zuvor skizzierten Beobachtungen werden Nachteile am ehesten von Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes erwartet. Angesichts der Nachjustierung der Klimaziele durch die EU-Kommission ist zu erwarten, dass Unternehmen aufgrund der gestiegenen Ambition zu einer geänderten Einschätzung kommen könnten. Sie könnten ebenfalls politische Unterstützung bei der Umsetzung der Klimaziele zur Voraussetzung machen, z. B. bei der Markteinführung von Innovationen sowie bei der Sicherung europäischer Wettbewerbsfähigkeit durch Grenzausgleichsmaßnahmen.

 

Klimaneutralität schwächt EU-Wirtschaft gegenüber China, aber stärkt sie gegenüber den USA

Die Frage, ob die europäische Wettbewerbsfähigkeit durch  die Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität gegenüber China und den USA geschwächt wird, kann angesichts des andauernden Handelskonflikts beider Supermächte nicht separat betrachtet werden.

Die befragten Unternehmen bewerten die Situation gegenüber beiden Staaten unterschiedlich. Während Klimaneutralität die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China aus Sicht der meisten Unternehmen (44 %) eher schwächt, erwarten lediglich 33 % eine Schwächung gegenüber den USA. Die Mehrheit erwartet eine gestei-gerte Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA (45 %).

Die Diskrepanz lässt sich vermutlich in Teilen durch die unterschiedliche Wahrnehmung beider Länder in Europa erklären. Die USA könnten dabei innerhalb der Wirtschaft weiterhin eher als Partner, denn als wirt-schaftlicher Rivale gesehen werden. Die kürzlich durch die chinesische Regierung veröffentlichte Strategie, bis zum Jahr 2060 Klimaneutralität zu erreichen, dürfte diese Einschätzung verändern, sofern Unternehmen davon ausgehen, dass die Programme tatsächlich umgesetzt werden. Es bleibt abzuwarten, wie die Vorgabe schlussendlich in den neuen Fünf-Jahres-Plan einfließen und implementiert werden wird. Die US­ Präsidentschaftswahl im November 2020 ist angesichts der höchst gegensätzlichen Positionen beider Kandida-ten in der Klimaschutzpolitik, ebenso relevant für die europäische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA.

Eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit erwarten in beiden Fragen insbesondere die Unternehmen des ver-arbeitenden Gewerbes sowie diejenigen, die von dem Klimaschutzprogramm für Deutschland eher Nachteile erwarten. 

Frage: „Wird die europäische Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China / USA durch den europäischen Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität eher gestärkt, eher geschwächt oder erwarten Sie keine größeren Folgen?“

 

Deutschlands Wirtschaft profitiert vom Klimaschutz

Im Gegensatz zur Einschätzung für das eigene Unternehmen, fällt die Bewertung im Hinblick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt wesentlich klarer aus. So erwarten für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt deutlich mehr Unternehmen (50 %) eher Vorteile durch das neue Klimaschutzprogramm der EU als für das eigene Unternehmen. 27 % gehen eher von Nachteilen für Deutschland aus. 17 % erwarten weder Vor- noch Nachteile. Diese mehrheitliche Einschätzung wird von den Unternehmen aus allen Branchen sowie über alle Unternehmensgrößen hinweg geteilt.

 

Klimaschutz ist eine Chance für deutsche Exporte

Von denjenigen, die eher Vorteile für Deutschland erwarten, erwarten die meisten (75 %) zudem, dass sich durch das neue Klimaschutzprogramm der EU die Exportchancen für die deutsche Wirtschaft auf längere Sicht verbessern werden. In der Gesamtschau ergibt sich aus den skizzierten Einschätzungen ein konsistentes Bild. Die befragten Unternehmen beurteilen die geplante Umstellung der europäischen Wirtschaft auf Klimaneutralität mehrheitlich als positiv für den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings sind sie gleichzeitig deutlich verhaltener bei der Einschätzung der Konsequenzen für das eigene Unternehmen. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass die Unternehmen einen anspruchsvollen Strukturwandel- und Transformationsprozess erwarten, den die Politik der EU richtig adressiert, der aber auch erhebliche Risiken für die bestehenden Unternehmen in sich birgt.

 

Deutsche Unternehmen bleiben in Europa

In nur sehr wenigen Unternehmen (4 %) gibt es bislang Überlegungen, aufgrund des geplanten europäischen Klimaschutzprogramms einzelne Standorte in andere Länder außerhalb der EU zu verlagern.

 

Förderung wird anderen Anreizsystemen vorgezogen

Bei der Frage nach den wirksamsten Maßnahmen für die Umsetzung von Klimaschutzzielen zeigt sich bei den Befragten eine klare Präferenz für positive Anreizsysteme (d. h. Förderprogramme zum Umbau der Produktion), während CO2-Preissysteme und vor allem Strafzahlungen als weit weniger wirksam eingeschätzt werden. Dies ist insofern ein überraschendes Ergebnis, als dass sich das 2005 eingeführte europäische Emissionshandelssystem (Emissions Trading System, ETS) und die damit verbundene Bepreisung von CO2 nach vorliegenden Analysen in Zeiten signifikant hoher Preise durchaus als wirksames Lenkungsinstrument erwiesen haben. Indirekt kann dies aus den Umfrageergebnissen möglicherweise auch abgelesen werden, da vom ETS vorrangig größere Unternehmen betroffen sind, die in der Umfrage der Bepreisung von CO2 im Vergleich zu den kleinen Unternehmen eine höhere Wirkung zuweisen.

 

 

Mehr öffentliche Mittel für erneuerbare Energien

Der Ausbau erneuerbarer Energien wird mit breiter Mehrheit für eine Schlüsselstrategie für den Klimaschutz gehalten. Hintergrund für diese klare Haltung sind vermutlich die deutlichen Kostenreduktionen, die in den letzten Jahren bei vielen erneuerbaren Energien, vor allem aber bei der Solarenergie, erreicht werden konnten. Zudem konnten massive technologische Fortschritte erzielt werden, und es konnte nachgewiesen werden, dass die Systemstabilität auch bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien nicht gefährdet ist, wenn entsprechende flankierende Maßnahmen getroffen werden. Der EU-Kommission kommt nach Einschätzung der Befragten weiter die Funktion zu, den weiteren Ausbauprozess zu unterstützen und zu befördern, nachdem staatliche Maßnahmen in zahlreichen Mitgliedstaaten die Marktdynamik erst in Gang gesetzt haben.

 

 

Unternehmen wollen Rolle der Elektromobilität überdenken

Die Beantwortung der Frage zeigt relativ klar, dass es im Verkehrsbereich keine Königstechnologie gibt und auch gerade die Elektromobilität mit kritischen Aspekten verbunden ist. Eine Verkürzung der Verkehrsdebatte auf den Klimaschutz (mit perspektivisch klaren Vorteilen bei der Elektromobilität) ist dabei ebenso wenig sinnvoll, wie eine Ablehnung der Elektromobilität aufgrund des Einsatzes kritischer Rohstoffe im Fertigungsprozess. Notwendig erscheint viel mehr eine intensive Diskussion über die Möglichkeit der Substitution von kritischen Materialien durch neue Batterietechnologien bzw. die Möglichkeit des Aufbaus von effizienten Recyclingstrukturen. Generalisiert man diesen Punkt, dann scheint eine ehrliche und offene Debatte über die Auswirkungen jeder Klimaschutztechnologie und das umsichtige Abwägen zwischen Vor- und Nachteilen von entscheidender Bedeutung zu sein.

 

 

Große Mehrheit für CO2-Steuer

Die Zustimmung zu einer CO2-Grenzsteuer ist mit 81 % der befragten Unternehmen sehr deutlich. Damit hat ein von der Europäischen Kommission und den Staats- und Regierungschefs befürwortetes Instrument, das sowohl Abwanderungen von Unternehmen ins außereuropäische Ausland bremsen als auch zur globalen Bearbeitung des Problems zu hoher C02-Emissionen beitragen soll, sehr hohen Rückhalt in der deutschen Wirtschaft. Die Argumente von Kritikern, etwa dass ihre Einführung Handelskonflikte auslösen und erhebliche bürokratische Hürden mit sich bringen könnte, verfangen bei der Mehrheit derzeit wohl nicht.

 

Trotz knapper Mittel: Kredite sollen Klimaschutz finanzieren

Die breite Zustimmung für kreditfinanzierte Klimaschutzprogramme spiegelt die Notwendigkeit des Handelns gut wider. Offensichtlich sind die Befragten mit breiter Mehrheit der Ansicht, dass trotz knapper öffentlicher Kassen Investitionen in den Klimaschutz zwingend erforderlich sind und kein Aufschub möglich ist, selbst wenn die Maßnahmen über Kredite finanziert werden müssen. Diese Einschätzung gilt quasi unabhängig von der Größe der Unternehmen, aus denen die Befragten stammen. Gedeckt wird diese Haltung durch zahlreiche Studien, die abschätzen, dass die Folgekosten (Ausgleich von Schäden, Anpassungsmaßnahmen) durch einen ungebremsten Klimawandel viel höher sein werden, als die Kosten für heute getätigte Klimaschutzmaßnahmen.

                                                                                                                            

Mehrheit sieht Erdgas als unverzichtbar für Versorgungssicherheit an, über ein Drittel Kernenergie

Einerseits ist es für die Unternehmen ganz klar, dass Erdgas eine Brückenfunktion zugewiesen wird und Kohle im Energiemix vermutlich vor allem mit Blick auf die Klimaschutzziele für weniger bedeutsam gehalten wird. Andererseits überrascht mit mehr als einem Drittel der hohe Anteil der Befragten, der die Kernenergie für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa für weiter unverzichtbar hält. Mit Blick auf Deutschland ist dies überraschend, da schon in zwei Jahren der stufenweise Ausstieg aus der Kernenergie abgeschlossen sein wird. Vor diesem Hintergrund dürfte die Rolle der Kernenergie vor allem aus gesamteuropäischem Blickwinkel als relevant angesehen werden und die Erwartungshaltung spiegeln, dass Länder wie Frankreich mit einem heute sehr hohen Anteil an Kernkraftwerken in den nächsten 20 Jahren nicht auf diese verzichten werden können. Es könnte aber auch eine Rolle spielen, dass einige Mitgliedstaaten aktuelle Pläne haben, ganz neu in die Nutzung der Kernenergie einzusteigen, auch wenn dieses von vielen aus energiewirtschaftlicher Sicht für wenig sinnvoll eingeschätzt wird.

 

Deutsche Unternehmen können Kreislaufwirtschaft

Das Thema Kreislaufwirtschaft hat im Kontext der Klimaschutztechnologien in den letzten Jahren möglicherweise den größten Sprung gemacht. Während sich viele Unternehmen lange nicht mit den Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft auseinandergesetzt haben und für sich keinen strategischen Zugang gefunden haben, sind jetzt mehr als 60 % der Unternehmen der Meinung, dass diese für sie nicht nur relevant ist, sondern Wiederverwendungsgebote in den nächsten Jahren auch konkret in ihrem Kontext umgesetzt werden können. 

 

Große Unterstützung für Rechtsstaatlichkeitsmechanismus bei Corona-Hilfsmaßnahmen

Auf dem EU-Gipfel im Juli 2020 haben die Staats- und Regierungschefs einen Wiederaufbaufonds zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise beschlossen. Die geplanten Hilfsmaßnahmen für die Mitgliedstaaten sowie Zahlungen aus dem EU-Budget sollen an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Die befragten Unternehmen erachten die Einhaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei der Konditionierung von Finanzhilfen für besonders wichtig (90 %).

Der im September 2020 erstmals veröffentlichte EU-Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten weist teils gravierende Defizite einiger Mitgliedstaaten bei Gewaltenteilung, Korruptionsbekämpfung, Medienvielfalt und Unabhängigkeit der Justiz auf. Die befragten deutschen Unternehmen scheinen, ebenso wie einige Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament, ein strikteres Vorgehen zu befürworten.

Jeweils rund drei Viertel der Befragten halten auch Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich (74 %) bzw. die Umsetzung von Vorgaben zum Klimaschutz (72 %) für besonders wichtige Bedingungen, damit Hilfsmaßnahmen an EU-Mitgliedstaaten fließen können.

Frage: „Die beim EU-Gipfel im Juli geplanten Hilfsmaßnahmen für die EU-Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise sollen an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Welche davon halten Sie für besonders wichtig?“

A) die Einhaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit;

B) Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich;

C) die Umsetzung von Vorgaben zum Klimaschutz

 

 

Deutsche Unternehmen wollen ein starkes Europa als Vorreiter des globalen Klimaschutzes

Eine Erholung aus der Corona-bedingten Wirtschafts- und Gesundheitskrise sollte nachhaltig und unter Berücksichtigung der Pariser Klimaziele gestaltet werden. Der europäische „Green Deal“, aber auch der mehrjährige Finanzrahmen und der europäische Wiederaufbaufonds der EU sind die zentralen Werkzeuge der EU, um eine Schlüssel- und Vorreiterrolle einzunehmen.

Die Befragung der größten deutschen Unternehmen zeigt, dass die deutsche Wirtschaft die europäischen Klimaschutzinvestitionen und -maßnahmen unterstützt und sich mehr politische Aktivität wünscht, auch wenn der Anspruch der vollständigen Klimaneutralität Europas bis 2050 mehrheitlich als unrealistisch angesehen wird. Die nach Ende der Erhebung angekündigte Anpassung der Klimaziele durch die Europäische Kommission dürfte diese Einschätzung verstärken. Ungeachtet der Machbarkeitseinschätzung erwarten deutsche Unternehmen mehrheitlich Vorteile durch die Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität, ebenso werden für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die deutschen Exportchancen insgesamt Vorteile erwartet. Diese Vorteile und die grundsätzliche Unterstützung scheinen eng mit der Forderung und dem Bedarf nach politischer Unterstützung, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien oder durch Förderprogramme für den Produktionsumbau, verknüpft zu sein. Die Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Machbarkeit eines klimaneutralen Europas und der allgemeinen Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen lässt vermuten, dass die Unternehmen klaren Nachholbedarf im politischen Planungsprozess sehen und sich mehr Unterstützung von Seiten der Politik wünschen.

Ebenso betonen die Unternehmen, dass sie sich entschlossenes politisches Engagement der EU wünschen, wenn es um die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit, die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie ein starkes Europa in der Welt geht — vor allem gegenüber den USA und China. Gegenüber China erwarten die Unternehmen durch die Umstellung der europäischen Wirtschaft auf Klimaneutralität stärkere Einbußen der Wettbewerbsfähigkeit als gegenüber den USA.

Die Unsicherheit vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2020, die höchst unterschiedlichen (Klima-) Agenden beider Kandidaten sowie die Ankündigung Pekings, bis 2060 klimaneutral zu werden, könnten die Einschätzungen von Unternehmen in den kommenden Monaten verändern. Dazu könnte auch die Diskussion um die internationalen Reaktionen auf die in unserer Umfrage durch die Unternehmen befürwortete CO2-Grenzsteuer beitragen.

Die Umfrage zeigt insgesamt deutlich, dass die größten deutschen Unternehmen die Europäische Union und deren Maßnahmen zum Klimaschutz grundsätzlich befürworten, dabei allerdings Unterstützung von der Politik in diesem umfassenden Transformationsprozess einfordern. Die schnelle Überwindung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesundheitskrise bleibt vorerst das oberste Ziel, verbunden mit der Chance, geschwächte Volkswirtschaften nachhaltig wiederaufzubauen, die langfristig erforderliche Modernisierung einzuleiten und die globalen Bestrebungen zur Klimaneutralität als starkes Europa anzuführen.

Bibliografische Angaben

Der Bericht wurde am 3. November 2020 veröffentlicht. Die Studie enthält Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von DGAP, EY und dem Wuppertal Institut, die das Meinungsforschungsinstitut forsa vom 30. Juli bis 3. September 2020 unter Führungskräften 400 deutscher Unternehmen durchgeführt hat.

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