Wäre der russische Krieg in der Ukraine nach Moskaus Plan gelaufen, er wäre innerhalb weniger Tage zu Ende gewesen. Russlands Blitzkrieg-Vorhaben ging jedoch nicht auf, sodass Moskau seine militärischen Anstrengungen zurückschrauben musste, indem es die Belagerung von Kiew aufgab und sich auf die Donbass-Region konzentrierte.
Hier hoffte Russland auf einen schnellen Sieg im Donbass, der dann am 9. Mai, dem Tag des Sieges (der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg), hätte gefeiert werden können.
Gegenwärtig ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die Kämpfe in der Ostukraine, die bereits zu einem Abnutzungskrieg geworden sind, noch eine ganze Weile andauern werden.
Da die russischen Gewinne auch an den anderen Fronten (beispielsweise in den Regionen Saporischschja und Cherson) sehr bescheiden sind, stellt sich natürlich die Frage, wie ein solcher Krieg enden kann. Es gibt folgende Möglichkeiten:
1. Möglichkeit: Russland siegt
Ein vollständiger russischer Sieg, wie er von Moskau anfangs geplant war - einschließlich der Einnahme von Kiew, der Absetzung des ukrainischen Präsidenten und der ukrainischen Regierung sowie der Einnahme des größten Teils des ukrainischen Territoriums östlich des Dnjepr - ist eindeutig außer Reichweite.
Der erbitterte Widerstand der Ukraine in Verbindung mit der entschlossenen Unterstützung des Westens macht einen solchen vollständigen Sieg für Russland auf absehbare Zeit unerreichbar.
Nichtsdestotrotz kann Russland durchaus eine Reihe von Zielen erreichen, die Putin als "Minimalsieg" betrachten könnte und die mit Russlands Sicherheitsinteressen in der Ukraine in Einklang stehen.
Zu diesen Zielen gehört :
- Die Umwandlung der Ukraine in einen verfassungsmäßig neutralen Staat. Dabei würde Kiew gezwungen, seine Ambitionen auf einen NATO- und EU-Beitritt aufzugeben.
- Die vollständige Kontrolle über den Donbass übernehmen und behalten, da es den von ihm gegründeten so genannten "Volksrepubliken" in der Region bereits Sicherheitsgarantien zugesagt hat.
- Die Kontrolle über die bereits besetzten Teile der Regionen Cherson und Saporischschja sichern und so die "Landbrücke" zwischen der Krim und dem Donbass aufrechterhalten. Russland beabsichtigt, die bereits besetzten Gebiete zu halten, wahrscheinlich indem neue "Volksrepubliken" ausgerufen werden (einige Volksabstimmungen laufen bereits an), was die Möglichkeit schafft, diese später zu annektieren.
- Dafür zu sorgen, dass in der Ukraine keine westlichen Militärstützpunkte oder kampffähigen Truppen stationiert werden und die Ukraine nicht über bestimmte Angriffswaffen verfügt: Dies würde das von Putin ausgerufene Ziel der "Demilitarisierung" der Ukraine in der Praxis bedeuten.
2. Möglichkeit: Die Ukraine siegt
Die Ukraine hat bis zu einem gewissen Grad bereits gewonnen: Sie hat den russischen Angriff als funktionierender Staat überlebt, ihre Führung ist noch im Amt und das Land erhält mehr Unterstützung und Sympathie als je zuvor.
Ein umfassender militärischer Sieg, der darin bestünde, die russischen Streitkräfte aus der gesamten Ukraine zu vertreiben, ist jedoch nicht realistisch.
Aufgrund von Zermürbung und wirtschaftlichen Not ist es höchst unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte wesentliche Teile der verlorenen Regionen zurückgewinnen können. Stattdessen könnte ein "Minimalsieg" für die Ukraine bedeuten:
- kein weiteres Territorium an Russland zu verlieren,
- so viel wie möglich von der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete zu retten und
- außerdem Sicherheitsgarantien für ihren künftigen neutralen Status zu erhalten.
3. Möglichkeit: Ein teilweise eingefrorener Konflikt von niedriger Intensität
Da sowohl Russland als auch die Ukraine schwere Verluste erleiden, ist es in der Tat ein realistisches Szenario, dass der Krieg sich zu einem Konflikt mit niedriger Intensität entwickelt, der möglicherweise mehrere Jahre andauern könnte, ähnlich wie die Situation in der Ostukraine zwischen 2015 und 2022.
4. Möglichkeit: Das Wild-Card-Szenario
Das könnte passieren, nämlich wenn es zu einem Wechsel in der Kremlführung kommt. In einer Post-Putin-Übergangsperiode werden die russischen Eliten damit beschäftigt sein, sowohl die Nachfolge Putins zu regeln als auch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu bewältigen. Daher werden sie den Konflikt in der Ukraine wahrscheinlich relativ schnell zu beenden versuchen.
In diesem Fall würde es ihnen wahrscheinlich genügen, die Krim, die Volksrepubliken Donezk und Luhansk unter russischer Kontrolle zu halten und auf weitere Gebietsgewinne zu verzichten, um ihren eigenen Handlungsspielraum sowohl innerhalb des Landes als auch im Ausland zu vergrößern.