Ziel: Soziale Gerechtigkeit als Stabilitätsfaktor
Wachsende Ungleichheit destabilisiert Gesellschaften, schwächt die Demokratie und befördert Konflikte. Staaten hingegen, die soziale Kohäsion fördern, sind weniger anfällig für Extremismus, Fluchtbewegungen und wirtschaftliche Krisen. Deshalb muss die Förderung von sozialer Gerechtigkeit ein fester Bestandteil der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik werden – als Instrument zur Stabilisierung der eigenen Gesellschaft ebenso wie zur Sicherung langfristiger globaler Interessen.
Erstens muss die Außen- und Entwicklungspolitik sozial gerechter gestaltet werden. Dafür braucht es mehr Transparenz bei der Finanzierung und eine ehrliche Debatte darüber, wie die Lasten fair verteilt werden können, ohne die sozialen Sicherungssysteme zu gefährden. Ebenso wichtig ist es, gegen die populistische Gegenüberstellung von globaler Verantwortung und nationalem Wohlstand vorzugehen, die zunehmend in der Bevölkerung verfängt. Dazu sollte die neue Bundesregierung die positiven Effekte außen- und entwicklungspolitischer Maßnahmen und Investitionen stärker bewerben.
Zweitens darf soziale Gerechtigkeit nicht nur im nationalen Rahmen gefördert werden – hier liegt die fundamentale Differenz zu nationalistischen Positionen. Soziale Gerechtigkeit hat eine globale Dimension. Sie sollte als wichtiges Prinzip der Außen- und Entwicklungspolitik begriffen werden, um Instabilität zu reduzieren und vorzubeugen. Deutschland kann als gestaltende Kraft agieren und durch partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden langfristige strategische Allianzen stärken, auch im Wettbewerb mit Russland und China.
Ausgangslage: Soziale Ungleichheit als sicherheits-politische Herausforderung
Soziale Ungerechtigkeit trifft Menschen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene. Laut einem kürzlich veröffentlichten Oxfam Report ist das Vermögen der Milliardäre im vergangenen Jahr dreimal so schnell gewachsen wie 2023 und von 13 Billionen auf 15 Billionen US-Dollar angestiegen. Die Zahl der Menschen in extremer Armut (weniger als 2,15 Dollar pro Tag) stagniert dagegen laut Weltbank bei rund 700 Millionen – das entspricht 8,5 Prozent der Weltbevölkerung. 44 Prozent der globalen Bevölkerung müssen von weniger als 6,85 Dollar pro Tag leben. Auch in Deutschland waren 2024 rund 17,6 Millionen Menschen laut Statistischem Bundesamt von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das entspricht 20,9 Prozent der Bevölkerung.
Ungleichheit ist ein gefährlicher Nährboden für soziale Spannungen und politische Instabilität.
Diese Ungleichheit ist ein gefährlicher Nährboden für soziale Spannungen und politische Instabilität. Jenseits der innerstaatlichen Verteilungsfragen braucht es transnationale Lösungen, weil viele der sozialen Differenzen durch globale Krisen verschärft werden. Die COVID-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen, der Klimawandel und damit zusammenhängende Fluchtbewegungen sowie die Verknappung essenzieller Ressourcen sind eindrückliche Beispiele für diese Verflechtungen. Und auch militärische Konflikte haben zunehmend grenzüberschreitende Auswirkungen. Ein oft zitiertes Beispiel ist der Anstieg der Gaspreise in Deutschland infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine.
Die reflexhafte Antwort vieler Staaten auf diese multiplen Krisen ist eine Fokussierung der finanziellen Mittel auf Verteidigungsausgaben und eine zunehmende „Versicherheitlichung“ von Politik. Dabei geraten außen- und entwicklungspolitische Investitionen zunehmend ins Hintertreffen. Zudem stehen diese innenpolitisch durch populistische Akteure wie BSW und AfD unter Druck. In den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen des vergangenen Jahres machte das BSW die deutsche Unterstützung für die Ukraine zu einem zentralen Thema. Ein weiteres Beispiel liefert die AfD, die mit dem Thema „Fahrradwege in Peru“ die Stimmung gegen Entwicklungspolitik schürte.
Mit Erfolg: Eine DEval-Studie zeigt, dass die Unterstützung für Entwick-
lungszusammenarbeit abnimmt, auch weil viele Menschen sie mit einer Abwertung der eigenen wirtschaftlichen Lage in Verbindung bringen. Von 2022 bis 2024 sank der Anteil der Befürworter:innen von gleichbleibenden oder erhöhten Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit um 21 Prozent. Populist:innen nutzen diese Stimmung und bewerben eine Rückkehr zum Nationalen. Ihr Narrativ ist, dass außen- und entwicklungspolitische Investitionen zu Lasten der Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung gehen.
Nächste Schritte: Ein konstruktives Zukunftsnarrativ
1. Eine ehrliche Debatte über Finanzierung führen
Die stärkere Verankerung sozialer Gerechtigkeit in der Außen- und Entwicklungspolitik erfordert eine sozial verträgliche Regelung der Finanzierung. Die Debatte über die finanzielle Ausstattung der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik muss ehrlich geführt werden. Ohne eine Erhöhung der Steuern oder eine Lockerung der Schuldenregeln erfordern wachsende Ausgaben in diesen drei Bereichen harte Einschnitte an anderer Stelle. Von Kürzungen im sozialen Bereich wären aber einkommensschwache und marginalisierte Gruppen unverhältnismäßig stark betroffen. Die Schere zwischen Reich und Arm würde sich weiter öffnen, was langfristig die deutsche Gesellschaft destabilisiert, das Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt und die soziale Kohäsion gefährdet.
2. Globale Kooperation auch aus Eigeninteresse fördern
Die globale Zusammenarbeit zur Stärkung der sozialen Gerechtigkeit ist nicht nur normativ geboten, sondern auch strategisch klug. Der Rückzug der USA aus ihren internationalen Engagements wird nicht nur die Verteidigung betreffen, sondern auch zivile Bereiche, wie der Beschluss zum Einfrieren der US-Auslandshilfen zeigt. Eine Erhöhung des deutschen Verteidigungsetats erscheint unausweichlich, aber die nächste Bundesregierung darf auch die zivilen und präventiven außen- und entwicklungspolitischen Maßnahmen nicht vernachlässigen. Dabei geht es um Deutschlands und Europas strategische Rolle in einer sich wandelnden Weltordnung: Angesichts des wachsenden Einflusses Russlands und Chinas sollte Deutschland gemeinsam mit europäischen Partnern die Chance ergreifen, proaktiv Allianzen mit den Ländern des Globalen Südens zu gestalten, um den globalen Herausforderungen gemeinsam zu begegnen. Zudem sollte Deutschland die Forderung vieler dieser Länder nach mehr Mitsprache aufnehmen und für eine Reform multilateraler Strukturen eintreten, die den globalen Machtverhältnissen eher gerecht wird.
3. Mehrwert von guter Außen- und Entwicklungspolitik als Chance betonen
Schließlich: Diese zunehmende Verflechtung von Innen- und Außenpolitik sollte nicht als Schwierigkeit, sondern als Chance begriffen werden. So sollte soziale Gerechtigkeit als positive Zukunftsvision für die Außen- und Entwicklungspolitik genutzt werden, um die zunehmend interessierte Bevölkerung an Bord zu holen. Um einer populistischen Vereinnahmung entgegenzuwirken, sollte die neue Bundesregierung eine Erzählung entwickeln, die den Mehrwert einer guten Außen- und Entwicklungspolitik für jede:n Einzelne:n betont und nicht in eine reaktive Krisenrhetorik verfällt.