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Russland nutzt gesellschaftliche Spaltungen und Schwächen staatlicher Institutionen in westlichen Gesellschaften zu seinem Vorteil. |
Durch die „Golden-Visa“-Programme in EU-Staaten, u.a. in Zypern und Lettland, bekommen russische Staatsangehörige seit Jahren einfachen Zugang zur EU. |
Um die russische Einflussnahme abzuwehren, sollte die EU in den betroffenen Ländern die transatlantischen Sicherheitsstrukturen stärken, privatwirtschaftliche Kooperationen fördern, den Kampf gegen Korruption unterstützen sowie Länder an der Ostflanke in europäische Verkehrs- und Energienetze einbeziehen. |
Die EU sollte zudem die europäische Bankenaufsicht mit Blick auf Einlagen aus kritischen Drittstaaten wie Russland effizienter gestalten. |
Die EU sollte weiter gegen Golden-Visa-Programme in der Union mit politischen und rechtlichen Mitteln vorgehen. |
Einleitung
Um die Strategie russischer Einflussnahme auf die EU zu untersuchen, hilft es, dieses Vorgehen am Beispiel der EU-Staaten Zypern und Lettland in den Blick zu nehmen. Fest steht, dass Russland seit Jahren vorhandene Spaltungen und Schwächen staatlicher Institutionen in westlichen Gesellschaften zu seinem Vorteil ausnutzt.
So unterstützten die Sowjetunion und später Russland seit der Teilung der Insel im Jahr 1974 die Republik Zypern als „Protektionsmacht“ im UN-Sicherheitsrat politisch langfristig. Seit Amtsantritt von Präsident Putin wurde der Einfluss Russlands in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen (Privatinvestitionen, Bankeinlagen, Tourismus, Zuwanderung) gezielt ausgebaut. Russische Investitionen aus Zypern führten zudem seit den 1990er Jahren Investorenranglisten vieler neuer Märkte in Ostmitteleuropa an, sodass Zypern 2018 nach IWF-Zahlen zu den Top-10-Investoren in allen diesen Märkten etabliert war. Nach Zahlen des Europäischen Parlaments 2018 standen Auslandsinvestitionen aus Zypern in der Ukraine sogar mit sehr deutlichem Abstand an der Spitze des Rankings.
In Lettland, das 1990 wieder unabhängig geworden ist, hat Russland ebenfalls Bruchlinien zwischen lettischer Mehrheitsgesellschaft und der sogenannten russischsprachigen Minderheit gezielt genutzt. Russland hat auch nach der EU-Mitgliedschaft Lettlands 2004 Einfluss auf wirtschaftliche Kernbereiche (Banken sowie Energie- und Verkehrsinfrastruktur) ausgeübt und parallel dazu seinen Einfluss auf die bis 2022 größte Partei des Landes, „Harmonie“, ausgebaut.
Einflussnahme im „Nahen Ausland“
Konkrete politische Grundsätze rund um Russlands „Westpolitik“ sind in veröffentlichten Regierungsdokumenten nur beschränkt zu finden. Dennoch sind auf Basis der drei nationalen Sicherheitsstrategien der Jahre 2009, 2015 und 2021 mit Blick auf die hier untersuchten Fragen zwei Ansätze festzuhalten:
- Russland betrachtet ehemalige Sowjetrepubliken als legitime Einflusssphären
- Russland strebt den „Schutz“ russischer und russischsprachiger Bevölkerungen im sogenannten „Nahen Ausland“ an, sprich aus russischer Sicht in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Damit zusammenhängend ist das Konzept der „Russkij Mir“, der „russischen Welt“, zu betrachten, das umfassend angelegt ist und das Eintreten des russischen Staates für Russen, die sich zur russischen Sprache, Kultur und orthodoxem Glauben bekennen, vorsieht. Der Ausdruck existiert bereits seit dem 19. Jahrhundert und wurde von Putin erstmals 2001 verwendet. Dieser geht von einer Einheit alles Russischen beziehungsweise aller Russen aus. Putin verwendet das Konzept dahinter bewusst offen: Es spielt keine Rolle, ob es sich bei russischer Diaspora um historisch ansässige russischsprachige Bevölkerung im Ausland oder um seit der Gorbatschow- und Jelzin-Zeit ausgewanderte russische Landsleute handelt.
Wie genau russische Sicherheitsinteressen umgesetzt werden, wird in oben genannten Sicherheitsstrategien nicht erläutert. Seit dem Angriff auf die Ukraine wissen wir, dass auch ein Eroberungskrieg gemeint sein kann.
Vor dem Angriff auf die Ukraine haben westliche Beobachter überwiegend von „verdeckten oder hybriden Maßnahmen“ Russlands gesprochen, bei denen die russischen Geheimdienste eine zentrale Rolle spielen, um Einfluss in Europa zu sichern und die EU und NATO zu schwächen.
Russische Einflussnahme in Europa – alles andere als verdeckt
In Wirklichkeit jedoch hat Russland bereits vor 2022 sehr offensichtlich wirtschaftlichen und somit auch politischen Einfluss durch breit gestreute Direktinvestitionen (FDI), Bankeinlagen und Tourismus unter anderem in Zypern und Lettland vorangetrieben. Im Bereich ausländische Direktinvestitionen führte Russland die Investorenrankings vor Deutschland in beiden Ländern an: In Lettland steht Russland Stand Mai 2024 mit 6,4 Prozent Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen vor Deutschland mit 6,1 Prozent und Zypern mit 5,8 Prozent. In Zypern ist die russische Dominanz bei ausländischen Direktinvestitionen noch wesentlich deutlicher: 2021 betrugen die russischen Direktinvestitionen 120.396 Millionen Euro gegenüber 8.333 Millionen Euro aus Deutschland. Begleitet wurden diese staatlich orchestrierten Privatinvestitionen mit dem Ausbau zivilgesellschaftlicher Kooperation: Der Flugverkehr zwischen Russland und Lettland ebenso wie mit Zypern nahm zu, Universitätskooperationen entwickelten sich und russische Stipendienprogramme waren in der Regel stärker als vergleichbare Programme mit Deutschland. Die im März 2015 von Präsident Putin initiierte gesetzliche Amnestie für ins Ausland transferierte Investitionen und Vermögenswerte hat russische Privatinvestitionen im Ausland und damit auch in Zypern und Lettland weiter in staatliche Abhängigkeit gebracht.
Türöffner für Russland waren „Golden-Visa-Programme“ in beiden Ländern, die „Citizenship by Investment“ (CBI) vorsehen und auch in anderen EU-Staaten existieren (z.B. Malta, Griechenland, Italien). Verstärkte Aufmerksamkeit auf EU-Ebene bekam dieses Vorgehen (wie im Übrigen auch die „Residency by Investment“ (RBI), sprich Aufenthaltserlaubnis durch Investition) im Rahmen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. In einer Resolution des EU-Parlaments von März 2022 kritisieren Mitglieder, dass CBI-Programme das Wesen der EU-Bürgerschaft untergraben würden und Risiken wie Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung mit sich bringen würden. Unionsmitgliedschaft dürfe nicht käuflich sein. Auch die Kommission hat Ende März 2022 die betroffenen Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, alle bestehenden Systeme zur Einbürgerung von Investoren unverzüglich aufzuheben und für strenge Kontrollen zu sorgen. Gerade der Verkauf der EU-Staatsbürgerschaft an regierungsnahe russische Staatsbürger ist dabei in den Fokus geraten. Eine vollständige rechtliche Lösung dieser Problematik hat sich dennoch bis heute nicht ergeben.
In der internationalen Presse gilt Zypern als „russische Geldwaschmaschine“: Der „Guardian“ enthüllte bereits 2018 Namenslisten prominenter russischer Oligarchen, die als Putin-nah gelten – wie Oleg Deripaska und Viktor Vekselberg (beide spielten in US-Untersuchungen des Sonderermittlers Robert Mueller über Wahlkampfkontakte zwischen Trump und dem Kreml eine zentrale Rolle) und die in Zypern, meist über private Anwaltskanzleien, die zypriotische Staatsangehörigkeit und damit Rechte eines EU-Bürgers erhielten. Offizielle Korruptionsuntersuchungen gegen ehemals führende Politiker sind mittlerweile im Februar 2024 aufgenommen worden.
Jüngste Untersuchungen des „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) haben im November 2023 ergeben, dass rund 3.000 russische Staatsangehörige, zumindest bis 2020, über Zypern eine EU-Staatsangehörigkeit erhalten haben. Die zypriotische Regierung hat bisher in rund 50 Fällen – auf Empfehlung der EU-Kommission – die verliehene Staatsangehörigkeit wieder entzogen. Die Passvergabe kann dazu führen, dass russische Geschäftsleute Firmen in der EU als EU-Bürger erwerben können. Das zypriotische „Golden Visa“-Programm läuft, auch wenn nach Einspruch der EU seit 2023 Änderungen vorgenommen wurden, in neuer Form vorerst weiter: Mit geforderter Mindestinvestitionseinlage von 300.000 Euro ist es sogar im Vergleich zu vorher, wo zwei Millionen nötig waren, günstiger geworden, die zypriotische Staatsangehörigkeit zu erwerben, auch wenn die Prüfung zur Herkunft der Mittel offiziell strenger geworden ist.
Die lettische Regierung hat im März 2022 das „Golden Visa-Programm“ für russische Staatsangehörige – anders als Zypern – vorläufig beendet. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet zum russischen Einfluss auf den Finanzstandort Riga vor dem Ukraine-Krieg: „In Jurmala – einem Vorort Rigas – werden Sie heute kaum ein Wort Lettisch hören. Und der Immobiliensektor dort spielte jahrelang eine Schlüsselrolle dabei, Gelder zweifelhafter Herkunft ins legale Finanzsystem einzuschleusen. Für solche Operationen entstand auf dem lettischen Finanzplatz ein eigenes Segment sogenannter Offshore-Banken, die sich auf das Geschäft mit nicht in Lettland wohnhaften Kunden – vornehmlich Russen – spezialisierten“. Eine eingehende Analyse des Finanzplatzes Lettland im Auftrag des Europäischen Parlaments hat den Zusammenhang von käuflich erworbenen Aufenthaltsrecht, Geldwäsche und Korruption kritisch in den Blick genommen, ohne konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten.
Aktive Koordinatoren der Einflussnahme waren jeweils russische Botschafter vor Ort, die offen dem Geheimdienstmilieu entstammen: Der langjährige Botschafter in Riga von 2016 bis 2021, Evgenij Lukjanov, war vorher stellvertretender Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Russischen Föderation, der gegenwärtige Botschafter in Zypern Murat Zyazikov, ehemaliger stellvertretender Regionaldirektor des FSB und heute in Personalunion Generalleutnant des FSB. Diese Entwicklung zeigt die Bedeutung beider Dienstposten für die russische Führung. Die russische Botschaft in Nikosia wurde mittlerweile in eine Großbotschaft mit rund 300 Mitarbeitern erweitert. Üblicherweise ist der russische Geheimdienst im Ausland nur mit Legende tätig.
Russlands Vorgehen in Zypern
Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien und der Teilung des Landes durch die türkische Invasion 1974 hat Zypern wohlwollende Unterstützung der Sowjetunion – als Rivalin der Türkei – und später Russlands gefunden. Russland hat in Abstimmungen im UN-Sicherheitsrat kontinuierlich die Positionen der zypriotischen Regierungen hinsichtlich der Einheit der Insel unterstützt. Die Präsenz der UN-Friedens-
truppe wurde seit Beginn regelmäßig im Sicherheitsrat immer wieder einstimmig verlängert. Die USA wiederum hatten 1987 ein erst 2022 vollständig aufgehobenes Waffenembargo gegen die Republik Zypern verhängt, um die zypriotische Regierung zu einer diplomatischen Lösung zu bewegen.
Nach Amtsübernahme Putins hat dieser die guten Beziehungen zu Zypern weiter ausgebaut: Zypern liegt strategisch günstig, ist nahe am Suezkanal und geografisch Teil des Nahen Ostens. Heute leben nach informellen Schätzungen zwischen 50.000 und 160.000 Russen auf der Insel. Für Russland war stets von Bedeutung, dass Zypern als westliches Land nicht der NATO angehört.
Die Intensivierung der politischen Beziehungen zwischen Russland und Zypern in den letzten 15 Jahren lässt sich u.a. daran ablesen, dass 2015 – nach der Okkupation der Krim – beide Staaten ein bilaterales Militärabkommen abgeschlossen haben, das russischen Kriegsschiffen freien Zugang zu allen zypriotischen Häfen als Versorgungsbasis auch für die laufenden Militäreinsätze in Syrien oder Libyen gestattet.
Das ICIJ beschreibt das „Modell Zypern“ als „Kreislaufsystem, durch das russische Finanzmittel entweder in den Westen transferiert werden, um dort investiert zu werden, nach Russland rücktransferiert oder genutzt werden, um demokratische Institutionen im Westen zu unterminieren“. Rund 200 Milliarden US-Dollar Kapitalzufluss kamen allein 2020 und 2021 aus Russland (aus Deutschland nur rund 8 Milliarden Euro in diesen Jahren), damit stand Zypern vor 2022 an erster Stelle für russische Auslandsinvestitionen weltweit.
Vor diesem Hintergrund gibt es eindeutige Indizien, die Russlands Einflussnahme auf die politische Klasse Zyperns zeigen: Im Zentrum des russischen Interesses stand in den letzten Jahren, einen EU-Konsens für EU-Sanktionen gegen Russland zu verhindern. Aus öffentlichen Quellen lassen sich unter anderem folgende Beispiele belegen:
- Resolution mit der Forderung „Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland“, die das Parlament Zyperns mit breiter Mehrheit Ende April 2016 angenommen hat, ist laut Presserecherchen von russischen Geschäftsleuten, die die zypriotische Staatsangehörigkeit gekauft hatten, initiiert worden; In der Folge lobten der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Alexej Pushkov, und Außenminister Sergej Lawrow Zyperns Politikansatz als „beispielgebend für die EU“;
- Im September 2020 hat Zypern für über einen Monat EU-Sanktionen gegen 40 Personen aus der Führung von Belarus mit einem Veto blockiert. Die formelle Begründung laut Außenministerium: Die EU würde Sanktionen gegen türkische Offizielle vermissen lassen;
- Weitergehende EU-Wirtschaftssanktionen, etwa ein Verbot des Exports weißrussischer Schwerölprodukte, wurden von Zypern für längere Zeiträume verhindert.
Im Mai 2023 hat die US-Regierung Zyperns neuem Präsidenten, Nicos Christodoulides, ein 800 Seiten langes Dossier mit detaillierten Auflistungen der Verstöße zypriotischer Behörden gegen US-Sanktionen übergeben, verbunden mit der Aufforderung, sich endlich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Christodoulides versprach zwar Aufklärung, doch es gibt Hinweise, dass das „Russland-Business“ in Zypern weitergeht: Die investigativen Recherchen internationaler Medienhäuser rund um „Cyprus Confidential“ haben im November 2023 ergeben, dass Putin-nahe Personen und russische Oligarchen auch nach der Invasion Russlands in der Ukraine das Land als Hintertür zur EU und dem Schengen-Raum genutzt haben und Russlands Reiche ihr Vermögen trotz Sanktionen verstecken und vermehren konnten. Auch der „Spiegel“ kommt zu dem Schluss, dass „Kern des Problems die weiter bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit Zyperns von Russland“ sei.
Russlands Vorgehen in Lettland
Lettland hat unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion am 21. August 1991 seine Unabhängigkeit wiederhergestellt. Dem Land ist im Laufe der folgenden Jahre in beispielloser Geschwindigkeit mit dem EU- und NATO-Beitritt 2004 und der Einführung des Euro 2014 die Integration in die westlichen Strukturen erfolgreich gelungen.
Ähnlich wie im Fall von Zypern hat Russland seit Putins Amtsantritt versucht, auf das Nachbarland, mit dem es sich eine circa 300 km lange gemeinsame Grenze teilt, mit einer ebenfalls wirtschaftsorientierten „Soft-Power-Politik“ einzuwirken – insbesondere mit Blick auf die russischsprachige Bevölkerung in Lettland. Diese macht rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Dabei zielt die Einflussnahme ebenfalls auf die rund 14 Prozent der Bevölkerung, die „Nichtstaatsangehörige“ und überwiegend ethnische Russen sind und auf die neu geschaffene russische Geld-Oligarchie, von der mindestens 15.000 Personen in Riga und an der Ostseeküste leben.
Wie im Fall Zypern haben die USA auf Fehlentwicklungen gegen Banken und Oligarchen in den Jahren 2018 und 2019 mit Sanktionen reagiert. Im Juli 2019 kommentierte die New York Times: „Once a promising example of the transition from Soviet-style communism to Western liberal democracy, Latvia could join a list that includes a rogue`s gallery of money-laundering centers like Pakistan, Syria“.
Im Fokus westlicher Sorge steht das Bankensystem, das sich erst infolge umfassender US-Sanktionen schrittweise änderte: Die unverhältnismäßig große Zahl von mehr als zwei Dutzend Privatbanken, mit russischen Eigentümern, durch die allein bis 2014 über 20 Milliarden Dollar Schwarzgeld aus Russland in den Westen transferiert wurden. Korruptionsvorwürfe und Urlaube in Russland haben 2019 auch zur Absetzung des Vorsitzenden der Zentralbank Lettlands, Ilmars Rimsevics, geführt, der von 2001 bis 2019 auch im Zentralbankrat der EZB saß.
Die neue Regierung von Ministerpräsidentin Evika Silina, seit September 2023 im Amt, arbeitet daran, die „umfassende Transformation der Wirtschaft“ Lettlands zu erreichen und strukturelle Abhängigkeiten von Russland abzubauen. Die Regierung ist dabei auf europäische Unterstützung angewiesen:
Entscheidend ist, der westlich orientierten Jugend Lettlands gute Arbeitsmöglichkeiten in Lettland zu geben: Die Investitionsförderagentur Lettlands hat bisher nur unzureichend um Investitionen in Deutschland und Europa geworben; Auswanderung gilt heute als „die neue Normalität: rund 1.000 gut qualifizierte Absolventen des Goethe –Instituts Riga verlassen jährlich ihre Heimat und finden schnell Arbeitsplätze in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber nicht zuhause in Lettland;
Wichtiger Wirtschaftszweig für Lettland ist der Tourismus: Tourismus trug in den letzten Jahren über 4 % zum BSP des Lettlands bei (Quelle: https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/dd19c30e-en.pdf?expires=1724341….) 2019 - vor Corona - kam mit rund 300.000 pro Jahr aus Russland die zweitgrößte Zahl der Besucher, aus Deutschland mit 245.000 weniger; für russische Touristen gilt jetzt bis März 2025 eine Einreisesperre; für geeigneten Ersatz muss jetzt zielgerichtet auf westlichen Märkten geworben werden;
Die historische russischsprachige Minderheit muss stärker integriert werden: Die russischsprachige Minderheit ist – außerhalb von Riga – am stärksten in der zweitgrößten Stadt Lettlands, Daugapils mit über 50 Prozent Bevölkerungsanteil vertreten. Bilaterale und EU-Wirtschaftsförderprogramme sollten verstärkt dort ansetzen; auch sollte es besondere Quoten für EU-Stipendienprogramme für russischsprachige Jugend geben.
Ein weiteres Beispiel russischer Einflussnahme ist die Medienlandschaft Lettlands: Diese wurde noch 2023 durch russischsprachige Medien, insbesondere staatliche Moskauer Fernsehkanäle, die finanziell besser ausgestattet waren, dominiert – auch nachdem 121 russischsprachige Medien nach Beginn des Ukrainekrieges verboten worden waren. Der Vorsitzende des Medienrates Lettlands, Ivars Abolins, musste 2023 feststellen: „In Lettland gibt es 252 ausgestrahlte Medien, von denen 127 auf Russisch senden und nur 42 auf Lettisch“. Die lettische Regierung sieht die Entwicklung mit Blick auf politische Meinungsbildung der russischsprachigen Minderheit mit Sorge.
Diese größte Zahl russischsprachiger Bevölkerung in einem Mitgliedstaat der EU stellt eine Herausforderung für Lettland dar: Mit Blick auf ein neues lettisches Sprachgesetz drohte Putin in einer Sitzung des russischen Menschenrechtsrats Ende 2023: „Wenn ihr Russen in Lettland wie Schweine behandelt, dann wundert Euch nicht über Folgen“. Konkrete Konsequenzen ließ Putin offen. Doch mit Blick auf die Ukraine, wo unter anderem der „Schutz“ der russischsprachigen Minderheit im Land als Vorwand für Russlands Angriffskrieg genutzt wurde, besteht Grund zur Sorge.
Fazit: Wie Europa Russlands Einfluss in der Union begegnen sollte:
Über militärische Maßnahmen hinaus sollte ein umfassender Ansatz gewählt werden, um die Zivilbevölkerung an den Außenflanken Europas resilienter zu machen und ihre wirtschaftlichen Perspektiven zu verbessern. Notwendig sind dafür:
Reformen auf EU-Ebene:
Zentral ist mit Blick auf anstehende „russlandfreundliche“ Erweiterungskandidaten wie beispielsweise Georgien, Montenegro und Serbien die Einführung von Mehrheitsentscheidungen im außen- und sicherheitspolitischen Bereich. Damit würde Russland die Möglichkeit der Blockade von EU-Entscheidungen durch ein solches Land genommen werden;
Fortschrittsberichte: So wie vor dem EU-Beitritt eines Landes sollte es auch nach dem Beitritt anlassbedingte Screeningberichte geben, falls die Kooperation mit Drittstaaten einen relevanten Anteil am BSP erreicht;
Aufgrund der genannten sicherheitspolitischen Risiken sollte die EU-Kommission ihren Einsatz für das Verbot der „Golden Visa“ weiterverfolgen; die Bundesregierung sollte dies unterstützen; die Kommission und das Europäische Parlament halten Golden Visa Programme, die die Einbürgerung ohne echte Verbindung zu den betreffenden Mitgliedschaften vorsehen, für unionsrechtswidrig; im Europawahlkampf 2024 spielte das Thema keine Rolle, unklar ist deshalb auch, ob das Thema prominent auf die Agenda der neuen EU-Kommission kommt;
Sicherheit für gesamteuropäische Energie- und Verkehrsnetze:
Zypern treibt im Rahmen des „Gasforums östliches Mittelmeer“ unter anderem mit Israel und Ägypten die Gasförderung in der Region voran, ist aber noch nicht an europäische Strom- und Gasnetze angeschlossen;
Auch Lettland ist in puncto Stromversorgung nicht an die EU angebunden und die Gasversorgung muss durch Bau von LNG-Terminals und neuen Versorgungspipelines stabilisiert werden: Derzeit sind die baltischen Staaten noch in einem gemeinsamen Stromnetz mit Russland und Belarus verbunden; Spätestens 2025 will Lettland – wie die anderen baltischen Staaten – den Anschluss an das westeuropäische System vollenden;
Lettland ist noch nicht an das europäische Schienennetz angeschlossen, dies ist bis 2030 geplant; stattdessen ist Lettland – wie die baltischen Nachbarn – über das russische Breitspurnetz mit Moskau verbunden;
Mehr EU-Kooperation beim Ausbau Erneuerbarer Energien: Lettland hat es im Kontext des Ukraine-Krieges geschafft, den Anteil Erneuerbarer Energie auf 50 Prozent zu steigern; in Zypern liegt der Marktanteil erst bei rund 20 Prozent;
Förderung europäischer Privatinvestitionen:
In vielen ost- und mitteleuropäischen Ländern stehen deutsche Privatinvestitionen an der Spitze der Investorenrangliste. Diese Entwicklung ist in den 1990er Jahren durch Förderprogramme des Bundes politisch angeschoben worden. Eine verstärkte Investitionsansiedlung fand bei Lettland und Zypern, die erst 2004 beitraten, nicht mehr statt. Heute ist die Europäische Investitionsbank gefragt, um mit ihrem Netzwerk europäische Privatinvestitionen gezielt zu werben, zu fördern und zu finanzieren.
Bekämpfung der Korruption als strategische Aufgabe:
Beide Länder stehen im Korruptionsindex von „Transparency International 2023“ im hinteren Drittel aller EU-Länder mit Lettland an 36. Stelle von 180 weltweit und Zypern an 49. Stelle. Zypern ist zudem einer der TOP-5-Absteiger der letzten Jahre und den Risiken strategischer Korruption besonders ausgesetzt.
Verbesserung der Einbindung in transatlantische Sicherheitsstrukturen:
Beide Staaten, Zypern und Lettland, gelegen an den äußeren Flanken der EU, stehen vor unterschiedlichen sicherheitspolitischen Herausforderungen; sie müssen mit Nachdruck von der NATO und EU unterstützt werden:
- Die lettische Regierung hat um Patriot-Flugabwehrsysteme für den Schutz des Hauptquartiers des NATO-Kampfverbandes in Adazi, gebeten, das sonst russischen Iskander-Systemen, stationiert in Kaliningrad, ausgeliefert wäre;
- Da Zypern nicht Mitglied des „Partnership for Peace“-Programms (PfP) der NATO ist, ist für die Sicherheit Zyperns die Aufnahme einer pragmatischen Zusammenarbeit zwischen NATO und EU von strategischer Bedeutung. Gemeinsames Interesse muss die Sicherheit im östlichen Mittelmeer sein, sowohl für die EU, aber auch für die Türkei. Hierzu muss als erster Schritt eine gemeinsame Haltung der EU-Staaten im NATO-Kontext entwickelt werden.