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Potenzielle Vorteile einer europäisierten Rüstungsexportpolitik
Nationale Rüstungsexporte können generell einen außen- und verteidigungspolitischen Mehrwert bringen. Das Plädoyer für eine Europäisierung geht davon aus, dass damit der Mehrwert steigt oder sogar dieser innerhalb der EU erst möglich wird. Denn so werden europäische Kräfte gebündelt, die sonst zum Teil gegeneinander arbeiten. Zudem gehört im Verständnis vieler europäischer Staaten zu einer handlungsfähigen EU auch eine leistungsfähige industrielle Basis. Nur so kann in zentralen Bereichen unabhängig agiert werden. Dann dienen Exporte auch der Finanzierbarkeit industriellen Basis, denn der EU-Markt allein ist zu klein. Der außereuropäische Export ist also ein Teil der rüstungsindustriellen Gesamtstruktur der EU und ermöglicht seine Existenz.
Außenpolitik: In gewissen Grenzen eröffnen Rüstungsexporte die Möglichkeit, Einfluss auf regionale Sicherheitskomplexe zu nehmen. Zum einen, indem Akteure ausgerüstet und damit militärisch gestärkt werden, aber auch über die Beziehung, die das Empfängerland mit dem Lieferland eingeht. Ohne eine politische Vertrauensbasis unter den Regierungen würden Verkauf und eine jahrzehntelange Wartung der Rüstungsgüter nicht möglich sein.
Mit einer europäisch-einheitlichen Rüstungsexportpolitik ließe sich größerer politischer Druck auf solche Abnehmerstaaten europäischer Rüstungsgüter ausüben, die gegen humanitäres Völkerrecht oder Menschenrechte verstoßen.[1] Diesen würde der gleichzeitige Wegfall einer Vielzahl von Systemen, Komponenten oder Ersatzteilen drohen, der nicht so einfach zu kompensieren ist wie der Lieferausfall nur eines Exporteurs.
Allianz und Verteidigungspolitik: Rüstungsexporte können zudem auch ein Instrument europäischer Allianz und Verteidigungspolitik darstellen: Die EU-Staaten können Partner und Verbündete militärisch befähigen und ihre Interoperabilität mit den europäischen Armeen erhöhen, wenn die Empfänger das wünschen.[2] Zusammen mit Training und Ausbildung durch europäische Streitkräfte tragen die Importeure dann im besten Fall zu ihrer nationalen Sicherheit und regionalen Stabilität bei. Eine gemeinsame Exportpolitik würde auch insgesamt zur Berechenbarkeit der EU als Partner beitragen: Nicht als Lieferant, der unter allen Umständen liefert, aber als einem, der unter klaren Rahmenbedingungen zum Export bereit ist.
EU-Integration: Einheitliche und transparente Regeln im Bereich Verteidigung könnten die Kohärenz des Politikfeldes unterstützen. Derzeit möchten die EU-Staaten die Rüstungskooperation ohnehin vertiefen. Umgekehrt entstünde eine erhebliche Lücke, wenn der Binnenmarkt in der Verteidigung und bei gemeinsamen Rüstungsprojekten ausgebaut wird, aber die Exporte in den Händen einzelner Staaten blieben.
Verteidigungsindustrie und Ökonomie: Eine einheitliche Rüstungsexportpolitik unterstützt die verteidigungsindustrielle Konsolidierung und macht mehr gemeinsame Rüstungsprojekte möglich: Eine gemeinsame europäische Rüstung würde die Kosten für die Beschaffung in jedem EU-Land senken. Grund wären nicht nur die Skaleneffekte großer Stückzahlen, sondern auch die Einsparung von teuren Doppelstrukturen in der Produktion und bei Lieferketten. Gemeinschaftsprojekte, die den eigenen militärischen Bedarf decken, kommen derzeit aber nur zustande, wenn sich die Produkte außerhalb der EU exportieren lassen. Nur so sind die Kosten zu decken.
Wenn EU-Staaten umgekehrt keine Gewissheit darüber haben, ob ihre Mitproduzenten an die Empfänger exportieren werden, dann werden nationale Rüstungsprojekte attraktiver – selbst wenn die daraus resultierenden Produkte teurer und weniger fähig sind. Dann exportieren die europäischen Staaten auch nur national – und stehen damit im Exportwettbewerb gegeneinander. Die Exportpolitik jedes Produzenten wird in der Folge aggressiver, weil mehr Wettbewerber auftreten, aber der Kuchen nicht größer geworden ist.
Gerade für Deutschland würden einheitliche europäische Regeln die bisherigen Nachteile ausgleichen, die deutsche Anbieter auf dem Weltmarkt gegenüber anderen europäischen Anbietern haben. Umgekehrt verringert die Fortsetzung der bestehenden Praxis die Anreize für Rüstungskooperationen sowie industrielle Konsolidierung und trägt damit indirekt zur Kostensteigerung von neuem Gerät und der Systemvielfalt bei den europäischen Streitkräften bei. Beide Faktoren reduzieren die Effizienz von europäischen Verteidigungsausgaben und die Interoperabilität der Streitkräfte.
Der Flickenteppich von Exportregelungen
Die Harmonisierung der Rüstungsexportpolitiken sollte an bestehenden Prozessen ansetzen. Diese gliedern sich in vier Arten: nationale Prozesse, intergouvernementale Regelungen, supranationale Instrumente und projektbezogene Übereinkommen. Jede Kategorie bietet Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, um dem Ziel einer harmonisierten europäischen Rüstungsexportpolitik näherzukommen.
Jedoch bilden Europas Politiken, Regeln und Prozesse für Rüstungsexporte bis heute einen uneinheitlichen Flickenteppich: Den unvermeidlichen Ausgangspunkt bieten die nationalen Politiken und Prozesse. Hier findet sich eine Reihe sehr unterschiedlicher internationaler Regelungen und Abkommen mit ebenso unterschiedlichen rechtlichen Verbindlichkeiten: bi-nationale Abkommen wie das deutsch-französische Schmidt-Debré Abkommen [3], projektbezogene Vereinbarungen wie im Falle der Eurofighter-Produktion aber auch EU-weite und sogar globale Regeln.
Nur in wenigen Fällen haben europäische Staaten ihre internationalen oder intergouvernementalen Verpflichtungen in nationales Recht überführt und damit eine nationale Rechenschaftspflicht hergestellt. Letztlich bleiben Entscheidungen über Rüstungsgüterexport nationale Regierungsentscheidungen.
Nationale Entscheidungskompetenz im Zeichen der Souveränität
Schon auf der nationalen Ebene besteht wenig Gemeinsamkeit in Europa: Tatsächlich haben alle Staaten in der EU einen Prozess zur politischen Entscheidung über Rüstungsausfuhren. Diese durchlaufen auch sehr ähnliche Phasen. Welche Ministerien und Agenturen zuständig sind, ist dabei unterschiedlich. Viel gravierender sind aber die Unterschiede bei den politischen Grundlagen für Exporte. Regierungen agieren sehr heterogen, wenn es darum geht, Entscheidungen transparent zu machen. Damit bleiben Annahmen über die Wirkung von Exporten allgemein und im Einzelfall schwammig oder gar überhaupt nicht nachvollziehbar. Deutschland ist hierfür ein gutes Beispiel.
Das Kernproblem für die Europäisierung liegt in der nationalen Entscheidungskompetenz für diesen Kernbereich der Souveränität: Der Artikel 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VFEU) erlaubt es den Staaten, Exportentscheidungen jederzeit an sich zu ziehen, wenn sie ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen betreffen. Gerade sehr sensible Fälle dürften durch diese EU-Rechtsregel stets nationale Entscheidungen bleiben.
Zudem unterscheiden sich auch sowohl Niveau als auch Verfahren, die Transparenz und parlamentarische Kontrolle herstellen sollen. Gleichzeitig korrelieren beide: je höher die Transparenz desto höher auch die parlamentarische Kontrolle – und umgekehrt.[4]
Internationale Abkommen
Verschiedenste regionale oder internationale Abkommen zwischen Staaten nehmen Einfluss auf die Exportkriterien. Der Grad dieses Einflusses ist jedoch immer noch durch den Staat und seine Implementierungspraxis gekennzeichnet. Neben dem Wassenaar Arrangement (WA) und Missile Technology Control Regime (MTCR) geben zwei weitere Abkommen Mindeststandards und Kriterien für nationale Rüstungsexportentscheidungen vor:
Auf globaler Ebene ist dies der von allen europäischen Staaten ratifizierte Vertrag über den Waffenhandel[5] (folgend ATT). Der Vertrag fordert jeden Staat zu einer genauen Prüfung der Risiken eines Rüstungsexportes auf. Besteht das Risiko, dass der Export Frieden und Sicherheit unterminiert, genutzt wird, um gegen Menschen- oder Völkerrecht zu verstoßen, Terrorismus unterstützt oder dem organisierten Verbrechen hilft, sollte davon abgesehen werden. Allerdings fehlen dem Vertrag jegliche Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung. Zudem setzen die EU-Staaten diese Kriterien ohnehin national bereits um, auch, weil sie in EU-Abkommen bereits vorhanden sind.
Die EU hat sich schon vor dem ATT eigene Regeln gegeben: den Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Europäischen Rates. Der Gemeinsame Standpunkt zur Ausfuhrkontrolle von Militärtechnologie und Militärgütern sieht acht Kriterien zur Prüfung von Exportanträgen vor. Sie gehen über die des ATT hinaus, wie Tabelle 1 zeigt.
Obwohl die EU-Kriterien ein rechtsverbindliches Instrument darstellen und zum Teil in nationales Recht überführt wurden, interpretieren die EU-Staaten sie unterschiedlich. Möglich macht dies der schon erwähnte Artikel 346 VFEU. So wird der Gemeinsame Standpunkt im Wesentlichen zu einem Instrument der gegenseitigen Information der EU-Staaten untereinander. Eine Sanktionierung von Entscheidungen, die vom Gemeinsamen Standpunkt abweichen, kommt in der Praxis nicht vor. Zudem ist seine jüngste Überarbeitung eher kosmetischer Natur: Der Standpunkt wurde vor allem aktualisiert, um den Vertrag über den Waffenhandel sowie die europäische Dual-Use-Verordnung aufzunehmen. Inhaltlich ist nur eine leicht erhöhte Transparenz zu nennen, da die Europäische Kommission die EU-Jahresberichte über Rüstungsexporte nun digital zur Verfügung stellt.[6]
Bi- und multinationale Regelungen
Daneben gibt es bi- und multinationale Regelungen und Abkommen. Hierbei regeln vor allem Staaten, die bereits durch Rüstungskooperationen oder Importe verflochtene industrielle Lieferketten aufweisen, ihre gegenseitigen Abhängigkeiten. Damit sind sowohl die Gruppe der betroffenen Staaten, als auch der Gegenstand der Regelung bereits eingeschränkt. Regelungsgegenstand ist die (gegenseitige) Einfuhr und Ausfuhr von Systemen und Komponenten, die Produktion und Betrieb der Waffensysteme im anderen Land benötigen. Ziel dabei ist, dass eine Partei einer anderen ein Exportgeschäft nicht durch eine Ausfuhrverweigerung verhindern kann. Als Beispiele hierfür bekannt sind das deutsch-französische Schmidt-Debré-Abkommen sowie das kürzlich ausgehandelte, neue Abkommen zwischen den beiden Ländern.[7]
Projektbezogene Übereinkommen
Auch für gemeinsam entwickelte oder hergestellte Rüstungsgüter vereinbaren Staaten und Unternehmen regelmäßig produktspezifische Exportbedingungen. Dies geschieht in der Regel vor der eigentlichen Produktion. Dies ist zum Bespiel der Fall für das Vier-Nationen-Kampfflugzeug-Projekt Eurofighter. Die Vereinbarung hat einen schwachen Rechtscharakter: Die Staaten können sich nur politisch, aber nicht juristisch darauf berufen. Dabei stimmen alle Akteure dem Export als grundsätzlich möglich zu. Diese Möglichkeit legt die Hürden für eine Intervention eines Partners in den Export besonders hoch. Doch der Fall Saudi-Arabien zeigt, dass dies a) möglich und dann b) mit erheblichen Konsequenzen für alle Projektpartner verbunden ist. So hatte Deutschland die Lieferung von Eurofighter-Komponenten für Jets mit der Destination Saudi-Arabien unterbunden. Der Grund war die Beteiligung des Landes am Jemen-Krieg. In der Folge entstanden allein dem Vereinigten Königreich finanzielle Ausfälle von ca. 400 Mio. Euro pro Monat.
Auch intergouvernementale Abkommen wie das Farnborough-Abkommen zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Schweden von 2000[8] können sich direkt auf Projekte beziehen. Das Farnborough-Abkommen stellt in diesem Kontext Vorschlänge für eine projektbezogene, multilaterale Exportregulierung von Gemeinschaftsprojekten vor und wird deshalb hier zu den projektbezogenen Abkommen gezählt.
Zwischen Effektivität und Machbarkeit – Optionen zur Weiterentwicklung
Die heterogene Regelungsstruktur sollte Ausgangpunkt für Harmonisierungsbestrebungen sein. Einige Optionen sind bereits in den Regelungen angelegt. Zugleich stellt die bestehende Struktur auch eine besondere Herausforderung dar: Wenn eine Neuordnung hinter die Vorteile der bestehenden Regeln zurückfällt, dürfte der Widerstand gegen neue Regeln wachsen.
Egal ob intergouvernementale Regelungen, EU-Instrumente oder projektbezogene Übereinkommen – jede dieser Kategorien bietet Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, um dem Ziel einer harmonisierten europäischen Rüstungsexportpolitik näherzukommen.
Effektivität und Machbarkeit von Harmonisierung hängen davon ab, ob möglichst viele Staaten teilnehmen und diese Regeln so verbindlich wie möglich sind. Unterschiede bei Regeln und Teilnehmern könnten zur „Exportflucht“ führen: Produzenten wandern unter Umständen in jene Länder ab, die für sie vorteilhafte Regeln und Verfahren haben.
In der Gesamtschau ergibt sich folgendes schematisches Bild für die Optionen (Abbildung 1): Eine supranationale oder EU-weite Harmonisierung wäre die beste, aber unwahrscheinlichste Möglichkeit. Bleibt es bei den nationalen Regeln, ist sogar anzunehmen, dass die inkrementell oder durch innenpolitische Bewegründe fortlaufende Regulierung sogar der Harmonisierung entgegenwirkt. Denkbar ist zwar eine Harmonisierung nationaler Regelungen ohne Abstimmung zwischen den Staaten, diese wäre aber rein zufällig und damit weder wahrscheinlich, noch Ergebnis zielgerichteten politischen Handelns.
Intergouvernementale Abkommen wären – wenn sie sich an bestehenden Abkommen orientieren – wenig effektiv in der Harmonisierung, da sie kaum in die nationalen Exportpraktiken eingreifen. Zudem würden sie aufgrund der steigenden Komplexität der nationalen Interessen wahrscheinlich weniger EU-Staaten beinhalten. Projektbezogene Regelungen hingegen können flexibler an die nationalen Anforderungen angepasst werden, aber dennoch einschränkend wirken und so die Exportpraxis der beteiligten Staaten harmonisieren. Doch auch hier bleibt die steigende Komplexität der Interaktionen von nationalen Interessen bei einer größeren Anzahl von beteiligten Staaten ein Problem.
Insgesamt stehen die Staaten vor dem Dilemma der doppelten Ineffizienz: Nationale Regelungen sind vor allem sicherheitspolitisch nahezu ohne Effekt. Waffenlieferungen und Krieg werden nicht gestoppt, da andere Lieferländer die nur sich selbst auferlegten Restriktion sofort unterlaufen. Umgekehrt dauern globale oder regionale Verhandlungsprozesse wie ATT und der Gemeinsame Standpunkt sehr lange und die heterogenen Interessen, die es unter einen Hut zu bringen gilt, verwässern die Verbindlichkeit oder Regelungstiefe.
Bi- und multinationale Regelungen
Intergouvernementale Abkommen sind aufgrund der signifikant ansteigenden Komplexität bei der Beteiligung vieler Staaten in ihrer harmonisierenden Wirkung begrenzt. Da sich gerade an großen gemeinsamen Rüstungsprojekte wie dem Future Combat Air System (FCAS) oder dem Main Ground Combat System (MGCS) zurzeit nur drei bzw. zwei Staaten beteiligen, sind solche Abkommen für deren Rüstungsexportregulierung allerdings momentan hinreichend.
Leider tragen jüngste Beispiele wie das neue deutsch-französische Abkommen nicht zur Harmonisierung europäischer Rüstungsexportpolitik bei. Stattdessen lässt es den Parteien fast freie Hand zur Weiterführung der jeweils nationalen Exportpolitik. Beide Parteien könnten einzig die bewusst offen formulierten Ablehnungsgründe für einen Export – sollte dieser „unmittelbare Interessen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffen – nutzen, um praktisch eine einheitlichere Exportpolitik zu erzielen. Sie zu nutzen, ist jedoch mit hohen politischen Kosten verbunden, weshalb dies wohl nur in Extremfällen zum Tragen kommen wird.
Im Prinzip könnten eine Reihe von bilateralen Exportvereinbarungen mit ähnlichem Inhalt schrittweise einen gemeinsamen Korpus an Regeln ergeben und gleich praktisch umsetzen. Sicher würden solche Lösungen auf wenige Partner beschränkt bleiben, weil es unwahrscheinlich ist, dass die EU mit allen Staaten gemeinsam ein Projekt durchführt. Je mehr Partner sich beteiligen, desto komplexer wird allerdings die Interessenlage aller Beteiligten – und damit die Gefahr von Vetos und Dysfunktionalität einer solchen Sammlung von bilateralen Abkommen. Gleiches gilt für multilaterale Abkommen, die auf ähnliche Weise Exporte regulieren wollen.
Supranationale EU-Ebene
Besonders effektiv für eine Harmonisierung europäischer Rüstungsexportpolitik wäre der Transfer der Entscheidungsmacht von der nationalen auf die supranationale Ebene – z.B. die Europäische Kommission. Zudem zeigt die in der Praxis nicht vorkommende Sanktionierung von Abweichungen beim Gemeinsamen Standpunkt die Grenzen der rechtlichen Bindung ohne explizite
Benennung der verantwortlichen Judikative. Denkbar wäre auch eine Überwachung nationaler Entscheidungen durch die Kommission mit Sanktionierung durch den Europäischen Gerichtshof.[9] Beide Optionen setzen jedoch eine Änderung des VFEU voraus. Dies allein deutet
bereits darauf hin, dass diese
Option für sehr lange sehr unwahrscheinlich ist. Selbst wenn eine Vertragsänderung im Raum stünde, müssten die Staaten immer noch das Interesse haben, ihre Handlungsfreiheit aufzugeben.
Intergouvernementale Regelung für EU-Projekte
Mit der wachsenden Rolle der EU in Forschung, Entwicklung und Beschaffung von Militärsystemen wächst auch die Erwartung, dass EU-Institutionen verstärkt Einfluss auf die Exportpolitik nehmen. Bislang sieht die Kommission allerdings vor, dass alle im Rahmen EU-finanzierter Projekte gewonnenen Patente bei den Erfindern verbleiben und damit den Rüstungsexportregelungen des jeweiligen Landes ihres Sitzes unterliegen.[10]
Jedoch könnten in den jüngsten Initiativen, der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (engl. PESCO) und dem Europäischen Verteidigungsfonds (engl. EDF), die EU-Achse und die Projektachse verschmelzen: Sowohl PESCO als auch EDF sind projektbasierte Kooperationen. Sie bieten daher ein gutes Anwendungsfeld für projektbasierte Regelungen.
Projektbezogene Regeln
Das Farnborough-Abkommen enthält eine projektzentrierte Möglichkeit für die Regulierung von Gemeinschaftsprojekten: die Festschreibung von Exportparametern in deren Projektkonzeption: Partner könnten technische Eigenschaften des gemeinsamen Produktes für den Export limitieren, oder auch Limitierungen für Wartung, Reparaturen und Modernisierungen festlegen. Zudem legt das Abkommen den Projektpartnern nahe, sich im Vorhinein auf eine Liste möglicher Exportdestinationen zu einigen. Einstimmige Entscheidungen der Partner können diese zu einem späteren Zeitpunkt ergänzen oder kürzen. Bislang wurde das Farnborough-Abkommen jedoch noch nicht genutzt.
Rüstungsgüter sind unterschiedlich umstritten und das Risiko zum Missbrauch und Verstoß gegen Menschen- und Völkerrecht variiert. Statt einer staatenbezogenen könnte eine projektbezogene Regulierung vergleichsweise flexibel auf die Bedenken einzelner Partner bei gemeinsamen Projekten eingehen. Wie der Jemen-Konflikt allerdings gezeigt hat, sind längst nicht mehr nur Landsysteme besonders können auch Flugzeuge und Schiffe zur offensichtlichen Verletzung von Menschen- und Völkerrecht nutzen, was den skizzierten Vorteil abschwächt.
Empfehlungen
Innerhalb der dargestellten Optionen besteht wenig Hoffnung, dass supranationale Institutionen eine größere Rolle einnehmen. Mit dem neuen deutsch-französischen Abkommen haben beide Partner für den Moment den praktischen Weg gewählt. Eine Harmonisierung der Rüstungsexportpolitik der beiden Staaten wird aber nicht die Folge sein. Damit enthält das Abkommen ein großes politisches Risiko, die weiterhin bestehenden Konflikte früher oder später wieder hervorbrechen zu lassen. Solche intergouvernementalen Abkommen eignen sich vor allem, um gemeinsame Projekte anzugehen, da ihr politischer Symbolwert sehr hoch ist, aber nicht unbedingt, um Lieferketten dauerhaft zu integrieren.
Projektzentrierte Übereinkommen jenseits großer Gemeinschaftsprojekte könnten durch ihre Flexibilität für zukünftige Rüstungsvorhaben – gerade für solche mit mehreren Partnern – interessant sein. Die Europäer sollten daher die im Farnborough-Abkommen vorgesehenen Mechanismen wie technische Limitierungen oder prädeterminierte Länderlisten für mögliche Exportdestinationen für zukünftige Projekte genauer operationalisieren.
Um in Zukunft eine bessere Harmonisierung europäischer Rüstungsexportpolitik zu erreichen, sollte sich Deutschland auf drei Dinge konzentrieren:
Erstens sollte Deutschland intergouvernementale Abkommen wie mit Frankreich für die explizit gelisteten Projekte mit Leben füllen. Sowohl für die Kooperation mit Frankreich, als auch im weiteren europäischen Kontext für Rüstungskooperation, wird Deutschland daran gemessen, wie es das neue Abkommen umsetzt. Da dies aber kaum zur Harmonisierung beiträgt, bleiben substanzielle politische Risiken für die Zusammenarbeit bestehen. In Anbetracht der vielen Gemeinschaftsprojekte mit Frankreich – über das Future Combat Air System und das Main Ground Combat System hinaus – sollte Deutschland auch untersuchen, wie projektbezogene Übereinkommen jenseits intergouvernementaler Abkommen Rüstungsexporte regeln können. Weiterhin könnten solche Regelungen für die Ergebnisse der sehr projektzentrierten Arbeit des Europäischen Verteidigungsfonds und der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit relevant sein. Das Farnborough-Abkommen bietet dafür einen guten Ausgangspunkt.
Zweitens sollte Deutschland das Thema Industriekonsolidierung in Europa wieder ins Spiel bringen. Mit Abschluss der ersten Konsolidierungsphase nach dem Ende des Kalten Krieges und deren Ende zu Beginn der 2000er Jahre ist dazu in Europa zu wenig passiert. Konsolidierung – und damit der Abbau von industriellen Überkapazitäten und Exportabhängigkeit – kann nicht nur in einer politischen Aufforderung an die Industrie bestehen zu fusionieren. Sie muss auch politische Gestaltung in Form eines von den Staaten geplanten Bildes zukünftiger nationaler und europäischer Industriefähigkeiten enthalten. Wenn die europäischen Staaten ihre teilweise schon formulierten Industriepräferenzen übereinanderlegen und abstimmen, wäre ein erster Schritt zu einem solchen groben Top-Down-Bild getan. Erst dann
können in den Unternehmen wirtschaftliche Pläne und in der Politik Freigaben für transnationale Unternehmensfusionen entstehen.
Drittens sollte Deutschland Transparenz bei Exporteuren und Importeuren vorantreiben. Transparenz heißt für Deutschland in Zukunft, schneller und in Übereinkunft mit seinen Verpflichtungen Informationen vor allem an die EU – in Form der Gruppe „Ausfuhr konventioneller Waffen“ (eng. COARM) des Rates – für den jährlichen Bericht zu übermitteln. Hinsichtlich mehr Transparenz bei Importeuren kann Deutschland seine jüngsten positiven Erfahrungen mit Post-Shipment-Kontrollen (PSKs) nutzen, um das Thema als Modell für andere europäische Länder zu platzieren. Mit einer Implementierung würde ein Beitrag zur Proliferationsvermeidung geleistet, der zudem zusätzliche Informationen über die
Zuverlässigkeit bestimmter Importeure als sichere Zielländer generieren würde.
Für Deutschland führt kein Weg um ein eigenes sicherheitspolitisches Koordinatensystem herum. Europäische oder intergouvernementale Verfahren schaffen keine neuen Politikinhalte und klären nicht bestehende Konflikte und Unklarheiten über deutsche Präferenzen, Zielländer und
akzeptable Risiken. Vielmehr droht, dass Deutschland ein weiteres Mal scheitert, wenn es sich ohne klare nationale Zielvorstellung in die Verhandlungen eines europäischen/EU-Rüstungsexportregimes begibt. Dann würden alle anderen 26 EU-Staaten die Konsequenzen der deutschen Unentschiedenheit tragen müssen. Umgekehrt ist es keine Option, auf Innovationen in der Europapolitik zu warten, etwa auf eine kohärente EU-Außenpolitik. Wenn zudem das Instrument der qualifizierten Mehrheit in der Außenpolitik eingeführt werden sollte und es so Folgen auf den Rahmen der Exportregulierung hat, dürfte Deutschland erneut vor schwierigen Optionen stehen.
Schließlich gilt es, Regelungen nicht nur für die EU, sondern auch für EU-gleichgestellte Staaten zu erarbeiten. Denn heutige und zukünftige rüstungsindustrielle Partner liegen auch außerhalb der EU: vor allem Großbritannien oder die USA, aber auch Australien, Japan oder Indien.
Fußnoten
[1] Spingel, Jennifer (2019): The Case for Suspending American Arms Sales to Saudi Arabia, War on the Rocks, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://warontherocks.com/2019/05/the-case-for-suspending-american-arms…;.
[2] Besch, Sophia & Oppenheim, Beth (2019): Up in arms – Warring over Europe’s arms export regime, Centre for European Reform, S.3f.
[3] Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestages (2018): Kurzinformation – Das Schmidt-Debré-Abkommen, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://www.bundestag.de/resource/blob/577298/d2913e58459b6705fe3c2cffa…;.
[4] Cops, Diederik; Duquet, Nils; Gourdin, Gregory (2017): Towards Europeanised arms export controls? Comparing control systems in EU Member States, Flemish Peace Institute, Brüssel, S.157.
[5] United Nations (unbekannt): The Arms Trade Treaty, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://thearmstradetreaty.org/hyper-images/file/ATT_English/ATT_Englis…;.
[6] Auswärtiges Amt (2019): Auswärtiges Amt anlässlich der Überarbeitung des Gemeinsamen Standpunkts der EU zur Ausfuhrkontrolle von Militärtechnologie und Militärgütern, zuletzt abgebrufen am 06.11.2019 unter <https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gemeinsamer-standpunkt-eu-a…;.
[7] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich: Gemeinsames Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich in Kraft getreten, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Meldung/2019/20191025-ausfuhrkontrolle…;.
[8] Britische Regierung (2001): Framework Agreement […] concerning Measures to Facilitate the Restructuring and Operation of the European Defence Industry, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uplo…;.
[9] Besch, Sophia & Oppenheim, Beth (2019): Up in arms – Warring over Europe’s arms export regime, Centre for European Reform, S.6.
[10] Siehe momentane Regulierungsvorschläge für den Europäischen Verteidigungsfunds, Artikel 43. Europäische Kommission (2018): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing the European Defence Fund, zuletzt abgerufen am 06.11.2019 unter <https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52018PC0476…;.