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Feb 02, 2018

Putins schöne neue Weltordnung gewinnt mehr und mehr an Realität

Als klarer Underdog angetreten, lässt Wladimir Putin den Westen immer öfter nach seinen Ideen von Weltordnung tanzen. Wo Demokratien mit Situationen hadern und um Entscheidungen ringen, spielt er geschickt die Stärke der Macht aus.

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Russland ist zurück ist auf der internationalen Bühne, wie Liana Fix in ihrem NZZ-Gastkommentar kürzlich zu Recht geschrieben hat. Wladimir Putin hat in der Ukraine und in Syrien Fakten geschaffen und betreibt damit erfolgreich Geopolitik. Der russische Präsident ist ein gewiefter Taktiker, der die Schwächen seiner Gegner kennt und mit geringeren Ressourcen als die Nato in den letzten Jahren effizient internationales Prestige generiert hat.

Sicher fehlt der derzeitigen russischen Führung eine strategische Vision, aber sie hat im Gegensatz zur EU klar formulierte strategische Ziele, die sie zunehmend selbstbewusster verfolgt. Dazu zählen die Anerkennung durch Washington als gleichwertige Macht, die man in internationalen Konflikten nicht ignorieren kann. Die Akzeptanz der begrenzten Souveränität seiner postsowjetischen Nachbarstaaten und damit russischer Einflusszonen. Sowie das Ende „westlicher“ Demokratisierungspolitik in Russlands Umfeld und weltweit. Diesen Zielen ist Putin im letzten Jahr ein Stück nähergekommen.

Die Macht des Stärkeren

Auch wenn Russlands Aussenminister Sergei Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 triumphierend von einer Post-West-Ordnung gesprochen hat, so hat das Putinsche Russland mit steigenden Ölpreisen und mit westlichen Investitionen von dieser Ordnung profitiert.

Trotzdem glaubt es, dass eine Veränderung dieser Welt zum Vorteil Russlands sein wird. Für die russische Führung befinden wir uns in einer Phase der Transformation zu einer Weltordnung, in der weniger vereinbarte Regeln und internationales Recht gelten als vielmehr die Macht des Stärkeren. Im Gegensatz zu Deutschland und zur EU ist Moskau besser auf diese neue Welt vorbereitet, da es mit Chaos, Unsicherheiten und Zonen schwacher oder fehlender Staatlichkeit Erfahrungen hat. Es schafft diese sogar systematisch durch seine Politik der „kontrollierten Destabilisierung“, wie in der Ostukraine, um westlichen Einfluss zurückzudrängen.

Aus russischer Perspektive kommt es in dieser neuen, Hobbesschen Welt weniger auf die besten Technologien (kann man hacken) oder nachhaltige Wirtschaftspolitik (schafft nur Bequemlichkeit) an. Vielmehr geht es um schnelle Entscheidungen, um die Kaltschnäuzigkeit, auch unter Anwendung militärischer Gewalt zu agieren, sowie um die geschickte Kombination von militärischer Macht und Beherrschung des Informationsraumes.

All das fehlt westlichen Demokratien, die in Entscheidungsprozessen langsam sind, sich (zu Recht) einer kritischen Öffentlichkeit stellen müssen und Schwierigkeiten haben, die Mittel für ihre Verteidigung zu erhöhen. Mit Blick auf die Ostukraine lässt das nichts Gutes ahnen: Es gibt für die russische Führung überhaupt keinen Grund, den Status quo zu ändern, bis ihre Interessen durchgesetzt sind, da sie mit der gegenwärtigen Situation gut leben kann.

Gewiss, Russland ist in den letzten Jahren international vor allem als Störer aufgetreten, der die Schwachstellen von westlichen Demokratien verstärkt und genutzt hat. Aber während Moskau ursprünglich aus einer Position der Schwäche auf wahrgenommene westliche Interventionen wie „Farbenrevolutionen“, die Unterstützung von NGO oder freier Medien reagierte, schaltet Putin seit 2014 auf Angriff. Die Kombination aus Kontrolle nach innen, weichen Mitteln der Einflussnahme sowie militärischer Macht nach aussen haben dazu geführt, dass sich der Kreml im Moment auf dem richtigen Weg sieht, während der Westen strauchelt.

Der Westen als Feindbild

In dieser neuen Welt gibt es keine Verbündeten, diese würden nur die eigene Handlungsfähigkeit begrenzen. Sicher hat Putins Neuausrichtung auf China nicht den erhoffen Erfolg gebracht und bleibt Russland von Öl- und Gasverkäufen nach Europa abhängig. Aber die chinesisch-russische Interessenallianz ist durch ein gemeinsames Interesse eng verbunden: Regime-Stabilität. Dagegen haben Deutschland und die EU kein Interesse, die energiepolitischen Kontakte mit Moskau abzubrechen, auch wenn Nord Stream 2 vor allem auf eine Festigung des Systems Putin hinausläuft.

Putin hat es so erfolgreich nach innen und aussen geschafft, das Feindbild des Westens wiederauferstehen zu lassen, so dass auch wir inzwischen wieder glauben wollen, es gebe eine westliche Wertegemeinschaft. Das ist aber nicht erst in Zeiten von Trump immer weniger der Fall: Die USA und Europa haben zunehmend unterschiedliche Interessen, auch mit Blick auf Russland.

Was wir brauchen, ist eine ernsthafte Strategiedebatte, welches die eigentlichen Herausforderungen für Europa seien. Ein militärisch aufgerüstetes Russland braucht als Antwort auch klare Abschreckung. Ebenso wichtig ist, auf die strategischen Herausforderungen in unserer Nachbarschaft und der Welt endlich adäquat zu reagieren und aus der Komfortzone herauszukommen. Nur wenn wir nach innen und aussen die Feinde offener Gesellschaften bekämpfen und unsere Hausaufgaben mit Blick auf Digitalisierung und Globalisierung machen, schliessen wir die Räume, in denen Wladimir Putin im Moment Weltmacht spielt.

Bibliographic data

Meister, Stefan. “Putins schöne neue Weltordnung gewinnt mehr und mehr an Realität.” February 2018.

Dieser Text ist zuerst als Gastkommentar in der NZZ erschienen, 2. Februar 2018.

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