Geopolitische Machtverschiebungen im Nahen Osten

Podiumsdiskussion

Date
18 September 2015
Time
-
Event location
DGAP, Berlin, Germany
Invitation type
Invitation only

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Innerhalb von vier Jahren hat sich die MENA-Region immer mehr von ihren demokratischen Bestrebungen, die von der Welle der Volksaufstände 2011 ausgegangen waren, abgewandt und sich in Richtung von Zersplitterung, Unsicherheit und Zerbrechlichkeit entwickelt. Dieses instabile Umfeld hat zu einer harten Konkurrenz um die Machtverhältnisse zwischen regionalen und internationalen Akteuren geführt, die beträchtliche Bemühungen unternommen haben, die Entwicklungen in der Region im Sinne ihrer eigenen Interessen zu beeinflussen. Neben einer umfassenden Analyse der geopolitischen Machtverschiebungen in der Region konzentrierte sich die Podiumsdiskussion vor allem auf die Rolle und Interessen der wichtigen regionalen Akteure Türkei, Iran und Saudi-Arabien sowie auf die Frage der strategischen Einflussnahme auf die Stabilität in der Region.

Das Podium setzte sich aus vier Experten zusammen: Kristina Kausch, Leiterin des Nahost-und Nordafrika-Programms von FRIDE (Madrid); Soli Özel, Professor für Internationale Beziehungen an der Kadir Has Universität (Istanbul) und Richard von Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Academy (Berlin); Behnam Ben Taleblu, selbständiger Iran-Analyst (Washington); und Sebastian Sons, Mitarbeiter des Programms Naher Osten und Nordafrika der DGAP. Die Teilnehmer untersuchten die neuen Dynamiken in der Region sowie die spezifischen Strategien und Interessen der Außenpolitik der Türkei, Irans und Saudi-Arabiens, um so deren politische Auswirkung auf diese Länder selbst, die Region und Deutschland/die EU zu evaluieren. Es bestand ein großer Konsens, dass die neuen Beziehungen und Dynamiken in der MENA-Region vieles, was als unumstößlich galt, grundlegend verändert haben und fast alles zur potenziellen (Wieder-)Verhandlung gestellt haben. Während „revisionistische Akteure“ wie die Türkei oder Iran eine expansionistische regionale Agenda verfolgen, konzentrieren sich andere Länder wie Saudi-Arabien darauf, den Status Quo zu erhalten und zu fördern und fungieren so als konterrevolutionäre Kräfte. Jedoch wurde die zentrale Tatsache hervorgehoben, dass nicht nur staatliche Akteure in der Neuordnung des Nahen Ostens konkurrieren. Nichtstaatliche Akteure, allen voran der „Islamische Staat“, fordern herkömmliche Grenzen und das Konzept der Nationalstaaten in der Region als solches grundlegend heraus.

Insbesondere wurde der Wettbewerb zwischen Iran und Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft als einer der wesentlichsten Destabilisierungsfaktoren identifiziert. Es bestand weitgehend Einvernehmen darüber, dass eine Lösung in der Syrienkrise und die Stabilisierung der Region ohne die Mitwirkung Irans und Saudi-Arabiens äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich sein würde. Allerdings äußerten Teilnehmer Bedenken, dass ein Ende dieses „Kalten Krieges“ zwischen den beiden Ländern tatsächlich in Sicht sei. Denn das Atom-Abkommen mit Iran belastet die ohnehin bereits angespannte Beziehung zwischen den beiden Ländern noch mehr, da es zu einer Gewichtsverlagerung geführt und Irans Position in der Region erneut gestärkt hat. Deshalb wurde es als große Herausforderung angesehen, zu kontrollieren, wer vom Nachlass der Sanktionen am meisten profitiert, und einen gemeinsamen Aktionsplan für Syrien zu erarbeiten, der die Interessen beider Länder sichert.

Während die außenpolitischen Richtlinien Irans und Saudi-Arabiens von großer Kontinuität zeugen und nur minimal strategisch angepasst wurden, wurde betont, dass der außenpolitische Kurs der Türkei erheblich vom Resultat der Wahlen am 1. November abhängt. Nachdem die türkische „Keine-Probleme-mit-Nachbarn“-Strategie der letzten Jahre gescheitert ist, wird erwartet, dass das Land seine strategischen Ausrichtungen in der Region wiederherstellen, und vor allem mit Israel aus beidseitiger Sorge um eine mögliche iranische Ausbreitung wieder in Einklang bringen wird. Darüber hinaus benannten die Teilnehmer ein Umdenken und das erneute Vorantreiben der europäisch-türkischen Beziehungen als notwendig.

Der aktuelle regionale Machtkampf hat alle Demokratisierungsbemühungen zunichte gemacht und westliche Prioritäten von der Unterstützung der Demokratisierungsprozesse hin zum Krisenmanagement verlagert. Europas Außenpolitik und Umgang mit der Krise wurden jedoch heftig kritisiert und als ineffektiv und ungenügend bezeichnet. Neben institutioneller Vielfältigkeit wurde auch das Bedürfnis nach sofortigen multilateralen Koalitionen hervorgehoben, da die stets wechselnden Sicherheitsbedrohungen in der MENA-Region umfassendere Maßnahmen erfordern. Die Bedeutung und Abhängigkeit von der Zusammenarbeit der zentralen regionalen Akteure wurde zwar betont, doch wurde auch die Wichtigkeit einer sorgfältigen Auswertung der Ziele aller potenziellen Partner herausgestrichen.

Etwa 25 Gäste aus deutschen Ministerien, Botschaften der MENA-Region, Think-Tanks und anderen relevanten deutschen Institutionen nahmen an der Podiumsdiskussion teil. Die Veranstaltung wurde im Rahmen des FRIDE-Forschungsprojekts „Geopolitik und Demokratie im Mittleren Osten und Nordafrika“ mit freundlicher Unterstützung des HIVOS und des norwegischen Außenministeriums organisiert.