Der Ausgang der Parlamentswahlen wurde im Vorfeld sowohl von den moldauischen Parteien als auch von der EU und Russland als richtungsweisend für den außenpolitischen Kurs der Republik gesehen. Der Weg der EU-Integration wird von der Bevölkerung vor allem mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand assoziiert, während sich das russische Angebot der Zollunion und später der Eurasischen Union vor allem durch niedrige Energiepreise und erleichterten Zugang zum russischen Arbeitsmarkt auszeichnet. Mit dem knappen Sieg für die proeuropäische Koalition haben die Wähler den Kurs der Annäherung an die EU bestätigt.
Proeuropäisches Votum trotz Glaubwürdigkeitskrise
Dass es trotz der erheblichen Bemühungen seitens der EU zu einer äußerst knappen Entscheidung kam, begründen vor allem zwei Faktoren: Zum einen hat die Enttäuschung in der Bevölkerung über die zahlreichen Korruptionsskandale – beispielsweise den undurchsichtigen Verkauf des Flughafens von Chisinau – die Zustimmung zur regierenden Koalition „Allianz für Europäische Integration“ aus Liberaldemokraten, Liberalen und Demokraten geschwächt; eine Vielzahl der Wähler traute der proeuropäischen Koalition die tatsächliche Umsetzung des EU-Integrationskurses mit einer stringenten Modernisierung des Landes nicht zu. Zum anderen ist die sich bereits vor der Wahl abzeichnende hohe Zustimmung für die neugegründete oppositionelle Partei Patria auch als Protest zu verstehen; der Fragen aufwerfende Ausschluss dieser Partei nur drei Tage vor dem Wahlgang dürfte den ebenfalls oppositionellen Sozialisten einen erheblichen Wählerzulauf eingebracht und damit zu ihrem Erfolg als nunmehr stärkste Kraft im Parlament beigetragen haben.
Der zum Teil beträchtliche Wählerverlust der oppositionellen Kommunisten wie auch der regierenden Liberaldemokraten und Liberalen lässt sich dagegen durch einen inhaltlich wenig fundierten Wahlkampf erklären. Demokraten und Sozialisten, die neben dem außenpolitischen Kurs auch Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, Korruption und Bildung im Wahlkampf abgebildet haben, konnten dagegen Zuwächse verzeichnen.1
Das Wahlergebnis ist damit eine vielschichtige Kombination aus außenpolitischen Motiven und innenpolitischen Debatten; in beiden spiegelt sich der Wunsch nach einer nachhaltigen Modernisierung, verbunden mit einem Anstieg des Lebensstandards, wider.
EU-Integration fordert nachhaltige Modernisierung
Die Bemühungen seitens der EU, Moldau auf dem Kurs europäischer Integration zu halten – insbesondere angesichts des massiven Engagements Russlands – haben somit gefruchtet, wenngleich dieser Erfolg denkbar knapp ausfiel.2 Die Besuche von hochrangigen europäischen Politikern, insbesondere die enorm schnelle Verabschiedung des freien Visaregimes sowie des Assoziierungs- und des Freihandelsabkommens seitens der EU haben die proeuropäische Orientierung Moldaus gestützt. Wie zügig die weitere Annäherung vorangeht, hängt nun vor allem von Moldau ab. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung die EU-Annäherung mit dem gleichen Nachdruck wie die vorangegangene verfolgt. Zudem fordert die EU eine nachhaltige und tiefgreifende Modernisierung des Landes, insbesondere im Hinblick auf die grassierende und lagerübergreifende Korruption, aber auch auf das Investitionsklima und das Bildungssystem.
Die EU muss hier gezielt Anreize schaffen. Das verbindliche Setzen von Maßstäben und Prüfmarken, beispielsweise hinsichtlich Gesetzesreformen in den angesprochenen Bereichen, mit daran gekoppelten Integrationsschritten, kann die Modernisierung befördern. Dies bedarf jedoch eines genauen Monitorings von politischer und wirtschaftlicher Entwicklung und vor allem der Verwendung der unterschiedlichen Förderinstrumente der EU. Moldau muss für eine adäquate Mittelverwendung auch das entsprechende Fachwissen und die dazugehörigen Institutionen entwickeln. Dass dieser Faktor mindestens ebenso zentral wie die eigentlichen Fördermittel ist, zeigen nicht zuletzt die Probleme der mittelosteuropäischen Länder bei ihrer EU-Annäherung. Auch darf die EU nicht unterschätzen, dass die Logik der machthabenden Eliten (unabhängig von Parteizugehörigkeit) nicht zwingend an der nachhaltigen Modernisierung des Landes, sondern auch an den eigenen Machtressourcen orientiert ist. Eine strategische Unterstützung der moldauischen Zivilgesellschaft, auch in finanzieller Hinsicht, kann hier gleich zweifach Wirkung entfalten: Zum einen könnte sie Beobachtungs- und Beaufsichtigungsaufgaben gegenüber dem Staat übernehmen, zum anderen kann sie selbst die Modernisierung der moldauischen Gesellschaft vorantreiben.
Ein nicht genauer kalkulierbares Risiko bleibt dabei der Einfluss Russlands. Moskau hat sich in Moldau ähnlich wie in anderen Länder Mittelosteuropas in strategisch wichtige Bereiche eingekauft. Insbesondere der Bankensektor ist davon betroffen. Zusammen mit den bereits bestehenden Handelsrestriktionen gegen die für die moldauische Wirtschaft so wichtigen landwirtschaftlichen Güter besitzt Russland hier ein enormes Störpotential gegen den Modernisierungskurs. Zudem dient Moskau der Konflikt um Transnistrien als Faustpfand gegenüber der Regierung in Chisinau. Der moldauische „EU-first approach“ zur Lösung dieses Konflikts verspricht jedoch, wenn überhaupt, erst langfristig Erfolg: Die Modernisierung Moldaus, stimuliert durch die Annäherung an die EU und die damit einhergehende wirtschaftliche Entwicklung und Steigerung des Lebensstandards soll Transnistrien zur Abkehr vom Separatismus bewegen. Dies setzt jedoch eine zügige und erfolgreiche Entwicklung Moldaus voraus und läuft Gefahr, die Eigeninteressen der transnistrischen Eliten zu unterschätzen. Die nach wie vor bestehende militärische Präsenz Russlands auf transnistrischem Gebiet verschärft diesen Umstand. Zudem hält Russland mit dem sich erneut zuspitzenden Konflikt um die ebenfalls nach Autonomie strebende Region Gagausien einen weiteren Trumpf gegenüber Chisinau in der Hand. Die Gagausier hatten zu Beginn des Jahres in einem Referendum mit rund 98% für einen Beitritt zur Zollunion aus Russland, Kasachstan und Belarus gestimmt. Sowohl Chisinau als auch Brüssel kritisierten das Referendum als nicht konform mit moldauischem Recht. Mit dem Referendum lebte der seit den frühen 90er Jahren als beigelegt geltende Autonomiekonflikt mit dem orthodoxen Turkvolk wieder auf. Ähnlich wie den Transnistrienkonflikt kann Moskau die enge Bindung Gagausiens an Russland nutzen, um durch die Unterstützung der Autonomiebewegung eine Annäherung Moldaus an die EU zu untergraben. Moldaus territoriale Integrität wird damit von einer weiteren Seite angegriffen.
Auswirkungen auf die Östliche Partnerschaft
Angesichts der sich zuspitzenden Konkurrenz zwischen der EU und Russland im osteuropäischen Raum stellt sich zudem die Frage einer Übertragbarkeit dieser ersten Erfolge in Moldau auf andere Länder der Östlichen Partnerschaft (ÖP). Das schnelle Handeln der EU hinsichtlich des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens sowie des freien Visaregimes könnte hier als Vorbild für weitere Länder dienen. Schließlich stellt die politische aber auch institutionelle Behäbigkeit der EU die politischen Eliten in den Ländern der ÖP nicht selten vor (Rechtfertigungs-)Herausforderungen. Der Fall Moldau zeigt jedoch auch, dass für zügige Erfolge im Annäherungsprozess eine konsequente und schnelle Umsetzung der EU-Anforderungen seitens der Partnerländer unabdingbar ist. Die Tatsache, dass dies in Moldau vergleichsweise gut gelang, ist ein Erklärungsfaktor für den zügigen Annäherungsprozess Moldaus im Vergleich zu anderen Ländern der ÖP.
Die EU muss jedoch auch damit rechnen, dass der Kosten- und Ressourcenaufwand für weitere Erfolge der ÖP wächst. Zum einen ist Moldau vor allem wirtschaftlich vergleichsweise klein. Der finanzielle Aufwand in anderen Ländern, beispielsweise der Ukraine, beträgt ein Vielfaches. Zum anderen dürfte Russland durch wirtschaftliche, etwa Handelsrestriktionen und politische Interventionen die Kosten weiter in die Höhe treiben. Ein attraktives und konkurrenzfähiges Angebot seitens der EU an die Länder der ÖP wird auch mittelfristig einen nicht zu vernachlässigenden finanziellen Aufwand bedeuten. Die EU allein als Ausdruck eines wirtschaftlichen Erfolgsmodells gepaart mit demokratischer Freiheit entfaltet angesichts Russlands Strategie von Zuckerbrot und Peitsche sowie der innenpolitischen Machtkämpfe in den Ländern der ÖP nicht mehr genug Anziehungskraft. Angesichts der Auswirkungen einer noch immer nicht überwundenen Wirtschafts- und Finanzkrise und einer sich vertiefenden Vertrauenskrise mit Russland müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten festlegen, welche Priorität sie diesem Politikbereich beimessen. Anschließend bedarf es vor allem einer bis jetzt noch ungenügend geführten strategischen Debatte um die Ziele der ÖP und der Nachbarschaftspolitik als Ganzem. Darauf aufbauend muss eine Debatte erfolgen, ob und welche Ressourcen die EU dazu investieren will.
Implikationen für die sicherheitspolitische Ordnung Osteuropas
Diese Frage wird angesichts der sich abzeichnenden Verwerfungslinie zwischen der EU und Russland umso dringlicher. Die territorialen Konflikte von Transnistrien bis Südossetien erhalten durch das russische Streben nach Kontrolle des eigenen nahen Auslands ein verbindendes Moment und gewinnen auch für Europa wieder an strategischer Bedeutung. Das Ringen um die Republik Moldau wirft auch hier ein Schlaglicht auf die Absichten Moskaus: Eine Einteilung Osteuropas in exklusive Einflusssphären, welche die Staaten der GUS dem Einzugsbereich Russlands zuordnet. Will die EU den eigenen Vereinbarungen zur Souveränität der betreffenden Staaten Folge leisten, kann sie hier keinen Kompromiss mit Russland schließen. Angesichts der festgefahrenen Positionen auf beiden Seiten ist eine Verhandlungslösung in naher Zukunft nicht in Sicht. Das Ausloten möglicher Kompromisse und Zugeständnisse wird voraussichtlich andauern. Ohne eine grundsätzliche Klärung dieses Konflikts wird sich jedoch auch für die Republik Moldau keine Entspannung der außenpolitischen Lage abzeichnen. Durch die Wahl des Weges einer europäischen Annäherung muss Moldau auch weiterhin restriktive Maßnahmen Russlands einkalkulieren und zugleich mit der steten Gefahr einer Eskalation des Transnistrienkonflikts beziehungsweise einer Zuspitzung der Gagausienproblematik rechnen.
Sarah Pagung ist Programmmitarbeiterin des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien.
- 1Auch die ausgeschlossene Partei Patria hatte diese Inhalte in ihrem Wahlkampf angesprochen.
- 2Russland versuchte durch massive, vor allem finanzielle Unterstützung zugunsten der Sozialisten (laut dem Urteil zum Ausschluss der Partei Patria aber auch zum Vorteil dieser) den Wahlkampf zu beeinflussen. Eine breit gestreute und intensive öffentliche Diplomatie, auch durch russisches Fernsehen, sollte ebenfalls ein prorussisches Votum herbeiführen.