Gesprächskreis Transatlantik diskutiert über den Dialog Indiens mit den USA und die inneren Umbrüche des Landes
Tellis betonte, dass sich Indien in einer Phase umfassender wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen befinde. Das hohe Wirtschaftswachstum lasse die Erwartungen an die globale Rolle des Landes steigen. Über das außenpolitische Profil Indiens finde in dem Land derzeit eine breite Debatte statt. Gleichzeitig verändere sich Indien innenpolitisch durch einen Dezentralisierungsprozess, der beispiellos in der Geschichte des Landes sei. Gesellschaftliche Strukturen wandelten sich: Mehr Angehörige niedriger Kasten würden nun ins Parlament gewählt.
Die gleichzeitige Transformation auf unterschiedlichen Ebenen hat laut Tellis zu einer Art Identitätskrise des Landes geführt. Einerseits betrachte sich Indien weiter als Entwicklungsland, wolle andererseits aber in globalen Angelegenheiten mitreden. Auch die internationale Gemeinschaft erwarte eine globale Führungsrolle Indiens, die das Land allerdings bislang nicht annehmen wolle. Zudem stelle sich die Frage, ob Indien seine Autonomie und Bündnisfreiheit der vergangenen Jahrzehnte zugunsten strategischer Partnerschaften aufgeben sollte. So sei eine Kooperation mit den USA aus wirtschaftlichen Gründen sehr sinnvoll. Sie werde allerdings durch Indiens Atomprogramm belastet.
In der Diskussion mit Teilnehmern des Gesprächskreises ging es vor allem Chinas Einfluss auf Indien. Dabei vertrat Tellis den Standpunkt, dass Chinas Aufstieg von der indischen Regierung zwar mit Unbehagen verfolgt werde, dies aber nicht das zentrale Element der Außenpolitik Neu Delhis darstelle. Stattdessen habe China in gewissem Sinne sogar eine Vorbildfunktion für Indien, zumindest was dessen exportorientiertes Wirtschaftssystem angehe.
Große Sorge bereite Indien dagegen der Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan, da man befürchte, künftig Verantwortung für einen instabilen Staat in unmittelbarer Nachbarschaft tragen zu müssen. Ein stärkeres Engagement am Hindukusch und die intensiveren Beziehungen zu den USA könnten außerdem das ohnehin angespannte Verhältnis zu Pakistan zusätzlich belasten.
Ashley Tellis ist Senior Associate am Carnegie Endowment for International Peace. Die Diskussion des Gesprächskreises Transatlantische Beziehungen wurde moderiert von Sebastian Feyock, Programmmitarbeiter im Programm USA/Transatlantische Beziehungen der DGAP. Die Veranstaltung wurde unterstützt von der Fritz Thyssen Stiftung und der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin.