Déjà-Vu mit Trump
Der Tag nach dem Wahlsieg Donald Trumps war ein Déjà-Vu – mit einem entscheidenden Unterschied. Seit 2016 hatte man sich in den westlichen Demokratien viel vorgenommen: Mehr zuhören, außerhalb der eigenen, kleinen Kreise; kontroverse Meinungen fördern; die Demokratie beleben.
Doch gute Vorsätze sind schnell vergessen. Die Überraschung, die viele Reaktionen auf Trumps Sieg 2024 erneut prägte, zeugte von der fehlenden Analyse- und Lernfähigkeit in Deutschland. So muss eine Lehre von 2016 wiederholt werden: Glauben und Hoffnung dürfen nicht die Oberhand gewinnen über Analysen und das Abwägen eigener Interessen. Vor allem nicht in der Politik und Politikberatung, wo es zur Berufsbeschreibung gehört, für alle Fälle zu planen.
Eine Debatte, die sich im Kreis dreht
Kurz nach Trumps Wahlsieg organsierten Studenten der Harvard-Universität die German-American Conference. Eingeladen wurde unter dem Motto „hard conversations“. Dass es viele schwierige Gespräche zu führen gibt, daran kann es mit Blick in die Ukraine und nach Nahost, auf den Zustand der deutschen Volkswirtschaft und der EU keine Zweifel geben.
Trotzdem waren viele Gespräche in Harvard aber erstaunlich gelassen. Häufig wurde sich dem Urteil der Vorredner angeschlossen, oder gleich allem bisher Gesagten zugestimmt. Den Studenten, die die Konferenz alljährlich organisieren, ist kein Vorwurf zu machen. Ihre Einladung reflektierte den Willen, die Diskussionen lebendig zu gestalten. Allein, sie wurde kaum angenommen und war symptomatisch für die aktuelle deutsche Debatte: Minister, Spitzenbeamte oder Offiziere äußern sich häufig erst aus der Pension kritisch. Das entgeht gerade den jüngeren Zuhörern nicht, die in der Folge ebenfalls zögern, zu kritisieren, herauszufordern, zu verändern.
Das wäre bereits ein Problem, wenn der Status Quo funktionierte. Demokratie lebt vom offenen Wettstreit der Ideen. Doch der Status Quo funktioniert im Westen vielerorts nicht mehr. Jüngere Wähler wenden sich ab, geben ihre Stimmen Anti-Establishment-Parteien und Systemgegnern.
Keine guten Vorbilder
Der Wille, harte Gespräche zu führen und andere Meinungen zu konfrontieren, wird nicht nur auf akademischen Panels vermisst. Den Unwillen hat der Think Tanker Hans Kundnani im Frühjahr den außenpolitischen Debatten in Berlin bescheinigt. Kundnani, der mit den Debatten bestens vertraut ist, kritisierte ihre Homogenität und berief sich auf den „Blob“-Begriff, den Ben Rhodes, ein außenpolitischer Berater der damaligen US-Regierung, 2015 für das Gruppendenken in Washington geprägt hatte. Kundnanis Kritik zielte nun vor allem auf den Umgang der Berliner Republik mit dem Krieg in der Ukraine und in Gaza. Sie lässt sich aber allgemeiner fassen.
Mit Blick auf den Zustand der EU zum Beispiel. Niemand braucht Think Tank-Debatten, die der Union die Erfolge bescheinigen oder diskutieren, wie die bereits heute „exzellente“ deutsch-französische Zusammenarbeit „noch besser“ werden könnte. Die bilaterale Beziehung zu Frankreich ist in schlechtem Zustand, der europäische Integrationsprozess steckt in einer existentiellen Krise. Das endlich anzuerkennen wäre eine Voraussetzung, etwas zu verändern. Es braucht neue Ideen für die Zukunft Europas, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wiederwahl Trumps.
Ende der Kontaktschuld
Gleichzeitig braucht es eine Auseinandersetzung mit Ideen, die sich als Alternative zum bisherigen europäischen Einigungsprozess in Stellung bringen. Ein Beispiel: In Frankreich bereiten sich die Rechtsaußen des Rassemblement National (RN) auf die Übernahme von Regierungsverantwortung vor. Im Sommer war es bereits beinahe so weit, nun könnte RN-Fraktionschefin Marine Le Pen die Minderheitsregierung Michel Barniers vor Weihnachten stürzen – und Frankreich in eine Verfassungs- und vermutlich auch Finanzkrise.
Dieses Szenario ist nicht sicher, aber denkbar. Also bereiten sich deutsche Politiker und Analysten darauf vor. Ihre Fähigkeit aber, das RN und dessen Blick auf Deutschland und die EU zu verstehen, ist eingeschränkt. Der deutsche Blick auf Le Pen ist oberflächlich. Bis heute wird in „Pro-“ und „Anti-Europäer“ unterteilt, das RN fällt in letztere Kategorie. Dass die Partei, wie andere Rechtspopulisten, die EU längst nicht mehr verlassen will, sondern systematisch umbauen, wird ignoriert. Das liegt daran, dass viele Analysten das Gespräch mit RN-Vertretern meiden, statt zu versuchen, sie zu verstehen. Es gibt eine Kontaktschuld: Wer mit Rechtspopulisten spricht, steht im Verdacht, mit ihren Ideen zu sympathisieren.
Auf einem Auge blind
Die Folge dieser Kontaktschuld ist eine wachsende Betriebsblindheit der europäischen Debatte. Dass die EU in der Krise ist, wird auch in sogenannten pro-europäischen Kreisen nicht bezweifelt. Dass die Union für deutsche und französische Erstwähler aber nie etwas anderes war als permanentes Krisenmanagement; dass es zuletzt nicht mehr gelungen ist, überzeugend zu formulieren, warum die EU auch für die Zukunft die beste Wahl ist – das wird geflissentlich ignoriert. Peter Sloterdijk hat im November ein Buch vorgelegt, das seine Vorlesungen am Pariser Collège de France bündelt. Sein Titel: „Der Kontinent ohne Eigenschaften“.
Wenn gleichzeitig alternative Erzählungen nicht analysiert und verstanden werden, wird es gefährlich. Bezüglich der mangelnden Unterstützung der Ukraine wurde in der jüngeren Vergangenheit häufig die Metapher des Boxers bemüht, der einen Arm auf den Rücken gebunden hat. Im Umgang mit rechtspopulistischen Ideen ist es für Analysten ähnlich: Woher der nächste Schlag kommt, ist ungewiss. Schließlich ist ein eigenes Auge verbunden.
So droht die nächste Überraschung und mit ihr die müßige Frage, warum niemand diese Entwicklung kommen sah.