Online Commentary

Jun 21, 2022

Die WTO ist tot – lang lebe die WTO

Das „Genfer Paket“ ist ein erster Erfolg, an den jetzt angeknüpft werden muss
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Fischerei-Subventionen, Gesundheitskrise, Nahrungsmittelversorgung und Reformen: Nach zwei Pandemie-bedingten Verschiebungen fand vom 12. bis 16. Juni die 12. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf statt. Die WTO-Mitglieder einigten sich zum Erstaunen vieler auf ein umfassendes „Genfer Paket“; andernfalls hätte die ohnehin schon angeschlagene Organisation vollständig an Glaubwürdigkeit verloren. Nun muss es darum gehen, dieses Paket so schnell wie möglich umzusetzen. 

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MC12 – Die Rettung der WTO durch erste Erfolge seit neun Jahren 

Die WTO hat es geschafft. Nach einem nächtelangen Verhandlungsmarathon und einer weiteren Verlängerung kann sie mit dem „Genfer Paket“ die ersten Abkommen seit neun Jahren feiern. Das bislang einzige multilaterale Abkommen seit ihrer Gründung hat die WTO 2013 über Handelserleichterungen geschlossen. In einer Welt, in der Handel im geopolitischen Ringen zunehmend als Waffe eingesetzt wird und internationale Abhängigkeiten als Last verstanden werden, lief die WTO Gefahr, bedeutungslos zu werden. Die Organisation, die für einen transparenten und regelbasierten Handel steht, wurde von großen Playern wie den USA als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung gesehen. Wäre die Ministerkonferenz gescheitert, hätte dies die Glaubwürdigkeit und Schlagkraft der ohnehin schon angeschlagenen Organisation weiter geschwächt. Trotz aller Widrigkeiten wurde ihr nun durch die Ergebnisse in Genf wieder Leben eingehaucht. 

Die Lösungen von Genf 

Die zwölfte WTO-Ministerkonferenz musste – trotz wachsender Zersplitterung ihrer Mitglieder in geopolitische Blöcke – Antworten auf globale Probleme geben, um das Überleben der Organisation zu sichern. Was wurde beschlossen? 

Fischerei-Subventionen werden für vier Jahre reduziert 

Seit über 20 Jahren werden Verhandlungen über die Abschaffung von schädlichen Fischerei-Subventionen geführt, um die weltweite Überfischung zu begrenzen. Die Verhandlungen sollten im Einklang mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der Vereinten Nationen im Jahr 2020 abgeschlossen werden. Doch es gab Probleme: Zahlreiche Entwicklungsländer, allen voran Indien, forderten Übergangsfristen von bis zu 25 Jahren. Erschwerend kam hinzu, dass die USA sehr spät das Thema Zwangsarbeit auf Fischereiflotten auf die Agenda setzten – vor allem mit Blick auf China. Wenn auch etwas weniger ambitioniert als sich viele gewünscht hätten, verständigten sich die WTO-Mitglieder nun auf ein Abkommen mit einer Laufzeit von zunächst vier Jahren. Zudem soll ein „WTO Fisheries Funding Mechanism“ eingeführt werden, um Entwicklungsländern und hier besonders den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) bei der Umsetzung des Abkommens zu helfen.  

Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe  

Die WTO musste eine Antwort auf die Pandemie finden. Dabei waren drei Aspekte zentral: Handels-erleichterungen, eine verbesserte Transparenz und die von vielen Entwicklungsländern (allen voran von Indien und Südafrika) geforderte Aussetzung des Patentschutzes für die Produktion von Impfstoffen („Patentwaiver“). Letztere war im Vorfeld heftig umstritten. Das wichtige Ergebnis: Die WTO-Mitgliedstaaten einigten sich auf verbesserte Transparenzmaßnahmen und hoben die handelserleichternden Maßnahmen von Mitgliedern hervor. Außerdem konnten sie sich auf einen Patent-Waiver einigen. 

Keine Exportrestriktionen für das World Food Programm 

Aufgrund der wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine stark steigenden Nahrungsmittelpreise stand das Thema Nahrungsmittelsicherheit weit oben auf der Agenda der Ministerkonferenz. Die WTO-Mitgliedstaaten verpflichteten sich, keine Exportrestriktionen bei Nahrungsmitteln für humanitäre Zwecke, etwa im Rahmen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, einzuführen. Indien blockierte bis zuletzt eine Einigung, weil es im eigenen Land auf Lagerhaltung und Subventionierung von Nahrungsmitteln setzt. Als Kompromiss wurde betont, dass jedes Land in Einklang mit WTO-Regeln Maßnahmen ergreifen kann, um seine Nahrungsmittelversorgung zu sichern. 

E-commerce Moratorium bis Ende 2023 verlängert 

Das seit 25 Jahren bestehende „E-Commerce Moratorium” verhindert, dass Zölle auf elektronischen Handel erhoben werden. Dies begünstigte in den vergangenen zwei Jahrzehnten den rasanten Anstieg des elektronischen Handels. Länder wie Indien oder Südafrika wehrten sich lange gegen eine Verlängerung, da das Moratorium potenzielle Zolleinnahmen verhinderte. Die WTO-Mitglieder einigten sich nun auf eine Zwischenlösung und verlängerten das Moratorium bis zur 13. Ministerkonferenz, die planmäßig bis Dezember 2023 abgehalten werden soll.  

Eine funktionierende Streitschlichtung bis 2024 

Entgegen allen Erwartungen verpflichteten sich die WTO-Mitglieder dazu, Diskussionen über eine Reform des Berufungsgerichts zu führen, mit dem Ziel, 2024 wieder einen voll funktionierenden Streitschlichtungsmechanismus für alle Mitglieder zu etablieren. Dies ist ein wichtiger Schritt für die EU, die das Thema als höchste Priorität für eine WTO-Reform eingefordert hat. 

Konkrete Schritte für langfristige Lösungen 

MC12 und Genfer Paket sind erst der Anfang. Die WTO ist aus ihrem Koma erwacht, aber es sind weitere Schritte notwendig: Die Fischerei-Subventionen müssen permanent eingegrenzt werden. Beim Thema Gesundheit ist es lange überfällig, dass die EU den Vorschlag der Ottawa-Gruppe in die WTO einbringt, Zölle auf kritische Medizinprodukte abzuschaffen. Die wichtige Entscheidung, keine Exportrestriktionen bei Nahrungsmitteln einzuführen, muss in eine grundlegende Reform der Agrarregeln der WTO eingebettet werden. Das E-commerce Moratorium muss unbegrenzt verlängert und das Thema Handel und Klimaschutz drastisch vorangetrieben werden. Eine Ministerkonferenz kann politische Entscheidungen und Kompromisse erleichtern; sie sollte von nun an jedes Jahr abgehalten werden. Dabei wird es immer wichtiger, Entwicklungs- und Schwellenländer wie Indien und Südafrika an Bord zu holen. Das ist nicht einfach. Aufgrund der schwierigen geopolitischen Lage werden daher plurilaterale Abkommen zwischen gleichgesinnten Ländern weiter an Bedeutung gewinnen. 

Bibliographic data

Schmucker, Claudia, and Stormy-Annika Mildner. “Die WTO ist tot – lang lebe die WTO.” June 2022.

Dieser Online Kommentar wurde am 21. Juni 2022 veröffentlicht.

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