Ein widriges Erbe
Hamdoks Regierung stand vor einem Grundproblem vieler demokratischen Transitionen. Sie musste einer massiven Wirtschaftskrise mit einem völlig kapazitätsschwachen Staat begegnen. Mit einer zivil-militärischen Übergangsregierung und einem überwiegend technokratisch geprägten ersten Kabinett und ohne eigenes demokratisches Mandat konnte Hamdok nicht „durchregieren“. Wirtschaftsreformen verlangten der Bevölkerung und der fragilen Koalition Härten und Zugeständnisse ab. Internationale finanzielle Unterstützung erfolgte nur allmählich, auch weil diese auf bestimmte grundlegende Reformen angewiesen war. So war jeder Schritt der Regierung im Übergangsprozess unvollständig, umstritten und erfolgte häufig verzögert.
Viele ehrgeizige Zeitpläne gingen nicht auf. Die Friedensverhandlungen dauerten viermal so lang wie ursprünglich geplant. Dazu kamen Krisen, die selbst deutlich besser aufgestellte Regierungen unter Druck gesetzt hätten: Covid-19 belastete Sudans ohnehin schwaches Gesundheitssystem. Rekordfluten überschwemmten rund ein Viertel aller Ackerflächen. Der Krieg in der äthiopischen Region Tigray trieb über 60.000 Menschen über die Grenze nach Sudan und führte zu militärischen Spannungen in einem zwischen beiden Ländern umstrittenen Grenzgebiet.
Zentrale Akteure spalteten sich, was die politische Abstimmung erschwerte. Dies betraf insbesondere die Koalition aus Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die „Forces of Freedom and Change (FFC)“. Die Umma Party, welche die letzte zivile Regierung vor al-Bashirs Putsch 1989 geführt hatte, sagte sich von den FFC los. Auch die kommunistische Partei zog sich einige Monate später aus den FFC zurück. Gleichzeitig fehlte es den zivil geführten Ministerien an allen Ecken und Enden an zuverlässigem Personal, um Regierungsprojekte zu planen und umzusetzen.
Schließlich brachten selbst nominelle Fortschritte erhebliche Risiken für den Übergangsprozess mit sich. Der Subventionsabbau im Rahmen der Wirtschaftsreformen ging mit enormen Preissteigerungen für Güter des täglichen Bedarfs und nachhaltigen Protesten einher. 2020 hatte Sudan laut IWF die zweithöchste Inflationsrate weltweit. Während Hamdok vom Militär kontrollierte Unternehmen unter zivile Kontrolle bringen wollte, drohte De-Facto-Staatschef General Abdel Fattah al-Burhan im August unverhohlen mit einem erneuten Putsch.
Abgetrotzte Erfolge
Angesichts dieser komplexen Lage sind die Erfolge der sudanesischen Regierung nicht zu verachten. Am 3. Oktober 2020 unterzeichnete sie das Juba Peace Agreement mit einer Reihe von bewaffneten Gruppen. Die Finanzierung und Umsetzung vieler Mechanismen des Friedensabkommens sind noch unklar. Seine Auswirkungen sind jedoch bereits heute deutlich erkennbar. Anfang Februar 2021 berief Premierminister Hamdok ein neues, „politisches“ Kabinett, dem auch sieben Minister aus den Unterzeichnergruppen angehören. Das Friedensabkommen verlängerte zudem den Übergangsprozess um rund 13 Monate. Er soll jetzt erst mit Wahlen Anfang 2024 enden.
Das neue Kabinett einigte sich sogleich auf die Abwertung des sudanesischen Pfundes. Dies war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass internationale Hilfsgelder fließen und der Entschuldungsprozess vorangehen konnten. So konnte die Regierung zusammen mit ihren internationalen Partnern auch das „Sudan Family Support Programme“ ins Werk setzen: Ein monatlicher Betrag von umgerechnet fünf Dollar pro Person soll die Auswirkungen der Preissteigerungen für einen Großteil der Bevölkerung abfedern.
Das Cash-Programm ist Ausdruck der internationalen Unterstützung für Sudans Übergangsprozess. Premierminister Hamdok traf im Februar 2020 Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin und bemühte sich allgemein um gute Beziehungen zu zentralen Gebern. Es war eine Strategie, die sich auszahlte: Im Juni richtete Deutschland zusammen mit dem Sudan, der EU und den UN eine virtuelle Sudan-Partnerschaftskonferenz aus, die rund 1,8 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und das Sudan Family Support Programme einsammelte. Im Juli 2020 begann der IWF ein zwölfmonatiges Reformprogramm, das Voraussetzung für weitere Unterstützung und Entschuldung ist. Im Dezember 2020 wiederum strichen die USA Sudan von ihrer Liste Terrorismus fördernder Länder, eine lang erwartete Entscheidung, die sudanesische Banken wieder Zugang zum internationalen Finanznetzwerk gibt.
Revolutionsziele bleiben Baustellen
Die Liste der ausstehenden Reformen in Sudan bleibt lang. Nach Abschluss der Friedensverhandlungen und Ernennung des neuen Kabinetts fehlt weiter die Einberufung des Übergangsparlaments. Dieses könnte dazu beitragen, mehr Transparenz herzustellen und weitere gesellschaftliche Gruppen an der Transition zu beteiligen. Noch fehlen auch Friedensabkommen mit den zwei wichtigsten bewaffneten Gruppen Sudans, die das Juba Peace Agreement nicht unterzeichnet haben.
Die Regierung wird jetzt unter Beweis stellen müssen, dass sie für Sicherheit und Wohlstand gerade auch in den lange benachteiligten Regionen Sudans, etwa in Darfur, sorgen kann. Bisher ist ihr das nur unvollkommen gelungen: Mit Verweis auf eigene Kapazitäten hatte sie sich für den Abzug der AU-UN-Friedensmission UNAMID zum 31. Dezember 2020 stark gemacht. Doch nur wenige Wochen später starben über 200 Menschen bei bewaffneten Auseinandersetzungen.
Zwar arbeitet Sudan jetzt mit dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammen und Ex-Präsident al-Bashir sitzt rechtskräftig verurteilt in Khartum in Haft. Auf den Abschluss von weiteren Verfahren zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen warten viele Menschen in Sudan aber weiterhin. Eine umfassende Reform des Sicherheitssektors sowie eine Neuordnung der verfassungsmäßigen Ordnung stehen ebenfalls noch aus.
2018/19 waren die Menschen für „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“ auf die Straße gegangen. Der Weg dorthin wird weiterhin steinig und alles andere als gerade sein.