Der zivilgesellschaftliche Dialog zwischen Russland und der EU geht weiter
Was bedeutet Putins dritte Amtszeit für die Beziehungen Russlands zur EU und für das russische Modernisierungsprojekt? Welche Rolle hat die Mittelschicht bei den Protesten gespielt, die den Präsidentschaftswahlkampf und die Parlamentswahlen begleiteten?
Der Journalist Mikhail Fishman sieht in der Wahlbeobachterbewegung die „Graswurzeln der russischen Demokratie“, während der politische Analyst Ivan Preobrazhensky betonte, dass ein Wechsel des Führungspersonals in Russland die grundsätzlichen Probleme des Landes nicht löse. Der Historiker Wassilij Dudarew schloss sich dem an: „Wir wollen keine neuen Führer, die sich dann wieder bereichern. Wir wollen, dass Putin endlich Reformen anstößt, die uns wirkliche Perspektiven und würdige Bedingungen bieten.“
Entscheidende Kraft
Die russische Mittelschicht ist als Träger der Proteste die entscheidende Kraft, wenn es um Reformen geht. Einer der Protagonisten der Bewegung, der Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarev, bezeichnete sie als heterogene Gruppe, die von keiner Partei vertreten werde. Die Mittelschicht steht laut Ponomarev auch für eine Spaltung in der russischen Gesellschaft: „Die Moskauer können das Land verlassen, wenn ihnen die Perspektiven fehlen, für die Provinz aber zählt die Fürsorge des Staates mehr als die politische Freiheit.“
Falk Tischendorf von der Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt berichtete in seinem Vortrag von Befürchtungen, dass die Mittelschicht schwächer werden könnte: „In Russland gehören nur rund 20 Prozent der Mittelschicht an – in Deutschland sind es 60 Prozent. In beiden Ländern ist Bildung angesichts des Fachkräftemangels die beste Möglichkeit, den Mittelstand zu fördern.“ Russland stehe vor der Herausforderung, die Einnahmen aus dem Energiegeschäft in die Modernisierung seines Wirtschaftssystems zu investieren. Als zentrale Bausteine einer solchen Modernisierung werden Rechtssicherheit und eine neue Transportinfrastrukur für Energieträger etwa entlang der Nord-Ost-Passage genannt.
Beständige Partnerschaft
Trotz absehbarer Probleme in den deutsch-russischen Beziehungen – Preobrazhensky bezeichnete die unterschiedlichen Positionen in der Syrienkrise als möglichen „Stolperstein“ – herrschte grundsätzlich Einigkeit über die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit. Alexander Rahr brachte die Stimmung auf den Punkt: „Putin wird für den Westen ein schwieriger Partner bleiben und positive Veränderungen in den Beziehungen sind nur allmählich zu erwarten. Zudem gibt es keine einheitliche europäische Position gegenüber Russland“.
Der Präsident des sächsischen Landtags, Matthias Rößler, betonte die „besondere Verantwortung Deutschlands für die Beziehungen zu Russland“. Die russischen Teilnehmer erklärten, Putin wolle mit seinen Antrittsbesuchen in Deutschland und Frankreich herausfinden, „wie Europa tickt“. „Das Verhältnis zu Polen hat sich verbessert, und Putin muss nun sondieren, ob er Bündnisse mit Europa schmieden kann“, sagte Dmitriy Travin, Professor an der Europäischen Universität St. Petersburg.
Andrey Zolotov unterstrich , dass Russland die EU mittlerweile differenzierter wahrnehme: „Wir diskutieren in Russland heute eine Partnerschaft mit der EU anstelle von strategischen Bündnissen mit einzelnen Mächten“, so der Chefredakteur der Zeitschrift „Russia Profile“. Eine Belastung der Beziehungen durch einen Exodus der Mittelschicht nach Europa sei nicht zu erwarten. „Nur vier bis fünf Prozent der Ausreisewilligen haben tatsächlich die Möglichkeit, nach Europa zu emigrieren“, so Oleg Zinkovski, Leiter der russischen Redaktion des rbb Funkhaus Europa.
Die AG Zukunftswerkstatt des Petersburger Dialogs wird organisiert vom Berthold-Beitz-Zentrum der DGAP und der russischen Informationsagentur Rosbalt. Die XXV. Sitzung widmete sich den voraussichtlichen Themen des Petersburger Dialogs im Oktober in Kasan.