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Mar 29, 2012

Haushaltsdisziplin: Schulden reduzieren ohne das Sozialstaatsmodel anzutasten

Präsidentschaftswahlkampf 2012 in Frankreich

Die öffentliche Schuldenlast spielt im französischen Präsidentschafts-wahlkampf eine zentrale Rolle. Seit Beginn der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 ist die Schuldenlast Frankreichs von 65% auf 85% des BIP gestiegen; dies entspricht etwa 1600 Mrd. Euro zum Jahresende 2011. Die Glaubwürdigkeit des Landes auf den Finanzmärkten wurde hierdurch stark beeinträchtigt, wie der Entzug der höchsten Bewertung mit Tripel-A durch die Ratingagentur Standard&Poor im Januar 2012 gezeigt hat.

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Zu diesen volkswirtschaftlichen Fakten kommen die Sparmaßnahmen hinzu, die von zahlreichen europäischen Staaten, besonders von denjenigen, die den europäischen Rettungsplan in Anspruch nahmen, umgesetzt wurden. Mit der Unterzeichnung des Fiskalpakts durch 25 Mitgliedstaaten im März 2012, der die Einführung einer Schuldenbremse in die nationalen Gesetzgebungen vorsieht, wurde diese Sparpolitik unter Antrieb von Angela Merkel und mit Unterstützung von Nicolas Sarkozy de facto zur offiziellen Krisenbewältigungspolitik der EU.

Im Einklang mit diesen Entwicklungen auf europäischer Ebene ist die Notwendigkeit, zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückzukehren, ein unerschütterliches Credo in der Argumentationslinie mehrerer Präsidentschaftskandidaten geworden. Die beiden Favoriten, der amtierende Präsident Sarkozy und sein sozialistischer Herausforderer Hollande, versprechen jeweils eine Rückkehr zu einem haushaltspolitischen Gleichgewicht für die Jahre 2016 und 2017. Meinungsumfragen zeigen dabei auch, dass eine zunehmende Anzahl von Wählern die Reduzierung der Staatsverschuldung als eine der Prioritäten der Führungskräfte von morgen ansieht. Die Medien und Kampagnen der Kandidaten schließen sich dieser Tendenz an: Wie mehrere Beobachter bereits herausgestellt haben, wird der Wahlkampf 2012 von Diskussionen über die Finanzierung der verschiedenen Projekte bestimmt, auf die Gefahr hin, dass die Parteien dabei Wähler aufgrund der teils sehr technischen und sogar technokratischen Debatten verlieren.

Haushaltsstrenge oder Widerbelebung der Wirtschaft?

Mit Blick auf die jeweiligen Positionen zu den Mitteln, die der Reduzierung der Staatsschulden dienen sollen, lassen sich die Kandidaten in zwei Gruppen einteilen.

Auf der einen Seite stehen die Kandidaten, die eine Ausgabensenkung zur Reduzierung der Schulden bevorzugen. Unter ihnen befindet sich der Kandidat des politischen Zentrums François Bayrou (Modem), der diese Haltung seit dem Wahlkampf 2007 vertritt, sowie Nicolas Sarkozy, der im Verlauf seines fünfjährigen Mandats in diesem Bereich einen bedeutenden Sinneswandel vollzogen hat. Während seines Wahlkampfs 2007 und nach seiner Wahl zum Präsidenten stellte er die Rückkehr zu einem Ausgleich der öffentlichen Finanzen hinten an und rückte damit von dem Versprechen seines Vorgängers Chirac ab, bis 2010 zu einem Haushaltsgleichgewicht zurückzukehren. Mit dem 2007 verabschiedeten Gesetz TEPA versuchte Sarkozy zudem, das Wirtschaftswachstum durch ein Absenken der Steuern anzukurbeln. Im Gegensatz dazu inszeniert er sich heute als Verkünder eines „neuen Zyklus der Staatsentschuldung Frankreichs“. Einige Aspekte des TEPA-Gesetzes, insbesondere die Absenkung der Höchstgrenze der direkten Steuern, die von einer Privatperson nach französischem Steuerrecht zu bezahlen sind (sogenannter „bouclier fiscal“), wurden im Budget von 2012 wieder abgeschafft.

Auf der anderen Seite stehen François Hollande und die anderen linken Kandidaten, die die Sparpolitik aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum als verhängnisvoll bemängeln. Dieses gelte es vielmehr, durch staatliches Handeln und Investitionen der öffentlichen Hand zu unterstützen. Für den sozialistischen Kandidaten soll diese Strategie in einen europäischen Rahmen eingebettet sein. Dies erklärt auch Hollandes Willen, den europäischen Fiskalpakt nachverhandeln zu wollen, um diesem ein abgestimmtes Wachstumsprogramm beizufügen, wie beispielsweise die Schaffung von Euroanleihen zur gemeinsamen Finanzierung von Großprojekten. Erst kürzlich hat Hollande angekündigt, dass er im Falle eines Wahlsieges das französische Parlament nicht fragen werde, den Fiskalpakt zu ratifizieren, wenn er bezüglich dieser Umorientierung des Paktes kein zufriedenstellendes Ergebnis erhalte.

Grenzen der Kandidatenvorschläge

Die Grenzen der Kandidatenvorschläge zur Wiederherstellung des Haushaltsgleichgewichts treten wahrscheinlich am offensichtlichsten im Programm von Hollande zu Tage, da diese bereits in seiner Strategie, die Schulden durch ein Ankurbeln der Wirtschaft zu reduzieren, liegen. Zum einen bleibt eine solche Rückkehr des Wirtschaftswachstums angesichts des moribunden gesamtwirtschaftlichen Klimas sehr ungewiss. Zudem erscheinen die Schätzungen des Wirtschaftswachstums, auf denen das Programm Hollandes aufbaut (2,5% Wirtschaftswachstum ab der zweiten Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit), vielen Ökonomen als sehr oder sogar viel zu optimistisch. Zum anderen wird es für den Sozialisten angesichts der Tatsache, dass die Haushaltsdisziplin momentan das Herzstück der europäischen Wirtschaftsstrategie darstellt, schwer werden, den Pakt neu zu verhandeln, und dies trotz seines starken Willens, die europäische Linke in diesem Punkt hinter sich zu vereinen. Um eine Nachverhandlung des Paktes zu erreichen, müsste er vor allem die Bundesregierung von seinem Vorhaben überzeugen, für die Euroanleihen und andere Interventionen der EZB aktuell jedoch nicht verhandelbare Tabus darstellen.

Bezüglich der auf nationaler Ebene umzusetzenden Maßnahmen konzentriert sich Hollandes Programm auf eine Erhöhung der Staatseinnahmen. Die zusätzlichen 44,5 Mrd. Euro sollen durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und durch die Zurücknahme einzelner während der Präsidentschaft Sarkozys beschlossener Maßnahmen, wie die Absenkung des Vermögenssteuersatzes, erreicht werden. Eine Ausgabenreduzierung schlägt Hollande nicht vor, lediglich eine „Kontrolle“ der Ausgabenerhöhung in Höhe von einem Prozent pro Jahr wird genannt.

Das Programm Nicolas Sarkozys, das bisher nur tröpfchenweise enthüllt wird, gibt wenige Informationen über die wirtschaftspolitischen Maßnahmen oder zusätzlichen Staatseinahmen, die er im Falle seiner Wiederwahl durchsetzen würde. Sein Ziel einer Rückkehr zu einem ausgeglichenen Haushalt gründet sich bisher lediglich auf einem „Plan zur Sanierung der öffentlichen Finanzen“, der der Europäischen Kommission bereits von der Regierung vorgelegt wurde. Dieser Plan sieht Haushaltseinsparungen in Höhe von 115 Mrd. Euro bis 2016 vor. Gemäß den Angaben der Regierung bleibt mit Blick auf die bereits beschlossenen Maßnahmen lediglich eine fehlende Summe von acht Mrd. Euro an zusätzlichen Einnahmen übrig; ein Betrag, der von der Europäischen Kommission allerdings mit 25 Mrd. Euro beziffert wird. 

Wird Frankreich seine „Vorliebe fürs Schuldenmachen“ überwinden?

Was in den Programmen der beiden wichtigsten Kandidaten auffällt, ist die Vorsicht, mit der das Thema der Reduzierung von öffentlichen Schulden behandelt wird. Dabei werden hauptsächlich Maßnahmen der Anhebung von Steuern und Abgaben (als relativ schmerzlos) präsentiert, ohne aber konkrete Vorschläge der Ausgabenreduzierung zu unterbreiten - und dies unter der Maßgabe optimistischer Wachstumserwartungen. Der Begriff „Sparzwang“ wird dabei zum Schutz des „französischen Sozialmodells“ weitgehend aus den politischen Diskursen verbannt und die von den anderen europäischen Staaten akzeptierten (oder auferzwungenen, je nach Sichtweise) wirtschaftlichen Einschränkungen werden allgemein als Beispiele angeführt, die es zu vermeiden gilt. Der Kontrast zwischen den Vorschlägen der Kandidaten und der Politik, die in den anderen europäischen Ländern (Griechenland, Portugal, Irland aber auch in Italien, Spanien und Großbritannien) von Regierungen jeglicher politischer Ausrichtung ausgeführt wird, ist stark. 

Im Allgemeinen geht man davon aus, dass Wahlkämpfe nicht dadurch gewonnen werden, dass man sich Haushaltsstrenge vorne auf die Fahne schreibt, zumal Frankreich sich auch nicht in derselben wirtschaftlichen Lage wie die oben genannten Länder befindet. Doch über die taktischen und volkswirtschaftliche Überlegungen hinaus kann man in der Vorsicht der Kandidaten das Fortbestehen einer Gesellschaft erkennen, die seit knapp vierzig Jahren eine „Vorliebe für das öffentliche Schuldenmachen“ besitzt, wie es einige Ökonomen beschreiben. Dabei ist die Schuldenfrage in der politischen Debatte fürwahr nicht neu: Bereits Mitte der 1990er Jahre war sie bei der Umsetzung von haushaltspolitischen Anstrengungen, um die Maastrichtkriterien zu erfüllen und dem Euro beizutreten, präsent und von Neuem in der Zeit nach 2000, als Frankreich (zunächst gemeinsam mit Deutschland) begann, die Kriterien über das Staatsdefizit des Stabilitätspakts zu verletzen. Trotz dieser Wahrnehmung ist in der Politik immer wieder davon die Rede, dass Frankreich seit 1974 nicht mehr im Stande gewesen ist, einen nicht-defizitären Haushalt zu beschließen, und seinen Schuldenstand beinahe unablässig hat ansteigen lassen.

Aufgrund der aktuellen europäischen Situation wird diese „Tradition“, sowohl aus volkswirtschaftlicher als auch aus politischer Sicht, auf kurz oder lang mit einer unvereinbaren Realität zusammenstoßen. Zunächst aus volkswirtschaftlicher Sicht, denn in einem Land, in dem die Steuern und Abgaben schon 45% des BIP und die öffentlichen Ausgaben 50% überschreiten, ist der Handlungsspielraum zur Reduzierung des Defizits ohne Ausgabensenkung gering. Schließlich aus politischer Sicht, denn die Hypothese eines abgestimmten Wachstumsprogramms auf europäischer Ebene kann nicht ohne wirkliche Anstrengungen zur Schuldenreduzierung unternommen werden, und sei es bloß, um Deutschland und den anderen Geberländern eine notwendige Garantie zu geben, damit diese ein solches Transferprinzip akzeptieren. Von daher ist es bedauernswert, dass der aktuelle Präsidentschaftswahlkampf keine tiefgreifenderen Überlegungen über die Mittel zur Schuldenreduzierung und einer diesbezüglichen Effizienzsteigerung liefert, ohne dabei die Kernbestandteile des französischen Sozialmodells, das Frankreich so lieb und teuer ist, aufgeben zu müssen. Auch wenn diese Überlegungen heute noch ignoriert werden, besteht ein starkes Risiko, dass solche Maßnahmen nachfolgend umgesetzt werden müssen bzw. von Brüssel „aufgezwungen“ werden, ohne dass eine wirkliche Debatte stattgefunden hat. Für viele Franzosen wäre eine Widerspiegelung dessen was in Griechenland und Portugal vonstattengeht ein Katastrophenszenario.

Benoît Roussel ist Account Manager bei g+europe in Brüssel und Teilnehmer des Deutsch-französischen Zukunftsdialog 2010.

Übersetzung aus dem Französischen: Richard Probst.

Bibliographic data

Roussel, Benoît. “Haushaltsdisziplin: Schulden reduzieren ohne das Sozialstaatsmodel anzutasten .” March 2012.

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