Inszenierung von Volksnähe
Im Gegensatz zu Amtsinhaber Sarkozy befanden sich die anderen Kandidaten frühzeitig im Wahlkampf. Allerdings verlief dieser bis zum Jahresende 2011 sehr zögerlich: Nach seinem Sieg bei den Vorwahlen des Parti socialiste (PS) im Oktober präsentierte sich François Hollande kaum in den Medien. Erst zu Beginn des neuen Jahres beendete er seine Abstinenz und startete richtig in den Wahlkampf. Nicolas Sarkozy hingegen wollte die offizielle Ankündigung seiner Kandidatur so lange wie möglich hinauszögern, um sich als Präsident zeigen zu können, der die Franzosen durch beherztes Handeln vor den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise bewahrt. Jedoch wurde der Abstand zu Hollande in den Bevölkerungsumfragen immer größer, so dass Sarkozy sich schließlich am 15. Februar mit der Erklärung seiner Kandidatur aktiv in den Wahlkampf stürzte. Seitdem konzentriert sich das Geschehen in den Medien auf die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für die Stichwahl.
Bei aller Diskussion von Sachthemen ist es das vorrangige Ziel der Wahlkämpfer, ihr Persönlichkeitsbild bei den Wählern zum Positiven zu verändern. Sarkozy kämpft dabei mit dem Image eines volksfernen Präsidenten der Reichen, welches ihm aufgrund seiner Steuerpolitik, seiner engen Beziehungen zu Personen aus Wirtschaft und Medien sowie der ausschweifenden Darstellung seines glamourösen Lebensstils seit Beginn seiner Amtszeit anhaftet. François Hollande dagegen scheint sein Imageproblem gelöst zu haben: In den Augen der Wähler hat er einen Wandel vom pummeligen, gemütlichen Parteifunktionär zum energischen und scharfzüngigen Kandidaten vollzogen. Er zeigt sich charismatisch und schwungvoll.
Sarkozys Wahlkampf steht unter dem Motto „La France forte“ („Starkes Frankreich“). Die Kampagne betont damit einerseits die starke Rolle Frankreichs (und damit Sarkozys) u.a. bei der Euro-Rettung, andererseits die Einheit der Nation. Eine elementare Rolle spielen dabei die Reformen Sarkozys: er zeigt sich unerschrocken, unbequemen Wahrheiten ins Auge zu sehen und weitere notwendige Reformen in einer zweiten Amtszeit auf den Weg zu bringen. Um diese auch „gegen den Widerstand einzelner Interessengruppen“ durchsetzen zu können, kündigt Sarkozy die Durchführung von Referenden an – so will er gleichzeitig Volksnähe demonstrieren.
Das Wahlkampfmotto Hollandes lautet „Le changement, c’est maintenant!“ („Der Wandel, der findet jetzt statt!“) und steht in der Tradition der Herausforderer. Der Slogan erinnert an „Le président du vrai changement“ („Der Präsident des wahren Wandels“) des sozialistischen Kandidaten Jospin im Jahr 1995 sowie an Barack Obamas „Yes we can“ von 2008. Entsprechend propagiert die Kampagne Hollandes die Wahl als Referendum über die Amtszeit Sarkozys: Er prangert die Fehler des Präsidenten an und stellt den bevorstehenden Wandel klar ins Zentrum seiner Kampagne. Wichtigster übergeordneter Aspekt ist dabei die Gerechtigkeit im französischen Volk, die Hollande wieder herstellen will.
Beide Kandidaten haben zudem eine programmatische Monographie herausgegeben, wie es der Wahlkampftradition entspricht. Hollande tat sich darüber hinaus Anfang Januar durch die Veröffentlichung eines zweiseitigen Briefes an die Franzosen in der Zeitung Libération hervor; im Vergleich zu Sarkozys pathetischen Auftritten lässt sich diese Form der Darstellung als schlicht und unkonventionell bezeichnen.
Emotionaler Gestus
Hochämter des Wahlkampfs sind zweifellos die Großkundgebungen, mit denen die beiden Kandidaten abwechselnd ihre Anhänger auf den Einzug in den Elysée-Palast einschwören. Im Unterschied zu Fernsehinterviews und anderen Medienauftritten tritt hierbei die Diskussion sachlicher Themen in den Hintergrund, vielmehr wird das Publikum aus mehreren tausend fahnenschwingenden Anhängern der Kandidaten mit emotionalen und pathetischen Reden bespielt. Die Anhängerschaft wird dabei zunächst mit kurzen Konzerten bekannter Künstler und Auftritten von Parteifreunden in Jubelstimmung gebracht, bevor der Kandidat selbst zu triumphaler Musik einzieht. Für ihre Reden, die zumeist länger als eine Stunde dauern, nutzen die Kandidaten eine ausschweifende und pathetische Rhetorik, um eine emotionale Beziehung zu den Zuschauern herzustellen.
Hollande beispielsweise stellte in Le Bourget am 22. Januar mit der „égalité“ einen Kernwert der französischen Geschichte ins Zentrum seiner Ausführungen. Als weiteres zentrales Motiv wählte er den „rêve français“ („französischer Traum“), was ihm im Nachhinein allerdings vielfach als Fehlgriff ausgelegt wurde – zu offensichtlich sei die Anlehnung an den „American Dream“, zu unpassend die Symbolik für Frankreich. Weiterhin versuchte Hollande, durch die Methode des „Storytelling“ ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen: Indem er seinen Werdegang von seinen Wurzeln in einer konservativen Familie hin zum Sozialismus beschrieb, wollte er zeigen, dass er „einer von euch“ sei, der gemeinsam mit den Wählern die Ungleichheit und Ungerechtigkeit in „unserer, eurer Republik“ beseitigen wolle. Bei aller Wortgewaltigkeit Hollandes besteht allerdings die Gefahr, dass er sich in den Bildern verliert und zu wenig konkrete Handlungsvorschläge aufzeigt.
Sarkozy nutzt ähnliche Mittel für seine Bildsprache, und bezeichnet sich als Kapitän, der „das Schiff nicht im Auge des Sturms“ verlasse. Er kontrastiert, ebenso durch Storytelling, das Bild des politischen Anführers mit starkem Willen, das er im Wahlkampf 2007 vermittelt hatte und spricht verstärkt von seinen Gefühlen und Erinnerungen, um darzustellen, wie wichtig es sei, „dem Volk das Wort zu erteilen“. Nähe zur Bevölkerung zu zeigen hat Sarkozy aufgrund seines malträtierten Images zu einer Tugend für seinen Wahlkampf erkoren, so nimmt er – wiederum im Gegensatz zu seinen früheren Gewohnheiten – ein Bad in der Menge und schüttelt fleißig Hände. Auf der Großkundgebung in Villepinte am 11. März vor 50.000 seiner Anhänger wurde dann konsequent der neue, leicht veränderte Slogan „La France forte, c’est vous!“ („Das starke Frankreich, das seid ihr!“) vorgestellt.
Zuletzt greifen beide Kandidaten bei diesen Gelegenheiten auf populistische Versprechen zurück, um die Wähler am extremen linken bzw. rechten Rand für sich zu gewinnen. So versucht Sarkozy, dem Front National (FN) durch die Ankündigung einer Zuwanderungsbeschränkung Wähler abspenstig zu machen, Hollande wildert mit einem „Reichensteuersatz“ von 75% auf Einkommen über einer Million Euro im Revier der Kommunisten.
Medieneinsatz: Online versus TV
Im Hinblick auf den Einsatz der verschiedenen Medien durch die Kandidaten spielt das Internet 2012 eine wichtige Rolle. Zunächst lässt sich eine Professionalisierung der Online-Kommunikation im Wahlkampf feststellen. So hat sich das Budget, das alle Kandidaten insgesamt für ihre Aktivitäten im Internet verwenden, mit 5,8 Mio. Euro im Vergleich zum letzten Wahlkampf mehr als verdoppelt. Hollande beispielsweise verwendet allein zehn Prozent seines Kampagnenetats, etwa zwei Millionen Euro, auf seine „campagne numérique“. Dafür beschäftigt er ein Team von 30 erfahrenen Experten, die zudem durch Blue State Digital, verantwortlich für Obamas berühmte Netzkampagne 2008, beraten werden. Im Gegensatz zu 2007 finden keine Experimente im Hinblick auf die Erprobung neuartiger Formate statt, vielmehr setzen alle Bewerber auf die etablierten Kanäle der Kandidatenwebsites und nutzen weit verbreitete Plattformen wie Twitter und Facebook, um besonders die jüngeren Generationen anzusprechen.
Alle Kandidaten folgen einer Top-down-Strategie und stellen auf den einzelnen Kanälen umfangreiche Informationen in Form von Texten, Bildern und Videos bereit. Auch die ausschweifende Nutzung von responsiv nutzbaren Plattformen wie Facebook oder Twitter dient in erster Linie der Selbstdarstellung. Die Möglichkeit zum Austausch, wie sie noch 2007 beispielsweise von Ségolène Royal in Diskussionsforen angeboten worden war, lässt sich nicht finden. Ein Grund für die eindimensionale Kommunikation liegt möglicherweise in der Gefahr eines teilweisen Kontrollverlusts über die Online-Kampagne durch das Anbieten umfangreicher Partizipationsmöglichkeiten. Die Kandidaten versuchen lieber, ihre Offenheit zum Dialog in geordneten Bahnen zu präsentieren, so lud Hollande die Franzosen über seine Website dazu ein, bei einem Kaffee mit ihm über das zu diskutieren, „was sie wirklich bewegt“; sechs Internetnutzer wurden schließlich aus 12.000 Interessenten für das kurze Face-à-Face ausgewählt.
Trotz starker Nutzung von Online-Instrumenten ist auch in diesem Jahr das Fernsehen das zentrale Instrument der Wahlkampfkommunikation. Besonders Nicolas Sarkozy ergreift die Möglichkeit, neben seinen Fernsehansprachen als Präsident durch ausschweifende Interviews zur besten Sendezeit einen großen Teil der Bevölkerung direkt anzusprechen – sein Fernsehgespräch am 29. Januar wurde auf sieben Kanälen parallel ausgestrahlt und erreichte 16 Millionen Zuschauer. Dabei erwies sich das Hinauszögern der Bekanntgabe seiner Kandidatur als geschickt: Immer wieder wurde im Vorfeld seines jeweiligen Fernsehauftritts erwartet, dass Sarkozy nun endlich ins Rennen einsteigen würde, was die Zuschauerzahl weiter in die Höhe trieb. Bei den Auftritten zur Vorstellung des Wahlprogramms lag Sarkozy mit 5,6 Millionen Zuschauern knapp vor Hollande, dessen Sendung 5,5 Millionen Franzosen verfolgten. Die höchsten Einschaltquoten wird jedoch das traditionelle TV-Duell vor der Stichwahl erreichen, in dem die zwei verbliebenen Kandidaten in direkter Konfrontation debattieren.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Sarkozy über eine größere Präsenz in den Medien verfügt. Er taucht in allen Medien am häufigsten auf, was allerdings auch zu einem großen Teil an seiner Funktion als Präsident liegt. Auch wenn diese Präsenz bisweilen als zu groß empfunden wird, dürfte ihm das insgesamt eher nützen als schaden – ob es letztendlich für eine zweite Amtszeit ausreicht, wird sich zeigen. Dies wird vor allem davon abhängen, ob es Hollande weiter gelingt, die Wahl als Referendum über die Amtszeit Sarkozys zu verkaufen; schafft Sarkozy es hingegen, thematisch zu punkten, könnte Hollande noch einmal einen Rückschlag erleben, denn seine eigenen Vorschläge bleiben häufig im Vagen. Vorrangig profitiert er vom Unmut der Franzosen über Sarkozy – für viele der Wähler ist Hollande kein Wunschpräsident, was sie aber momentan eint, ist der Wille, Sarkozy abzuwählen.
Peter Gladitz ist Student im Masterstudiengang Politische Kommunikation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.