Verkehrte Welt: Amerikas Nabelschau und Chinas Ausblick
Während Chinas Staatsführer Xi Jinping sich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in internationalistischer Rhetorik übt, für offene Märkte wirbt und die Globalisierung verteidigt, redet der neue US-Präsident dem Protektionismus das Wort. In seiner Inaugurationsrede polterte Donald Trump wie schon im Wahlkampf gegen den Freihandel und drohte mit Zöllen.
Der „Washington Konsensus“ – sprich Laissez-faire-Politik, Deregulierung und Freihandel – ist mittlerweile in den USA selbst heftig umstritten: Die unsichtbare Hand des Marktes produziert weltweit Gewinner, aber auch Verlierer, nicht zuletzt in den USA. Der sozio-ökonomisch bedingte Ausschluss vieler Amerikaner vom gesellschaftlichen und politischen Leben beschädigt das Fundament der amerikanischen Demokratie, namentlich das Vertrauen der Bürger in die etablierte Politik.
Vor allem die Ideologie freier Märkte hat Gegenbewegungen in Kraft gesetzt, die Nationalismus zur Folge haben. Die Entfremdung von der Politik bot eine Chance für den Demagogen Trump, der die tiefe Abneigung, vor allem vieler Nicht-Wähler, gegen das „Establishment“ erkannte und sie bei den Präsidentschaftswahlen weiter anfeuerte. Er präsentierte sich als Außenseiter, der dank seines privaten Reichtums unabhängig sei und deshalb Washingtons „Sumpf austrocknen“ und Politik für alle Amerikaner und nicht nur für Betuchte betreiben könne.
Wer hoffte, dass sich Trump als Präsident staatsmännischer und weniger populistisch geben würde, wurde von ihm gleich in seiner Amtsantrittsrede eines Besseren belehrt: An seine „Bewegung“ gerichtet verurteilte Trump die um ihn versammelten Amts- und Würdenträger der Nation als selbstbezogene Klasse, die es sich auf Kosten der Bürger gut gehen lasse. Insbesondere die Politiker in Washington hätten es versäumt, die Interessen der Amerikaner zu schützen – vor den „Verwüstungen, die andere Länder in den USA anrichten“, indem sie amerikanische „Firmen stehlen“ und „Arbeitsplätze vernichten“. Gemäß seinem Credo „America First“ verkündete Trump zwei einfache Regeln, um Amerika wieder zu Wohlstand und alter Stärke zu führen: „Nur amerikanische Güter kaufen und amerikanische Arbeiter einstellen“. Selbst wenn Präsident Trump entgegen seinen isolationistischen Ankündigungen doch Freihandel betreiben wollte, würde er etwa bei der Verhandlung neuer Handelsabkommen von protektionistischen Kräften im Kongress blockiert.
Während die USA den Rückzug ins nationalistische Schneckenhaus antreten, scheut China mit seiner umfassenden Seidenstraßeninitiative („One Belt, One Road“) keine diplomatischen Initiativen und wirtschaftlichen Investitionen, um den Welthandel in seinem Sinne neu zu ordnen.
Bedrohungswahrnehmung der Geostrategen
Das ist aus Sicht der Geostrategen in Washington ein äußerst bedrohliches Szenario. Jene Köpfe, die nicht wie Trump nur den schnellen (politischen) Profit suchen, sondern umfassend und strategisch denken, sehen eine größere Gefahr: Wenn China öffentliche Güter wie Infrastruktur, Handels- und Informationswege zur Verfügung stellt, baut es langsam aber sicher seine Vormachtstellung aus. Indem es als kluge Macht seine nationalen Interessen breiter definiert, anderen erlaubt, davon ebenso zu profitieren, kann es Führung beanspruchen und Gefolgschaft erwarten. Ein Beleg dafür ist Pekings Erfolg, trotz großem Gegendruck der USA, europäische Partner wie das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland für seine Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) gewonnen zu haben. Da der amerikanische Kongress über fünf Jahre internationale Vereinbarungen blockierte, China mehr Mitsprache in den bestehenden, von den USA dominierten Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfonds) einzuräumen, baut China nunmehr von ihm beeinflusste Alternativstrukturen auf.
Bereits heute stellt die von Peking weltweit orchestrierte Entwicklungshilfe die Bemühungen von Weltbank und IWF in den Schatten.[1] Während dem amerikanischen Staat Geld fehlt, um selbst im eigenen Land die maroden Straßen, Brücken und Flughäfen zu erneuern, finanziert China weltweit Infrastruktur, entwickelt damit neue Absatzmärkte und kann sich so vom Handelspartner USA emanzipieren – dem es bislang in großen Mengen das Geld geliehen hatte, damit dieser chinesische Produkte kaufen konnte.
Wenn China den USA nicht mehr seine billigen Güter und Währungsreserven zur Verfügung stellt, dann betrifft das nicht nur US-Bürger, die aus ihrer Wohlstandsillusion gerissen werden, sondern auch den amerikanischen Staat, der ebenso schon seit Längerem über seine Verhältnisse lebt. China ist nicht mehr bereit, in dem Maße wie bisher mit seinen Devisenreserven den US-Staatshaushalt zu finanzieren, der zu einem Großteil dafür verwendet wird, die Weltmacht militärisch und sicherheitsdienstlich gegen China aufzurüsten. Diese Veränderungen alarmieren die Militärindustrie ebenso wie die Wall Street.
Die Vordenker amerikanischer Think-Tanks, etwa General Jim Mattis, der vor seinem Einsatz als Verteidigungsminister in der Trump-Regierung Ideen in der Hoover Institution schmiedete, mahnen zu einer neuen Grand Strategy.[2] Auch sie nehmen China ins Visier. Anstelle des bisherigen Flickwerks einzelner Strategien gegenüber diversen Ländern und in bestimmten Politikfeldern (Sicherheits-, Handels- oder Energiepolitik) sollten die USA wieder eine globale, themenübergreifende Ausrichtung, eben eine Grand Strategy, verfolgen. Damit solle auf jeden Fall verhindert werden, dass ein möglicher Rivale den USA die See- oder Lufthoheit im eurasischen Raum – die Landmasse der beiden Kontinente Europa und Asien, dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich interessantesten Gebiet dieser Erde – streitig macht und wirtschaftliche Aktivitäten der USA unterbindet oder ihnen den Zugang zu Ressourcen verwehrt. Die Analyse des Congressional Research Service, des überparteilichen wissenschaftlichen Dienstes des Kongresses, besagt, dass die Militäroperationen und diplomatischen Aktivitäten der USA in den vergangenen Dekaden genau dieses zentrale Ziel verfolgt hätten.[3]
Anders als sein Amtsvorgänger Obama, der seine „Hinwendung nach Asien“, die Eindämmung Chinas mit einer Transpazifischen Partnerschaftsinitiative (TPP) handelspolitisch im Verbund mit alliierten Ländern forcieren wollte, setzt Trump offensichtlich allein auf die Wirtschaftsstärke seiner Nation und nimmt dabei nicht nur einen Handelskrieg mit China, sondern auch Verwerfungen mit Amerikas Alliierten in Kauf.
Trumps bisherige Aussagen und die Benennungen seines handelspolitischen Personals geben keinen Grund zur Hoffnung, dass die bereits unter seinen Vorgängern angespannten Handelsbeziehungen zu China verbessert werden. Im Gegenteil: Laut Wilbur Ross, dem designierten Handelsminister, dürfe die US-Regierung sich nicht mit „arglistigen Handelspraktiken“ und staatlich subventionierter Produktion im Ausland abfinden. Er selbst habe umfangreiche Erfahrungen mit „unfairem Handel“ gemacht, etwa mit der von China dominierten Stahl- und Textilindustrie, so der 79-jährige Geschäftsmann und Milliardär bei seiner Anhörung vor dem Kongress. Schon seit Längerem will der Ökonom Peter Navarro, der künftige Direktor des Nationalen Handelsrats, China entgegentreten: Death by China: Confronting the Dragon lautet etwa der Titel eines seiner Bücher, in denen er mit kräftigen Pinselstrichen die wirtschaftliche und militärische Gefahr Chinas malt. Mit allen, vor allem protektionistischen Mitteln will Navarro den „Aufstieg Chinas“ stoppen, den er in seinem Nullsummendenken für den „Abstieg Amerikas“ verantwortlich macht.
Was kann Deutschland tun?
Deutschlands Verantwortliche in Politik und Wirtschaft sollten sich Gedanken machen, wie diese absehbare Konfrontation zwischen China und den USA abgemildert werden kann. Denn es ist nicht im Interesse einer Handelsnation, die umfangreiche Wirtschafts-, Handels- und Währungsbeziehungen mit beiden Ländern unterhält, zwischen die Fronten dieser Militärmächte zu geraten. In der Rangfolge der wichtigsten Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland haben die USA wieder die Spitzenposition eingenommen. Während die deutschen Handelsbeziehungen mit China mehr oder weniger ausgeglichen sind, konnte Deutschland mehr in die USA exportieren als es aus Übersee importierte und einen Außenhandelsüberschuss von 53,5 Milliarden Euro erwirtschaften.[4] Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Donald Trump Deutschland und seine Firmen deswegen anprangert.
Deutsche Politiker und Unternehmer sollten umso mehr auf der Hut sein, weil der neue Amtsinhaber im Weißen Haus ohnehin der Ansicht ist, dass Deutschland als Führungsmacht Europa nur dazu missbrauche, um seine eigenen Interessen durchzusetzen, und die Europäische Union nur geschaffen worden sei, um den USA wirtschaftlich zu schaden – so Trump im Interview mit der BILD-Zeitung.
Bereits in Barack Obamas Amtszeit kritisierte Washington China und Deutschland wegen ihrer Exportstärke. Schon auf dem G20-Gipfel in Südkorea im November 2010 scheiterten die USA mit ihrem Vorstoß, exportlastige Volkswirtschaften wie China und Deutschland unter Druck zu setzen und Begrenzungen der Leistungsbilanzüberschüsse (auf 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) festzulegen. Durch geschickte Diplomatie, insbesondere durch den Schulterschluss mit Peking, konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel seinerzeit ausnutzen, dass die Welt der Belehrungen der USA überdrüssig war, und daran erinnern, dass es das Finanzgebaren der USA war, das die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ausgelöst hatte.
Deutsche Investoren und Politiker sollten sich darauf einstellen, dass die globalen Ungleichgewichte durch Trumps grandioses Wirtschaftsprogramm weiter verschärft werden. Erhebliche Ausgaben für Militär und Infrastrukturmaßnahmen, die US-Präsident Trump seinen fiskalkonservativen „Parteifreunden“ im Kongress durch umfangreiche Steuererleichterungen im politischen Kuhhandel verkaufen will, werden die Staatsverschuldung letztendlich erhöhen.
Sollten Trumps Wirtschafspläne, die an die „Zauber-Ökonomie“ (voodoo economics) Ronald Reagans erinnern, umgesetzt werden, dann würde die Staatsverschuldung, wie schon in den 1980er Jahren, wieder merklich steigen. Laut den Berechnungen des Tax Policy Center, das von zwei Think-Tanks, der Brookings Institution und dem Urban Institute, betrieben wird, würde der Plan, in der nächsten Dekade Steuereinnahmeausfälle von über 6,2 Billionen Dollar verursachen. Rechnet man noch die Zinsbelastungen hinzu, dann würde innerhalb der nächsten zehn Jahre die Gesamtverschuldung um 7,2 Billionen Dollar und bis 2036 um 20,9 Billionen Dollar erhöht.[5]
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die amerikanische Gesamtverschuldung schon jetzt aus dem Ruder läuft. Sie hat sich seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 auf derzeit 19 Billionen Dollar verdoppelt (die Verschuldung der Einzelstaaten und Kommunen noch nicht mitgerechnet). Allein die auf den Finanzmärkten durch Staatsanleihen finanzierte Staatsverschuldung des Bundes (debt held by the public) beläuft sich heute schon auf drei Viertel (74 Prozent) der Wirtschaftsleistung (BIP). Im historischen Vergleich – etwa zum Durchschnitt (von 39 Prozent) der vergangenen 50 Jahre – ist sie ohnehin schon besorgniserregend.[6]
Die Schuldenlast wird künftig noch um Einiges vergrößert werden, wenn in absehbarer Zeit die demografische Entwicklung die Sozialkassen sprengt: wenn nämlich der Eintritt von immer mehr Baby-Boomern in das Rentenalter die Social Security (Rentenversicherung), Medicaid (Krankenfürsorge für sozial Schwächere) und Medicare (Krankenfürsorge für Ältere und Behinderte) überfordert. Präsident Trump wird sich – wie seine Vorgänger im Weißen Haus – davor hüten, diese für ältere Menschen (besonders aktive Wählergruppen) oft überlebenswichtigen Programme anzutasten. Aber ohne Einschnitte in die gesetzlichen Sozialansprüche einer immer größer werdenden Kohorte Älterer ist laut den Prognosen des Congressional Budget Office schon in zehn Jahren eine Verschuldung von 86 Prozent des BIP und 2046 von 141 Prozent des BIP zu erwarten. Das würde selbst die im Zweiten Weltkrieg erreichte historische Höchstmarke von 106 Prozent des BIP übertreffen. Die Behörde warnt, dass eine derartig große Schuldenlast „substanzielle Risiken“ für das Land berge, ein Finanzkollaps drohe und nicht zuletzt auch die Handlungsfähigkeit des Staates lahmlegen könne.[7]
Amerikas Verschuldung ist bislang kein größeres Problem, solange das Ausland bereit ist, den USA Kredite zu geben. Allen voran finanzieren China und Japan mit jeweils 1,2 Billionen Dollar, und nicht zuletzt auch eine Reihe europäischer Länder den amerikanischen Traum vom unbegrenzten Konsum auf Pump und erwerben amerikanische Staatsanleihen.[8]
Doch diese Fremdfinanzierung der Schuldenlast der Weltmacht würde ernsthaft eingeschränkt, sollte Trump seine handelspolitischen Ideen, insbesondere seine protektionistische Wahlkampfansage, in die Tat umsetzen. Diesen Umstand könnten deutsche und europäische Entscheidungsträger in Verhandlungen mit den USA erfolgreich einsetzen.
Vielleicht gelingt es – in Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten in den USA – doch noch, den Geschäftsmann im Weißen Haus zur wirtschaftlichen Vernunft zu bringen: Denn nur freier Handel, nicht zuletzt ein Außenhandelsüberschuss (ergo Außenhandelsdefizit der USA) ermöglicht es Ländern wie China und Deutschland, Währungsreserven zu erwirtschaften, die sie wieder in den USA investieren können – auch um amerikanische Arbeitsplätze zu erhalten, Amerikas kreditfinanziertes Wirtschaften zu ermöglichen und die Handlungsfähigkeit des amerikanischen Staates zu gewährleisten.
[1]Laut Schätzungen der Financial Times gewährte China bereits 2009-10 mit 110 Milliarden Dollar mehr Kredite als die World Bank mit etwa 103 Milliarden Dollar. Vgl. Martin Vieiro, Chinese (Un)official Development Aid, in: Americas Quarterly, Winter 2012, http://www.americasquarterly.org/Vieiro; Hanns Günther Hilpert und Gudrun Wacker, Geoökonomie trifft Geopolitik, SWP-Aktuell, Mai 2015.
[2]Jim Mattis, A New American Grand Strategy, Stanford, C.A.: Hoover Institution, 26.2.2015, http://www.hoover.org/research/new-american-grand-strategy.
[3]Ronald O’Rourke, A Shift in the International Security Environment. Potential Implications for Defense – Issues for Congress, Washington, D.C.: Congressional Research, 14.7.2015, S. 8.
[4]Statistisches Bundesamt, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland 2015, Wiesbaden, 3.11.2016, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Aussenha….
[5]James R. Nunns, Leonard E. Burman, Jeffrey Rohaly und Joseph Rosenberg, An Analysis of Donald Trump’s Revised Tax Plan, Washington, D.C.: Tax Policy Center, 18.10.2016.
[6]Congressional Budget Office, The 2016 Long-Term Budget Outlook, Washington, D.C., 12.7.2016, S. 6.
[7]Ebd. S. 9.
[8]Marc Labonte und Jared C. Nagel, Foreign Holdings of Federal Debt, Washington, D.C.: Congressional Research Service, 28.3.2026, S. 2, https://fas.org/sgp/crs/misc/RS22331.pdf.